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„Zum Spontankauf verleitet“: Wie Berliner Schüler Online-Werbung erkennen – und sicher mit Finanzen umgehen
Ein Rabattcode in der Insta-Story und schon klicken viele auf „kaufen“. Wie junge Menschen bei Geldfragen selbstbewusst handeln, will ein Bildungsprojekt ihnen beibringen.
Stand:
Frau Rusin, worum geht es in Ihrer Keynote bei der Tincon?
Unsere Keynote heißt „Klick, Cash, Chaos – Wie du online sicher mit Finanzen umgehst“. Es geht darum, wie Werbung, Trends und Finfluencer:innen unser Geldverhalten beeinflussen – und das oft, ohne dass wir es merken. Ein Streamer, der nebenbei für eine Krypto-App wirbt. Ein Rabattcode in einer Instagram-Story, der zum Spontankauf verleitet. Oder ein „Buy-Now, Pay Later“-Angebot im Onlineshop.
In diesen Situationen lassen wir bewusst oder unbewusst unser Kaufverhalten von Algorithmen, Trends oder Finfluencer:innen steuern. In der Keynote zeige ich, wie wir diese Mechanismen durchschauen können – und warum es wichtig ist, bei Geldfragen nicht einfach blind jedem Hinweis zu folgen, sondern selbst den Überblick zu behalten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für selbstbestimmtes Handeln im Umgang mit Finanzen?
Ein gutes Beispiel ist der Umgang mit „Buy Now, Pay Later“-Angeboten. Viele wissen nicht, dass sie damit einen Kauf auf Kredit abschließen, inklusive möglicher Zinsen und Mahngebühren. Wer solche Angebote wirklich hinterfragt und die Folgen versteht,
entscheidet sich dann oft bewusst dagegen. Schüler:innen lernen bei Invest it!, diese Angebote zu verstehen und selbstbewusst die richtige Entscheidung zu treffen, wenn etwas nicht zu ihrem Budget passt.
In welchen anderen Situationen ist selbstbestimmtes finanzielles Handeln gefragt?
Oft wird mit Zeitdruck oder Verknappung gearbeitet, etwa durch Sätze wie „Nur heute gültig“ oder „Nur noch drei Stück verfügbar“. Solche Angebote können unter Druck setzen. Soziale Medien verstärken diese Effekte durch algorithmisch verdichtete Wiederholungen und Reaktionen im Umfeld. Wer selbstbestimmt handeln will, muss diese Muster erkennen und sich eigene Regeln setzen. Was brauche ich wirklich? Was passt zu meinem Leben? Wie spontan kaufe ich Dinge, die etwas teurer sind?
Was ist das Grundproblem bei Finfluencer:innen?
Nicht jeder Influencer und jede Influencerin ist schlecht. Es gibt, ganz im Gegenteil, auch sehr guten Finanz-Content im Netz. Finfluencer:innen verknüpfen Inhalte zu Geld- und Anlagethemen häufig mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. Sie bekommen zum Beispiel Geld oder Provisionen, wenn sie Finanzprodukte empfehlen. Oft wird das aber nicht deutlich genug gemacht.
Ihre Tipps wirken dann neutral, sind aber in Wirklichkeit Teil eines Verkaufs. So verschwimmt die Grenze zwischen Bildung und Werbung – und das ist das Problem. Junge Menschen halten die Inhalte für unabhängig, obwohl dahinter oft ein Verkaufsziel steckt. Diese Intransparenz führt zu einer Verschiebung von Bildung hin zur Vermarktung.
Woran erkennen Jugendliche seriöse Finfluencer:innen?
Indem sie die Inhalte hinterfragen. Seriöse Finfluencer:innen machen Werbung klar kenntlich, benennen ihre Quellen und erklären auch die Risiken. Sie versprechen keine schnellen Gewinne und bleiben bei den Fakten. Junge Menschen – und natürlich auch Erwachsene – sollten Inhalte deshalb stets hinterfragen. Wird genau erklärt, wie ein Produkt funktioniert? Wird auf mögliche Nachteile hingewiesen? Oder wird in den Beiträgen stark emotionalisiert?
In unseren Unterrichtsstunden üben wir mit Schüler:innen auch genau das: kritisch verschiedene Finanzinhalte von TikTok oder Instagram zu prüfen. Schüler:innen lernen bei uns, die Absicht hinter der Präsentation zu erkennen. Denn zwischen Alltagstipps und Motivation tauchen oft Produktempfehlungen auf, die wie ehrlicher Rat wirken, in Wirklichkeit aber Werbung sind.
Und klar, Finfluencer:innen müssen auch Geld verdienen – aber eben bestenfalls mit klarer Kennzeichnung von Werbung und der verantwortungsvollen Auswahl von Werbepartner:innen.
Welche Themen behandeln Finfluencer:innen typischerweise? Was ist im Trend?
Finfluencer:innen sprechen häufig über ETFs, Kryptowährungen und andere Anlagemethoden. Diese Themen werden oft stark vereinfacht, emotional aufgeladen und mit persönlichen Erfolgsgeschichten verknüpft, meist unter dem Deckmantel des Empowerments. Der Trend geht zu Finanzinhalten in einfacher Sprache, die schnelle Lösungen versprechen und dabei individuelle Verantwortung betonen. Kritische Einordnungen oder Hinweise auf Risiken bleiben dabei oft aus.
Ebenso ist es aber auch wichtig zu betonen, dass es Finfluencer:innen gibt, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Dennoch müssen auch diese ihre Inhalte monetarisieren und Produktplatzierungen in ihre Inhalte einbauen.
Wie lässt sich das den Schüler:innen vermitteln?
Wir sagen Schüler:innen nie, wem sie folgen sollen, sondern wie sie lernen, Inhalte zu hinterfragen und informierte Entscheidungen zu treffen. Teilweise gibt es auch Finfluencer:innen in Nischen wie zum Beispiel Immobilien, wo falsche Anlagetipps besonders gravierende Folgen haben. Hier gilt besondere Vorsicht.

© Lukas Renk
Können Sie konkrete Finfluencer:innen empfehlen?
Konkrete Empfehlungen können wir nicht aussprechen, da dies nicht vereinbar mit unserer Unabhängigkeit ist. Uns interessiert nicht, wer spricht, sondern wie. Geht es ums Helfen oder um Likes? Sobald Bildung beginnt, Prominenz zu zitieren, verliert sie ein Stück ihrer Unabhängigkeit.
Bei Invest it! schauen wir uns mit Schüler:innen und Lehrkräften beispielsweise an, wie Finfluencer:innen arbeiten. Welche Sprache nutzen sie? Welche Emotionen werden getriggert? Ist das Wissen oder nur Meinung in Hochglanz? Wird die Werbung wirklich transparent gemacht? Wichtig ist, ob ein Inhalt nachvollziehbar erklärt, Risiken benennt und wirtschaftliche Interessen offenlegt. Die Bewertung dieser Kriterien gehört zur Kompetenzentwicklung.
Welche Bildungsangebote bietet Invest it! für Schulen?
Mit unserem Angebot wollen wir jede Lehrkraft dazu befähigen, finanzielle Bildung selbstsicher, zielgruppennah und handlungsorientiert zu unterrichten. Im Mittelpunkt stehen dabei unsere Fortbildungen für Lehrkräfte, der Materialkoffer für die Sekundarstufe I und II und unser Zertifizierungsprogramm für ganze Schulgemeinschaften, die „Finanzbildungsschule“.
Unsere Fortbildungen sind praxisnah und sowohl digital als auch analog verfügbar. Sie befähigen Lehrkräfte dazu, Finanzbildung mithilfe des Materialkoffers zu vermitteln.
Was enthält dieser Materialkoffer?
Er enthält direkt nutzbare und zielgruppennahe Unterrichtseinheiten zu Themen wie Zahlungsverkehr, Haushaltsplanung, Schulden, Versicherungen, Anlage und Konsumentscheidungen – didaktisch aufbereitet und flexibel anpassbar. Die Inhalte sind fachlich fundiert, alltagsnah und an der Lebenswelt junger Menschen orientiert.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel erklären wir Steuern anhand des Streamers MontanaBlack. Alle Materialien lassen sich flexibel in diverse Fächer wie zum Beispiel Politik, Wirtschaft oder Fremdsprachen integrieren. Ziel unserer Fortbildungen ist es, Lehrkräfte zu ermutigen statt zu überfordern – und ihnen zu zeigen, wie sie finanzielle Bildung niedrigschwellig in ihren Unterricht integrieren können. Denn wer Finanzbildung vermittelt, braucht nicht nur Wissen, sondern Vertrauen in die eigene Wirksamkeit.
Zudem entwickeln wir aktuell auch Materialien für die Grundschule, die wir an ausgewählten Schulen testen. Im Zentrum steht das Eichhörnchen Cashy, das gemeinsam mit seinen Freund:innen spielerisch durch die Welt des Geldes reist.
Wie ist ein Workshop für Schüler:innen aufgebaut, den Sie anbieten?
Unsere Unterrichtseinheiten sind erlebnisorientiert, interaktiv und alltagsnah gestaltet. Jugendliche setzen sich dabei mit realen Entscheidungssituationen auseinander. Sie simulieren Konsumentscheidungen, analysieren Social-Media-Clips oder evaluieren verschiedene Kreditangebote. Ziel ist es, die eigene Urteilskraft zu stärken und finanzielle Selbstverantwortung spielerisch – direkt im Unterricht – zu trainieren.
Was genau umfasst Ihr Zertifizierungsprogramm für Schulen?
Wir unterstützen mit unserem Zertifzierungsprogramm ganze Schulgemeinschaften dabei, Finanzbildung in Kooperation mit uns nachhaltig an ihrer Schule zu verankern. Gemeinsam mit der Schule organisieren wir hierfür zum Beispiel eine eigene Arbeitsgruppe und verankern finanzielle Bildung als Schulentwicklungsziel.
Am wichtigsten ist aber natürlich, dass wir an der Schule alle erforderlichen Lehrkräfte fortbilden und sie dabei unterstützen, finanzielle Bildung in den Schulunterricht einzubetten.
Mit welchen Schulen kooperieren Sie?
Wir arbeiten mit allen Schulen, die Interesse an praxisnaher Finanzbildung haben, unabhängig von Schulform oder Bundesland. Ob einzelne Lehrkräfte, engagierte Schüler:innen oder Schulleitungen: Wer motiviert ist, kann mit uns starten. Wir freuen uns über jede Schule, die Finanzbildung in den Schulalltag integrieren möchte.
Sollte es ein eigenes Schulfach für Finanzbildung geben?
Ja, auf jeden Fall! Ideal wäre es, finanzielle Bildung ab der 8. oder 9. Klasse als eigenes Fach anzubieten, wenn Schüler:innen erstmals mit finanziellen Entscheidungen konfrontiert werden. Wenn das nicht klappt, lässt sich Finanzbildung aber auch problemlos in bestehende Fächer integrieren. Das ist auch der erste wichtige Schritt, den viele Bundesländer jetzt gehen müssen – anstatt zu sehr auf externe Partner:innen zu setzen, die versuchen, den Raum Schule einzunehmen.
Gibt es unabhängige Finanz-Apps für Jugendliche?
Bisher gibt es noch keine wirklich unabhängigen Finanz-Apps für Jugendliche. Invest it! entwickelt aber derzeit die App „Linum“, die speziell für diese Zielgruppe konzipiert ist. Linum ist werbefrei und hilft Jugendlichen dabei, ihre Ausgaben und Einnahmen im Blick zu behalten.
Welche Rolle kann KI in der Finanzbildung spielen?
Künstliche Intelligenz kann Informationen bereitstellen, Muster erkennen und personalisierte Lernzugänge eröffnen. Sie ersetzt jedoch nicht die Fähigkeit, Informationen kritisch zu prüfen. Sie ist kein Ersatz für Bildung, aber ein Werkzeug, das sie zugänglicher
machen kann, wenn wir sie richtig einsetzen.
Wir sollten reflektieren, wann wir Künstliche Intelligenz brauchen und wann wir sie besser infrage stellen. Finanzbildung bleibt eine Frage der Haltung, nicht der Automatisierung. Sie kann Lehrkräften aber dabei helfen, sich schnell in unbekannte Themen einzufinden und zu diesen einen Überblick zu erhalten.
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