zum Hauptinhalt
Berlin muss im kommenden Jahr rund drei Milliarden Euro einsparen. (Symbolbild)

© imago/Dirk Sattler/IMAGO/Dirk Sattler

Widerstand gegen Kürzungen im Berliner Haushalt: „Schlimmster sozialer und kultureller Kahlschlag seit mindestens zwei Jahrzehnten“

Berlin muss sparen. Die Frage ist, wo. CDU und SPD haben sich auf massive Kürzungen im Haushalt geeinigt. Die Pläne stoßen auf massive Kritik – aber auch auf vorsichtige Erleichterung.

Stand:

Die Sparpläne der Berliner Koalition stoßen bei Opposition, Verbänden und weiteren Akteuren auf Kritik und Widerstand. Am Montagabend beraten die Spitzen von CDU und SPD bei einem Koalitionsausschuss im Roten Rathaus über den finalen Sparplan, am Dienstag soll er vorgestellt werden. Doch schon im Vorfeld wurde bekannt, wo Berlin nach Plänen von CDU und SPD im kommenden Jahr drei Milliarden Euro im bislang 40 Milliarden Euro umfassenden Haushalt einsparen soll.

In der Berliner Kulturszene ist der Schock am Montag groß: Schon seit Wochen warnt man hier vor Einschränkungen im Spielbetrieb, der Insolvenz von Spielstätten und dem Verlust von Arbeitsplätzen.

„Ich bin entsetzt darüber, dass die Koalition trotz der großen Proteste und den ernsten Bedenken der Kulturschaffenden an Kürzungen für die Kultur von über zehn Prozent festhält“, sagte Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, nun am Montag der Deutschen Presse-Agentur. In dieser Höhe und so kurzfristig ließen sich Sparmaßnahmen nur „mit radikalen Einschnitten“ in die Vielfalt der Berliner Kultur umsetzen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Einsparungen von zehn Prozent bedeuteten für sein Theater in Mitte faktisch Kürzungen von rund 40 Prozent des künstlerischen Etats, rechnete Reese vor. „Natürlich sind unsere künstlerischen Planungen für die nächsten Jahre bereits gemacht. Wir versuchen nun, wo es geht, Produktionen zu verschieben, um keine Ausfallhonorare zahlen zu müssen, aber wir werden in den Spielzeiten 25/26 und 26/27 mindestens fünf Produktionen streichen müssen.“

Alle Videos aus Berlin & der Region können Sie hier ansehen

Scharfe Kritik an den umfangreichen Einsparungen im Bereich Verkehr, Klima und Umweltschutz kommt vom BUND Berlin. Man nehme die Details zu den geplanten Haushaltskürzungen „mit großer Bestürzung“ zur Kenntnis, hieß es in einer Mitteilung am Montag. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Regierungskoalition den richtigen Fokus bei den Kürzungen gewählt habe.

Als „haarsträubend“ bezeichnete es der BUND etwa, „wenn die Planungen für die Verlängerung von Straßenbahnlinien mit sehr hohem Fahrgastpotenzial eingestellt werden sollen, während offenbar geplante U-Bahn-Strecken mit eher mäßigen Erwartungen an die Fahrgastzahlen weitergeführt werden sollen“.

Auch die Streichung der Landeszuschüsse für die Beschaffung von Elektro-Gelenkbussen durch die BVG kritisierte die Umweltorganisation. Berlin schiebe seit Jahren einen Riesenberg unterlassener Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Stadt vor sich her. Die bisher bekannten Sparbeschlüsse des Senats ließen die Hauptstadt weiter den Anschluss verlieren.

Der ADAC Berlin-Brandenburg zeigt sich in einer Mitteilung ebenfalls besorgt über die geplanten massiven Einsparungen im Verkehrsbereich. „Falls die geplanten Kürzungen von rund 650 Millionen Euro zentrale Projekte zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, des ÖPNV und der Infrastruktur treffen sollten, wäre das nicht nur ein Rückschritt für die Verkehrswende, sondern auch ein Einschnitt in die Verkehrssicherheit“, warnt Martin Koller, Vorstand für Verkehr des Regionalclubs.

Auch die Streichung von rund 100 Millionen Euro für den öffentlichen Nahverkehr kritisiert der ADAC Berlin-Brandenburg. „Ein gut ausgebauter ÖPNV ist das Rückgrat der Mobilität in einer wachsenden Stadt. Der Verzicht auf den Kauf von Elektrobussen und der Stopp von Straßenbahnprojekten werden langfristig nicht nur Pendler und Fahrgäste treffen, sondern auch Berlins Klimaziele gefährden“, sagt Koller.

Deutliche Kritik kommt von der Opposition. Die Fraktionen von Grünen und Linken fordern vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eine Regierungserklärung in der Plenarsitzung am kommenden Donnerstag. Die Regierung müsse ihre Sparpolitik transparent machen. Für den Fall, dass Wegner keine Regierungserklärung abgibt, haben die beiden Fraktionen eine Aktuelle Stunde unter dem Titel „Schwarz-rote Kürzungsliste auf Kosten der Schwächsten: Senat spart sich Berlins Zukunft“ angemeldet.

„CDU und SPD müssen endlich Klarheit schaffen, wie es weitergehen soll. Wir fürchten gravierende Folgen für Berlin, zu Lasten der Schwächsten“, teilten Bettina Jarasch und Werner Graf, Fraktionschefs der Grünen, mit. Der Senat müsse sich der Debatte stellen, anstatt im Hinterzimmer Entscheidungen zu treffen. „Die Berlinerinnen und Berliner brauchen endlich Klarheit und wir brauchen eine offene Debatte in der Stadt, wie wir den Haushalt konsolidieren, ohne einen schwarz-roten Kahlschlag zu Lasten der Schwächsten.“

Anne Helm und Tobias Schulze, Fraktionschefs der Linken, sprechen in einer Mitteilung vom „schlimmsten sozialen und kulturellen Kahlschlag seit mindestens zwei Jahrzehnten“. „Steigende Kosten für Bildung, wegfallende soziale Errungenschaften, höhere Ticketpreise im ÖPNV – all das wird vor allem die Menschen treffen, die es in der anhaltenden Krise ohnehin schon schwer haben“, so Helm und Schulze. Das gelte auch für die Kürzungen bei der Kultur, „die für viele, die hier in prekären Verhältnissen arbeiten, das Aus bedeuten werden.“

Linke fordern Rücktritt von Franziska Giffey als Aufsichtsratschefin der BVG

Kristian Ronneburg, Verkehrsexperte der Linksfraktion, fordert sogar den Rücktritt von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) als Aufsichtsratschefin der BVG. „Die ersatzlose Abschaffung des 29-Euro-Tickets ist eine verheerende politische Niederlage für die schwarz-rote Koalition und ein Ausweis ihrer finanz- und verkehrspolitischen Inkompetenz“, teilte Ronneburg mit. Giffey trage „für dieses politische Chaos maßgeblich die persönliche Verantwortung“. Sie habe „enormen politischen Schaden angerichtet, den nun die Fahrgäste und die BVG wieder ausbaden müssen“, so Ronneburg weiter. Zudem müsse die BVG das Ticket, nachdem es gerade seit 21 Wochen überhaupt gültig ist, jetzt wieder rückabwickeln. Deshalb solle Giffey „als Vorsitzende des Aufsichtsrates der BVG sofort von ihrem Amt zurückzutreten“, so Ronneburg. „Sie sollte keinerlei politische Verantwortung mehr für das Unternehmen BVG übernehmen, es ist zu viel Vertrauen verspielt worden.“

Daniela Kluckert, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der FDP Berlin, lobte die von der Koalition geplante Streichung des 29-Euro-Tickets. Doch der Senat müsse mehr in die Instandhaltung und Modernisierung des ÖPNV investieren, forderte sie. „Das Jahr 2024 wird uns als eines der krisenhaftesten für die BVG in Erinnerung bleiben“, teilte Kluckert mit. Es brauche dringender denn je neue Fahrzeuge, mehr Personal sowie ausgebaute, moderne Infrastruktur.

Kristin Brinker, Vorsitzende und Haushaltsexpertin der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, lobte die geplanten Einsparungen bei den Elektrobussen der BVG und der Straßenbahnlinie durch die Leipziger Straße. Kritik übte sie dagegen an aus ihrer Sicht fehlenden Kürzungen im Bereich der Migration, obwohl hier aus ihrer Sicht „enorme Summen eingespart werden könnten“. Zudem schaffe die Koalition durch die Idee zu alternativen Finanzierungsmodellen „Schattenhaushalte“, so Brinker. „Zusätzlich werden die landeseigenen Unternehmen durch die ihnen aufgezwungene zusätzliche Kreditaufnahme unnötig belastet und ihre Wirtschaftlichkeit gefährdet.“

Verdi kündigt Proteste an

Verdi will in den kommenden Wochen gegen die geplanten Kürzungen protestieren. Die Gewerkschaft kündigte nach Bekanntwerden der geplanten Kürzungen solidarischen Protest mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft gegen „den geplanten Kahlschlag durch den Berliner Senat“ an. Geplant sind unter anderem eine Kundgebung vor dem Landesparteitag der SPD am Samstag und eine Demonstration vor dem Roten Rathaus am 11. Dezember.

Verdi verlangt, dass die Koalitionäre die Gehälter der Landesbeschäftigten sichern, die Mitarbeitenden der Töchter von Charité und Vivantes mit den Stammbelegschaften gleichstellen, die kulturellen Angebote der Stadt auskömmlich finanzieren und die bisher als Honorarkräfte beschäftigten Musikschullehrkräfte in Festanstellungen überführen. Außerdem sollen sich alle Parteien im Bundestagswahlkampf für eine Reform der Schuldenbremse einsetzen.

„Wir werden uns nicht von vermeintlichen Sachzwängen erpressen lassen, die die gleichen Parteien geschaffen haben, die uns jetzt die Kürzungen als alternativlos präsentieren“, sagte Verdi-Landesbezirkschefin Andrea Kühnemann. „Wenn CDU und SPD zurück wollen in die Sarrazin-Jahre, in denen diese Stadt schon einmal kaputtgespart wurde“, müssten sie mit Widerstand rechnen.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sorgt sich um eine gerechte Ausgestaltung der Sparpläne der Berliner Koalition. Es gehe vor allem um die Frage, wie eine sozial gerechte Aufteilung möglich sei, sagte der stellvertretende Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Martin Hoyer, dem RBB am Montag. „Da haben wir Sorgen.“

Dass die Einsparungen vor allem den Verkehrs- und Umweltbereich treffen sollen, beruhige den Paritätischen nicht, sagte Hoyer. Erleichterung stelle sich noch nicht ein. „Kürzungen sind Kürzungen.“

Bei der Berliner Polizei zeigte man sich am Montag hingegen vorsichtig optimistisch. „Es scheint, als hätten CDU und SPD uns zugehört und den Rasenmäher für 2025 in der Garage gelassen“, teilte Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei in Berlin, mit. Innere Sicherheit sei kein Wahlgeschenk, sondern zentrale Aufgabe des Staates. „Jeder, der sich die Zahlen angesehen hat, weiß, dass bei Polizei und Feuerwehr in dieser Stadt nichts mehr zu holen ist“, so Jendro. Daher appelliere er an die Koalitionäre, „dass sie auch bei der Suche nach den letzten noch einzusparenden Millionen nicht auf komische Ideen kommen“. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })