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Das RBB-Hochhaus in der Masurenallee im im Nebel.

© imago/Schöning

„RBB könnte journalistische Glaubwürdigkeit verlieren“: Redaktionsausschuss fordert nach Fake im Fall Gelbhaar mehr Transparenz

Wegen massiver Fehler in RBB-Berichten zu Belästigungsvorwürfen gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar rumort es im Sender. Der Redaktionsausschuss fordert Aufklärung: Was wusste die Chefebene?

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Der Redaktionsausschuss des RBB hat in der Affäre um falsche Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar die Chefredaktion scharf kritisiert. In einem Schreiben an die Belegschaft mit der Überschrift „Aufklären, Verantwortung übernehmen“ forderte das Gremium am Mittwoch Transparenz zu den Vorgängen rund um die Berichterstattung. Der Redaktionsausschuss ist die gewählte Vertretung der journalistisch arbeitenden Mitarbeiter des Senders und kümmert sich um interne Konflikte in der Redaktion.

Seit der Affäre um den verschwenderischen Umgang mit dem Geld der Rundfunkbeitragszahler und um die frühere Intendantin Patricia Schlesinger stehe der RBB im besonderen Fokus der Öffentlichkeit und auch im Senderverbund der ARD. Trotz aller Verfehlungen hätte „man uns bisher eines nicht vorwerfen“ können: „schlechten Journalismus“. Aber: „Mit dem Fall Gelbhaar könnte der RBB nun auch noch Teile seiner journalistischen Glaubwürdigkeit verlieren“, heißt es in dem Schreiben.

In dem Fall gehe es auch nicht nur um die betroffenen Journalisten im Fall Gelbhaar. Offenbar habe auch das Sicherheitsnetz nicht gegriffen, das die Journalisten schützen soll. Die Rolle des Justiziariats in dem Fall und der Chefredaktion sind dem Schreiben zufolge noch unklar.

Wurden Gelbhaars Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft?

Redaktionsausschuss des RBB

Zudem wirft der Redaktionsausschuss weitere Fragen auf: „Wurden Gelbhaars Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft? Wie wurden die Autoren vom Justiziariat beraten? Was wusste der Chefredakteur und die Intendantin zu welchem Zeitpunkt in dieser Causa, was hätten sie verhindern können? Und nicht zuletzt: Warum erfolgte die Kommunikation – wie vom Chefredakteur eingeräumt – intern und extern so spät? Redakteurinnen und Redakteure des Hauses fühlten sich alleingelassen.“

Gelbhaar, seit 2017 im Bundestag und einziger Grüner mit Direktmandat in Ostdeutschland, kann infolge von Belästigungsvorwürfen nicht erneut zur Wahl antreten. Im Dezember verzichtete er auf Druck der Bundesparteizentrale darauf, für Platz zwei der Landesliste zu kandidieren. Zuvor war bekannt geworden, dass die Ombudsstelle der Bundespartei Beschwerden vorliege, er habe Frauen sexuell belästigt.

Außerdem setzte Gelbhaars Kreisverband Pankow die Wahl des Direktkandidaten neu an, nachdem er bereits im November mit 98 Prozent gewählt worden war. Bei der neuen Kandidatenwahl im Januar unterlag Gelbhaar dann Julia Schneider, die bislang im Abgeordnetenhaus sitzt. Maßgeblich befeuert wurde die Lage für Geldhaar durch einen Bericht des RBB.

Fake unter dem Signum „Szene nachgestellt“ in der Abendschau

Der Sender hatte am 31. Dezember in der Abendschau über angeblich konkrete Belästigungsvorwürfe berichtet. Am vergangenen Freitag zog der RBB alle Berichte zurück und löschte alle Beiträge dazu im Internet. Grund: Die maßgeblich, möglicherweise auch strafrechtlichen, Vorwürfe gegen Gelbhaar waren nicht zu halten.

Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden.

David Biesinger, Chefredakteur des RBB

Der RBB hatte sich auf anonyme Schreiben berufen, in denen es um K.-o.-Tropfen und Begrabschen ging. Und dem RBB lag eine eidesstattliche Versicherung vor, wonach Gelbhaar einer Frau einen Kuss aufgezwungen habe. Die eidesstattliche Versicherung stammt von einer Frau namens „Anne K.“.

Doch der RBB hatte die Identität der Frau nicht geprüft und nur mit ihr telefoniert. Dennoch hatte das Justiziariat des RBB alle Berichte zu den Vorwürfen abgesegnet. Doch dann stellte sich – auch auf Nachfragen des Tagesspiegel – heraus, dass „Anne K.“ gar nicht existiert, sondern Shirin Kreße dahinter steckt. Sie trat wegen des Verdachts am Wochenende aus der Partei aus und gab ihr Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte zurück. Sie soll auch hinter den anonymen Schreiben stecken.


Pikant: Obwohl der RBB die vermeintliche „Anne K.“ nie persönlich traf, erweckte er in der Abendschau vom 31. Dezember den Eindruck. In dem Beitrag wurde eine nachgestellte Szene gezeigt, in dem eine Reporterin mit einer Frau über ihre angeblichen Erlebnisse spricht, im Hintergrund waren die wehenden Fahnen vor der Sendezentrale in der Masurenallee zu sehen. Die verantwortliche Reporterin selbst sagte dann in der Sendung: „Bei uns geht es um sauberen Journalismus.“

„Szene nachgestellt“ – mitnichten: Die Szene, die angeblich nachgestellt wurde, gab es nie. Denn der Sender sprach nie mit „Anne K.“. Die vom – mit Rundfunkbeiträgen finanzierten – Sender nachgestellte Szene ist reiner Fake. Dazu hat sich der Sender bislang nicht geäußert, gab aber am Freitag zu, dass er getäuscht wurde – und sich hat täuschen lassen. Die Vorwürfe seien erfunden worden.

„Uns ist als RBB in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden“, sagte RBB-Chefredakteur David Biesinger am Sonntag. Der Ablauf werde nun analysiert, um „notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft daraus zu ziehen“, ergänzte ein Sprecher.

Nun deutet der Redaktionsausschuss an, dass dem Sender noch mehr Fehler unterlaufen sind. Gelbhaars Anwalt habe dem Sender vor der umstrittenen Abendschau-Sendung geschrieben und detailliert Alibis zu den angeblichen Tatzeiten für Gelbhaar vorgetragen. „Diese Aussagen sollen dem Justiziariat des RBB vorgelegen haben“, schreibt der Redaktionsausschuss. „Wann die Chefredaktion von Gelbhaars Schreiben wusste, ist bislang nicht beantwortet.“

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