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Die Grünen haben Fehler gemacht im Umgang mit Vorwürfen gegen ihren Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar – das räumt der Vorstand ein.

© Hannes P. Albert/dpa

Update

Sonderbericht im Fall Gelbhaar : Berliner Grünen-Führung räumt Fehler ein, doch will Vorwürfe nicht bewerten

Nach langem Warten veröffentlicht die Sonderkommission im Fall Gelbhaar ihren Bericht und sieht schwere Fehler bei den Grünen. Ein Urteil über den Politiker will die Parteispitze jedoch nicht treffen.

Stand:

Die Führung der Grünen blickt selbstkritisch auf ihren Umgang mit Belästigungsvorwürfen gegen den früheren Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar und will keine abschließende Bewertung über das Verhalten des Politikers vornehmen. Das teilte der Bundesvorstand um die beiden Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak in einer Stellungnahme zum am Donnerstag veröffentlichten Kurzbericht der internen Sonderkommission mit.

Man sei unter anderem angesichts der nahen Bundestagswahl mit dem Fall „strukturell überfordert“ gewesen. „Leidtragende sind Stefan Gelbhaar, ebenso meldende Personen, denen nach Aufdeckung der falschen Identität einer anderen Meldung zunächst nicht mehr ausreichend Vertrauen in ihre Schilderungen geschenkt wurde.“ Man sei damit der Verantwortung gegenüber allen Beteiligten nicht gerecht geworden. Zuvor hatte der „Stern“ berichtet.

Zugleich könne und wolle man „dem Wunsch nach einer eindeutigen und finalen Klärung im Sinne einer Rehabilitation oder Sanktionen nicht gerecht werden“, teilte der Bundesvorstand mit. So habe es im Zusammenhang mit Gelbhaars Verhalten gegenüber Parteimitgliedern sechs Meldungen gegeben, die über das Auffliegen der Falschbehauptungen gegen Gelbhaar hinaus aufrechterhalten worden seien. Mit fünf der meldenden Personen hätten Gespräche stattgefunden, heißt es im Bericht.

Sie hätten „Erfahrungen und Beobachtungen berichtet, die nicht strafrechtlich relevant sind, aber als grenzverletzend, unangemessen oder übergriffig wahrgenommen wurden“, schreibt der Bundesvorstand in seiner Stellungnahme. Allerdings könne die Kommission den Anspruch, eine finale Einordnung der Meldungen und ihres Wahrheitsgehaltes vorzunehmen, „genauso wenig erfüllen, wie das Ombudsverfahren dazu in der Lage gewesen wäre“. Entsprechend sehe sich auch die Parteispitze nicht dazu in der Lage, auf dieser Basis ein Urteil über Gelbhaar zu fällen.

Bundesvorstand räumt Fehler ein

In diesem Zusammenhang räumt der Bundesvorstand auch selbst Fehler ein. Die Grenzen des Ombudsverfahrens hätte man eher erkennen müssen. Und damit auch der „unerfüllbaren Erwartung“ daran früher und klarer entgegentreten müssen.

Zugleich macht die Sonderkommission in ihrem Bericht der Ombudsstelle der Partei schwere Vorwürfe. Dass die Stelle zeitgleich zum Eingang erster Meldungen am 11. Dezember den Bundes- und Landesvorstand der Partei informiert habe, sei „verfrüht und somit einen Fehler“ gewesen. Auch die nahe Listenaufstellung für die Bundestagswahl habe dafür keinen überzeugenden Grund geboten.

Anlass zur Skepsis hätte auch der Eingang mehrerer Meldungen innerhalb weniger Minuten geben müssen. Dass dies koordiniert erfolgt sein müsse, sei sehr wahrscheinlich, schreibt die Kommission und erklärt: „Unzweideutig ergibt sich im vorliegenden Fall die Nutzung des Ombudsverfahrens für politische Zwecke.“

Statt Gelbhaar vor der Listenaufstellung zu einem Verzicht auf die Kandidatur zu bewegen, hätte man ihn auch antreten lassen können. So wäre „ein öffentlicher Hinweis auf die Unschuldsvermutung angesichts unbekannter Vorwürfe und auf ihre Klärung innerhalb eines Ombudsverfahrens ebenso möglich und vorzugswürdig gewesen“.

Die Grünen hatten am 30. Januar die frühere schleswig-holsteinische Justizministerin Anne Lütkes und den langjährigen Bundestagsabgeordneten und Mitglied des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Jerzy Montag, mit der Aufarbeitung beauftragt.

Der Bericht soll vor einigen Wochen fertig geworden sein und wird nur in einer 25-seitigen Zusammenfassung veröffentlicht, was mit dem Schutz persönlicher Daten begründet wird. Die ungefähr doppelt so lange Originalversion liege nur dem Bundesvorstand vor, hieß es.

Fall hatte massive Konsequenzen für Stefan Gelbhaar

Nachdem die Vorwürfe gegen Gelbhaar bekannt und Thema in den Medien wurden, verlor er seine Direktkandidatur für den Wahlkreis Pankow. Zuvor hatte er schon seinen Verzicht auf die Kandidatur auf der Landesliste der Berliner Grünen erklärt.

Der RBB musste Teile seiner Berichterstattung zurückziehen. Im Kern waren Zweifel an der Identität einer der Frauen aufgekommen, die dem Sender von Vorwürfen berichtet hatten. 

Unklar ist, wie es nach Abschluss des Berichts politisch mit Stefan Gelbhaar weitergehen wird. Die Berliner Grünen hatten zuletzt immer wieder erklärt, dass sie vom Bundesvorstand eine Klärung des Falls und damit auch eine politische Entscheidung über den weiteren Umgang mit dem Pankower Politiker fordern. Diese bleibt nun aus.

Der Umgang mit Stefan Gelbhaar liegt nun wieder beim Kreisverband Pankow

Der Bundesvorstand der Grünen spielt den Ball stattdessen zurück. Die Meldungen gegen Gelbhaar berührten „Fragen des gleichberechtigten Miteinanders, des Respekts vor den Grenzen anderer, die Reflexion von aus politischen Positionen erwachsenden Machtverhältnissen“, zu denen sich eine Organisation verhalten müsse, erklärt die Parteispitze und stellt klar: „Dies kann allerdings weder eine Ombudsstelle, noch eine Kommission und auch kein Vorstand auf welcher Ebene auch immer stellvertretend für die Organisation tun.“ Die Entscheidung über Personalaufstellungen obliege demnach immer den jeweiligen Wahlversammlungen – also den Mitgliedern des Landes- und Kreisverbands.

Insbesondere im Kreisverband Pankow könnte dies zu weiteren Spannungen führen. Dort sind die Mitglieder über den Umgang mit Stefan Gelbhaar gespalten. Insbesondere unter den etablierten Mitgliedern finden sich viele langjährige Unterstützer des ehemaligen Bundestagsabgeordneten. Ein anderer Teil hingegen hatte für Gelbhaar zuletzt keine Zukunft in der Partei mehr sehen wollen.

Gelbhaar spricht von „albtraumhaften“ Erfahrungen

Die Berliner Landesvorsitzenden gingen auf diese Fragen in ihrer Stellungnahme nach Veröffentlichung des Berichts nicht ein. Es sei gut, dass der Bundesvorstand „Transparenz herstellt und damit die Aufarbeitung der vergangenen Monate nun abgeschlossen wird“, teilten sie mit.

Die bestehenden Beschwerdestrukturen seien „an ihre Grenzen gestoßen“. Zugleich sei sichtbar geworden, dass auch innerhalb von Parteien ein Bewusstsein über Machtgefälle bei zwischenmenschlichen Kontakten unabdingbar sei. „Auch das werden wir in der Weiterentwicklung unserer Strukturen berücksichtigen“, erklärten sie.

Durch die Veröffentlichung des Berichts sei „die Aufklärung der gegen mich gerichteten falschen Vorwürfe in einem wichtigen Aspekt vorangekommen“, erklärte Gelbhaar selbst. Demnach hätten die ehemalige grüne Bezirkspolitikerin Shirin Kreße und weitere Personen „die Schwächen des Ombudsverfahrens bei uns Grünen bewusst ausgenutzt“.

So habe das „Fehlen klarer Satzungen und Strukturen“ das Ombudsverfahren zu einem „albtraumhaften, nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendem Procedere“ für ihn gemacht. Er selbst werde den Bericht „auch im Hinblick auf das weitere Vorgehen“, nun sorgfältig auswerten, sagte Gelbhaar.

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