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Notfalls mit dem Zug: Um die Impfquote zu steigern, müssen kreative Ideen her.

© dpa

Sprachproblem blockiert Impfkampagne: Sprecht sie an - aber richtig!

Menschen mit Migrationsgeschichte sind seltener geimpft als andere. Das hat Gründe – und lässt sich ändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Kiesel

Dass pauschale Aussagen zur Impfbereitschaft von Menschen mit Migrationsgeschichte nach hinten losgehen können, hatte vor knapp einem Jahr Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), persönlich erfahren müssen.

Medienberichte über dessen Aussage, hohe Corona-Fallzahlen unter Migrant:innen dürften nicht tabuisiert werden, entfachten eine heftige Debatte. Migrantenorganisationen warfen Wieler und anderen vor, frei von wissenschaftlicher Erkenntnis Vorurteile zu schüren.

Zumindest der Mangel an Empirie ist nun geheilt. Einer vom RKI in Auftrag gegebenen Studie zufolge liegt die Impfquote bei Menschen mit Migrationsgeschichte zwar leicht unter der ihrer in Deutschland verwurzelten Nachbarn; die Ursachen dafür sind aber nicht kulturell begründet.

Sozioökonomische Merkmale wie Bildung und Einkommen, das Alter der Person oder Diskriminierungserfahrungen im Gesundheits- und Pflegebereich können die Unterschiede zum Teil erklären, heißt es.

Die mit Abstand größte Wirkung aber würden Sprachbarrieren entfalten. Sie verhindern die Ansprache. Je besser die Deutschkenntnisse, umso höher ist die Impfquote.

Hilfreiche Studie

Wie bei anderen Untersuchungen muss auch in diesem Fall die Frage gestellt werden: Wem nützt diese Studie, warum wird sie eigentlich erstellt und was folgt daraus?

Die Antworten sind vergleichsweise einfach: Probleme lassen sich erst dann lösen, wenn sie erkannt wurden. Werden diese Daten also erhoben, um ein mit ihrer Hilfe erkanntes Problem zu lindern und die Situation zu verbessern, sind Umfragen wie die des RKI sinnvoll.

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Werden Daten jedoch erhoben und benutzt, um das identifizierte Problem selbst zum Thema zu machen und nicht dessen Lösung, ist ihre Sammlung nicht nur hinderlich, denn sie richten Schaden an.

Die Studie des RKI zum Verhältnis von Impfverhalten und Migrationshintergund benennt konkrete Ursachen eines Problems und ist daher hilfreich. Sie erweist dem vom allergrößten Teil der Gesellschaft geteilten Anliegen, die seit zwei Jahren andauernde Pandemie durch das Impfen aus unserem Alltag zu drängen, einen Dienst.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (Mitte, SPD) warb bereits vor Wochen für dezentrale Impfaktionen.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (Mitte, SPD) warb bereits vor Wochen für dezentrale Impfaktionen.

© Annette Riedl/dpa

Wenn die Impfbereitschaft bei Menschen mit Migrationshintergrund also besonders hoch ist, wie die Studie zeigt, muss der Schluss lauten: Wie kommt die Impfung zu diesen Menschen?

Daher lag Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey Anfang des Jahres gar nicht so falsch. Eine aufsuchende Kampagne mit Impfaktionen in ausgewählten Kiezen hatte sie schon damals gefordert.

Weil sie dabei aber vor allem auf die vermeintliche Impfskepsis der Migranten-Communities zielte, wurde sie dafür scharf kritisiert. Zu Recht, wie die Studie belegt, denn die mutmaßliche Neukölln-Kennerin lag falsch: Die Impfbereitschaft unter den Ungeimpften mit Migrationshintergrund ist sogar größer als im Rest der Bevölkerung.

Erneut Kritik an Aussagen Giffeys

Nicht die Gruppenzugehörigkeit als solche sorgt also für die Lücke bei der Impfquote. Giffey hatte das in ihren Aussagen nicht ausreichend deutlich gemacht. Bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag musste sie deshalb erneut Kritik einstecken. Die Journalistin Mosjkan Ehrari warf Giffey vor, mit ihren Aussagen zu spalten, weil sie mit dem Finger auf Einzelne zeige.

Jetzt ist klar: Es muss deutlich stärkere Bemühungen geben, die seit Wochen stagnierende Impfquote allgemein – aber ausdrücklich auch in migrantischen Communities – zu erhöhen. Gefragt sind nicht Pauschalurteile, sondern der Abbau bestehender Hürden, von denen das RKI einige aufzählt.

Die zu Jahresbeginn von Giffey vorgeschlagene Kampagne mit Impfangeboten in Familienzentren oder Nachbarschaftstreffs ist dafür eindeutig der geeignete Weg. Damit sie endlich auch ins Laufen kommt, müssen jetzt aber auch diejenigen von den Angeboten erfahren, die bislang offenbar zu wenig verstanden haben.

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