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„Regelmäßig an Grenzen gestoßen“: Berlins SPD-Landesvorsitzende machen eigenen Funktionären Vorwürfe
Nach ihrem angekündigten Rücktritt werfen Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini einigen Genossen vor, sie nie als Vorsitzende akzeptiert zu haben. Wann Spitzenkandidat Steffen Krach übernehmen kann, ist offen.
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Für die Berliner SPD ist es mittlerweile geübte Praxis: Nach einem Wochenende, das erneut von einem parteiinternen Eklat überschattet war, sucht man im Landesverband nach Erklärungen – und nach einem Weg in die Zukunft.
Die scheidenden SPD-Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini, die am Sonntagnachmittag ihren vorzeitigen Rückzug zum Monatsende verkündeten, machten am Tag darauf einem Teil der Partei schwere Vorwürfe. Man habe während der gesamten Amtszeit mit einem „erheblichen Widerstand auf Funktionärsebene“ zu kämpfen gehabt, sagte Hikel bei seinem vorerst letzten öffentlichen Auftritt in der SPD-Landeszentrale, dem Kurt-Schumacher-Haus. Sowohl mit personellen als auch mit inhaltlichen Vorschlägen sei man „regelmäßig an Grenzen gestoßen“.
Als Beispiel nannte Hikel die Wahl des geschäftsführenden Landesvorstands, bei der die Wunschkandidaten von Hikel und Böcker-Giannini im Mai 2024 scheiterten. Auch Vorschläge, wie man Umverteilung in der Stadt neu denken könne – etwa indem vermögende Menschen für bisher kostenlose Leistungen zur Kasse gebeten werden –, seien abgeblockt worden. Es habe wenig Bereitschaft gegeben, „in den Gremien überhaupt darüber zu sprechen“.
Interne Wahlergebnisse waren entscheidend
Hikel und Böcker-Giannini kamen im Mai 2024 durch ein Mitgliedervotum ins Amt. Im parteiinternen Wahlkampf hatten sie sich mit einer eher konservativeren Ausrichtung profiliert und damit die meisten Berliner SPD-Mitglieder überzeugt. Sowohl im Landesvorstand als auch auf Parteitagen stellen jedoch SPD-Linke die Mehrheit, was regelmäßig zu Konflikten führte. Böcker-Giannini sprach davon, dass man „als Kandidatenduo, das nicht gewünscht war“ für viele Funktionäre „ein Stück weit Projektionsfläche“ geworden sei.
Entscheidend für den Rückzug der beiden Landesvorsitzenden waren zwei parteiinterne Wahlergebnisse: Hikel erhielt bei seiner Nominierung als Bürgermeisterkandidat für Neukölln nur 68,5 Prozent und erklärte daraufhin, die Wahl nicht anzunehmen. Das Ergebnis gebe ihm nicht genug Rückhalt für seine Politik, erklärte er.
Am Samstag scheiterte seine Co-Landesvorstizende Böcker-Giannini beim Versuch auf den Listenplatz drei ihres Kreises Reinickendorfs für die Berlin-Wahl zu kommen. Letzteres gab am Ende den finalen Ausschlag für den Rücktritt.
Kandidatenduo, das nicht gewünscht war.
Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini (SPD) über ihr Scheitern
„In fast jedem anderen Landesverband der Bundesrepublik ist es logisch, dass eine Landesvorsitzende auf Platz eins kandidiert und auch die Chance hat, ins Abgeordnetenhaus zu kommen“, sagte Böcker-Giannini am Montag. „Wir haben jetzt festgestellt, dass das in Berlin nicht der Fall ist.“ Hikel sagt mit Blick auf den Rücktritt der beiden: „Das Ruckeln innerhalb der Partei hat die Partei selbst verursacht, weil wir immer transparent waren in dem, was wir tun.“
Für Gilbert Collé, SPD-Kreisvorsitzender in Reinickendorf, reicht das Problem tiefer. „Politisches Vertrauen und Unterstützung lassen sich eben nicht erzwingen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Und beiden ist es eben nicht gelungen, im Laufe ihrer Amtszeit den Vertrauensvorschuss der Mitglieder auch in Vertrauen der Gliederungen und Gremien umzuwandeln.“
Kritik am Konzept der Mitgliederbefragungen
Collé hält das Konzept der Mitgliederbefragungen für interne Parteifunktionen deshalb für gescheitert. Die Parteivorsitzenden müssten die Mehrheit der Funktionäre widerspiegeln, sonst funktioniere es nicht. „Auch wenn es mit der Öffnung nach außen über den ‚Prozess 2035‘ und natürlich die Findung des Spitzenkandidaten auch Erfolge von beiden gegeben hat.“
Tatsächlich sah es so aus, als wenn Hikel und Böcker-Giannini mit der Nominierung von Steffen Krach als Spitzenkandidat vor wenigen Monaten den Landesverband vorerst befriedet hatten. Sowohl linke als auch konservative Sozialdemokraten begrüßten die Entscheidung. Auf dem Nominierungsparteitag vor einer Woche wurde Krach einstimmig gewählt.
Nun kommt dem Mann, der akutell noch Regionspräsident in Hannover ist, nicht nur die schwierige Aufgabe zu, die SPD wieder in die Nähe des Roten Rathauses zu bringen, sondern auch den gesamten Landesverband zu führen. Der geschäftführende Landesvorstand nominierte Krach noch am Sonntag auch als neuen Landesvorsitzenden.
Wahl von Krach soll vorgezogen werden
Wie schnell er diese neue Rolle offiziell übernehmen kann, ist aber fraglich. Regulär wäre ein neuer SPD-Landesvorstand bei einem Parteitag im Juni gewählt worden. Diese Wahl soll nun vorgezogen werden. Allerdings: Vorher müssen auch die Kreisverbände, also die SPD-Verbände auf Bezirksebene, ihre Vorstände und Delegierten neu wählen. Das sollte eigentlich im Frühjahr passieren, die Termine dürften nun ebenfalls vorverlegt werden. Trotzdem halten es einflussreiche Funktionäre am Tag nach dem verkündeten Rücktritt der bisherigen Landesvorsitzenden für unwahrscheinlich, dass ein Landesparteitag vor April oder Mai stattfinden könnte.
Bis zur neuen Wahl sollen die restlichen Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands die Partei kommissarisch führen, in enger Abstimmung mit dem designierten Parteichef Steffen Krach. Offen ist noch, ob Krach die Partei künftig allein führen wird – oder mit einer Co-Vorsitzenden. Laut Parteistatut ist beides möglich. Denkbar wäre, dass der als pragmatisch geltende Krach gemeinsam mit einer linken Genossin an die Spitze des Landesverbands gewählt wird. Dass eine weitere Co-Vorsitzende eine Frau sein müsste, ist laut Satzung vorgeschrieben.
Der Blick richtet sich auf einflussreiche Frauen in den Kreisen. Da wäre zum Beispiel Annika Klose, Co-Vorsitzende der SPD Berlin-Mitte und Bundestagsabgeordnete. Auch Rona Tietje, Co-Kreischefin in Pankow und aktuell bereits Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand, gilt als gut vernetzt. Sie wird aber dem konservativ-pragmatischen Flügel zugerechnet, was aus der Parteilogik heraus gegen sie spricht. Die Parteilinken dürften das zweite Vorstandsamt, sollte es tatsächlich eine Doppelspitze geben, für sich beanspruchen.
Eine weitere Genossin, die aufgrund ihres eindeutig linken Profils infrage käme, ist Cansel Kiziltepe, Sozialsenatorin und aktuelle Parteivize. Allerdings fragen sich SPD-Funktionäre, ob es sinnvoll wäre, ein Mitglied der schwarz-roten Regierung zur Landesvorsitzenden zu machen. (mit Valentin Petri)
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