Prozess zu rechten Brandanschlägen in Neukölln: Neonazi muss wegen möglicher Falschaussage im ersten Prozess nicht aussagen
Im Prozess gegen zwei Neuköllner Neonazis muss der vorbestrafte Rechtsextreme Maurice P. keine Angaben machen – weil er im ersten Verfahren gelogen haben soll.
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Dass nun gegen ihn ermittelt wird, könne er nicht verstehen, sagt Maurice P. Dabei erinnere er sich ja eh an nichts. Der polizeibekannte Rechtsextreme war am Donnerstag im Berufungsprozess gegen zwei weitere Neuköllner Neonazis geladen.
Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem früheren NPD-Kader Sebastian T. und dem Ex-AfD-Politiker Tilo P. unter anderem vor, in der Nacht zum 1. Februar 2018 die Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak sowie des Buchhändlers Heinz Ostermann in Brand gesetzt zu haben. Zudem geht es in dem Verfahren um Morddrohungen, Einschüchterungsversuche, volksverhetzende Sticker und Sozialleistungsbetrug.
Die beiden angeklagten Brandanschläge gelten dabei nur als trauriger Höhepunkt einer Serie von mindestens 72 rechtsextremen Straftaten. In erster Instanz waren beide Hauptangeklagte mit Blick auf die Brände aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden.
Tilo P. soll ihm erzählt haben, er habe „nur Schmiere gestanden“
Zuvor soll Tilo P. in Untersuchungshaft mit Maurice P., den er aus der Neuköllner Neonazi-Szene kennt, gesagt haben, dass man ihm „nun wegen der anderen Sachen etwas anhängen“ wolle, dabei habe er „nur Schmiere gestanden“. Das soll Maurice P. am Telefon einem Bekannten erzählt haben. Der Verfassungsschutz hörte dieses Gespräch mit.
Die Behörden gehen davon aus, dass mit „den anderen Sachen“ die Brandanschläge gemeint sind. Im ersten Prozess vor dem Berliner Amtsgericht gab P. allerdings an, es sei „um Graffitis“ gegangen. Die Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass er log – und eröffnete daher im März 2023 ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage gegen P.
Maurice P. wurde wegen rechter Gewalttaten selbst verurteilt
Genau deswegen musste P. nun allerdings am Donnerstag keine Aussage machen, denn wenn er andere Angaben als im ersten Prozess gemacht hätte, hätte er sich damit in dem Verfahren wegen der Falschaussage selbst belastet.
Maurice P. ist selbst kein Unbekannter: Beim Staatsschutz des Landeskriminalamtes gilt er nach Tagesspiegel-Informationen als rechtsextremer Gefährder, also als extrem gewaltbereit. In einem anderen Verfahren vor dem Amtsgericht wurde er im Januar 2023 unter anderem wegen zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Erst am Dienstag habe die Polizei seine Wohnung durchsucht
Das Gericht sah als erwiesen an, dass er einem Jamaikaner „gezielt und absichtlich“ nach einer Auseinandersetzung ein Cuttermesser in den Hals rammte und dabei nur knapp die Halsschlagader verfehlte. Zudem sei P. an einer Schlägerei mit linken Kneipenbesucher:innen in Neukölln beteiligt gewesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zudem scheinen die Behörden P. auch weiterhin im Blick zu haben: Vor Gericht gab er am Donnerstag an, dass die Polizei „vor zwei Tagen“ bei ihm die Wohnung durchsucht habe.
Auch ein weiterer Neuköllner Neonazi war am Donnerstag als Zeuge geladen: Julian B. ist selbst Verdächtiger in einem parallelen Verfahren wegen zweier anderer Brandanschläge aus der gleichen rechten Serie. Im Oktober durchsuchten Einsatzkräfte daher seine Wohnung sowie die von P. und T.
Julian B. soll sich gewundert haben, dass er nicht mitangeklagt ist
Da B. sich ebenfalls wegen des parallelen Verfahrens selbst belasten könnte, muss auch er vor Gericht nicht aussagen. B. soll sich gar als Alternativtäter selbst ins Spiel gebracht haben: In einem Schreiben an das Gericht soll er sich gewundert haben, warum er im aktuellen Prozess nicht angeklagt sei.
Bereits zuvor hatte ein weiterer Knast-Kumpel von Tilo P. am Donnerstag im Prozess ausgesagt. Laut einem Tagebucheintrag von P., den die Behörden später sicherstellten, soll P. Erik J. berichtet haben, dass die Staatsanwältin im aktuellen Verfahren ihm eine Art Kronzeugenregelung in Aussicht gestellt habe.
Staatsanwaltschaft soll Tilo P. Deal angeboten haben
Oder wie P. es selbst ausdrückte: Obwohl er seinem Verteidiger, Mirko Röder, ein „Indianerehrenwort“ gegeben habe, nichts über „das Angebot der Staatsanwaltschaft“, dass er „rauskomme“ wenn er zugebe, „Schmiere gestanden“ zu haben, habe er „Erik alles erzählt“. Erik J. gab im Prozess allerdings an, sich an ein entsprechendes Gespräch nicht erinnern zu können. P., den er aus der Herta-Ultra-Szene kenne, habe ihm lediglich erzählt, dass er „unschuldig wegen zwei Brandanschlägen“ sitze.
Ein Polizist berichtete zudem im Prozess, dass Tilo P. bei seiner Verhaftung im Dezember 2020 gesagt habe, dass die Polizei wohl „seine DNA am Tatort platziert“ habe. Da er immer „überall rumrotze“ müsse jemand diese Spucke eingesammelt haben. Zudem gab er laut dem Polizisten an, dass „ja eh jeder weiß, wer hinter den Bränden steckt“. Für die Anwältin der Nebenklage, Franziska Nedelmann, ist das der klare Beweis, dass P. seine DNA am Tatort vermutete.
Ähnlich, nämlich dass „jeder weiß, wer hinten den Bränden steht, nämlich Sebastian T.“, soll P. sich auch gegenüber dem leitenden LKA-Ermittler E. geäußert haben. Dieser hatte P. nach dem Brandanschlag am 2. Februar 2018 vernommen, P. hatte sich nicht geäußert. Als er P. schon aus dem Gebäude heraus begleitet hatte, soll P. dann völlig unvermittelt den Satz zu E. gesagt haben. Weitere Angaben habe er auch hier nicht machen wollen. Das sagte E. im Anschluss in seiner Vernehmung vor dem Gericht am Donnerstagnachmittag aus.
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