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Auch Kinder brauchen Entspannung. Yoga stärkt außerdem das Selbstvertrauen und hält fit.

© FatCamera/ Istock

Kinderyoga: Stressabbau für die Kleinen

Kinderyoga ist nicht nur etwas für den Hipster-Nachwuchs. Bereits vor 25 Jahren hat in Kreuzberg eine Grundschullehrerin mit Erstklässlern Übungen gemacht. Sie wollte den Stresslevel in ihrer Klasse senken.

Das ist doch kein Sport. Und dann diese gefühlige Sprache. Da gehen doch nur Kinder von Wollsockenträgern hin. Kann sie nicht einfach was Vernünftiges machen, Fußball oder so? Die Reaktionen waren oft eindeutig, wenn ich im Gespräch erwähnte, dass meine Tochter zum Kinderyoga geht.

Na und? Sie liebt es: Das Anfangsritual, bei dem die Kleinen im Kreis sitzen, ein Sorgensäckchen herumgereicht wird und eines der Kinder alle Dinge, die belasten, nach draußen tragen und ausschütteln darf. Sie mag die Übungen auf der Matte, dort brüllen die Kinder wie Löwen, begrüßen die Sonne, die Erde, den Mond, und das alles in einem bestimmten Bewegungsablauf, der die Wirbelsäule auf unterschiedliche Weise bewegt. Sie versuchen auf einem Bein zu stehen, so fest wie ein Baum, sie bilden mit ihren kleinen Körpern allerlei Pflanzen nach und imitieren Tiere.

Aus Verzweiflung machte die Lehrerin improvisierte Übungen mit den Kindern

Ein Modetrend? Das wird gern behauptet. Schließlich werden immer mehr Kinderyoga-Kurse angeboten – in Kitas, Schulen und Studios. Zu verdanken ist dies aber im Wesentlichen einer Grundschullehrerin aus Kreuzberg: Petra Proßowsky, heute 69 Jahre alt und offiziell längst im Ruhestand. Sie ist mittlerweile Autorin von knapp zwei Dutzend Kinder-Yoga-Lehrbüchern und CD's. Darüber hinaus hat sie die Kinderyoga-Lehrer-Ausbildungsschule „ProYoBi“ in Mecklenburg gegründet und gibt noch immer ihr Wissen an unzählige Erwachsene weiter.

Es ist mehr als 25 Jahre her, da stand sie völlig verzweifelt vor ihrer Klasse und dachte: „Ich schaffe das nicht mehr.“ „Fix und fertig“ sei sie damals gewesen an der Niederlausitz-Grundschule, erinnert sich Petra Proßowsky bei einer Bionade in einem Schöneberger Café. Es fällt schwer, der Frau mit der ruhigen Stimme, die so unaufgeregt erzählt und harmonisch in sich ruht, zu glauben, dass sie damals in ihrem Job resigniert hatte. Es war das Jahr 1990, Berlin kurz nach der Wende, an ihrer Schule im Postzustellbezirk SO36 waren Schüler aus vielen verschiedenen Nationen. Es gab eine Menge Aggression, die Toleranzschwelle lag niedrig und „Hurensohn“-Beschimpfungen unter den Jungen gehörten zum Alltag.

„Jetzt schließt mal die Augen und macht einfach nichts“, sagte sie den Erstklässlern eines Tages spontan in ihrer Verzweiflung. Sie dachte sich eine Geschichte aus von einem Vogel, der jedem nur gute Gedanken bringt. „Die haben wirklich mitgemacht. Am nächsten Tag fragten sie mich, ob wir das wieder machen.“ Eine Idee war geboren.

Geburtsstunde des Kinderyoga

Kinderyoga gab es noch nicht. Aber Proßowsky, die selbst seit den 80er Jahren Yoga machte und eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin absolviert hatte, dachte sich ein eigenes Konzept für die Kinder aus: Sie improvisierte Bewegungsabläufe, textete Verse dazu und erfand für die Entspannung am Ende der Stunde Fantasiereise-Geschichten. Yoga für Kinder hat im Grunde dieselben Elemente wie für Erwachsene, „aber ist weniger auf den Atem fokussiert, das können Kinder noch nicht so sehr, sondern spielerisch auf bestimmte Bewegungen“, beschreibt Proßowsky.

Was als „Yoga-AG“ für die Erstklässler startete, wurde bei den Kindern so beliebt, dass die Eltern – egal ob Deutsche, Türken oder Araber – darauf drängten, dass Yoga fest auf den Stundenplan kam. Einige Mütter, die ihre Kinder morgens zur Schule brachten, freuten sich, wenn sie am „Guten-Morgen-Yoga“ auch teilnehmen durften. Mit Hilfe der Schulleitung wurde die Niederlausitz-Grundschule die erste, die Yoga als Pflichtfach anbot. Vor allem deshalb, weil nicht nur die Lehrer, sondern auch die Eltern merkten, wie ihre Kinder sich verändert hatten. Hibbelige Schüler seien ruhiger geworden, der Ton unter den Kindern klang respektvoller, viele konnten sich besser konzentrieren.

Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich erwiesen

All das haben seither zahlreiche wissenschaftliche Studien nachgewiesen. So hat Marcus Stück, Professor an der Universität Leipzig und Pionier der Kinderyoga-Forschung herausgefunden, dass die Kleinen, die regelmäßig die Übungen machen, stressresistenter sind, Emotionen besser regulieren und sich besser konzentrieren können. Die Wissenschaftlerin Suzanne Augenstein hat für ihre Dissertation an der Universität Duisburg Essen ein Kurzzeitprogramm für Grundschüler entwickelt. Beraten ließ sie sich damals von Petra Proßowsky, die zu jener Zeit bereits ihre eigenen Konzepte als Kinderyoga-Bücher veröffentlicht und sich einen Namen als Expertin und Erfinderin von Übungsreihen gemacht hatte. Auch in Augensteins Studie waren die Ergebnisse positiv: die Motorik und Körperwahrnehmung haben sich verbessert, ebenso wie das Sozialverhalten, aber auch die subjektive Zufriedenheit der Kinder.

Proßowsky, die neben ihrer Tätigkeit an der Yoga-Schule in Mecklenburg auch für den Landessportbund Berlin Erzieher, Lehrer und Sportvereinsmitglieder ausbildet, ist überzeugt, dass nicht nur die Kinder von Akademikern aus Prenzlauer Berg oder dem hippen Teil Kreuzbergs von der positiven Wirkung des Yoga profitieren: „Wenn es in allen Kitas und Schulen angeboten wird, haben auch alle Kinder, egal welcher Herkunft, etwas davon.“

Mit Transparenz gegen Klischees

Alle Vorurteile und Klischees zum Yoga kennt sie. Proßowskys Motto damals als Lehrerin war stets, das Kinderyoga „so transparent wie möglich zu machen“ und zu zeigen, dass das gar nichts mit Räucherstäbchen, Kopfstand und bunten Batikgewändern zu tun hat. Auf heilige Mantras, wie „Oooomm“-Gesänge oder den yogischen Namasté-Gruß mit den Händen vorm Herzen sowie überhaupt alles, was ins Religiöse gedeutet werden kann, verzichtete sie. „Jedes Sommerfest, jedes Laternenfest habe ich dazu genutzt, dass es ein paar Yoga-Vorführungen zum Mitmachen gab“, erzählt sie. Einmal habe sie auf einem der Schulfeste die Übungen mit indischer „Bollywood-Musik“, die gerade sehr angesagt war, angeboten. Das hätten auch die Eltern so gut gefunden, dass viele mitmachten und sich später zudem die Musiktitel nennen ließen.

Ein arabischer Vater sei nach der Entspannungsfantasiereise am Schluss ganz beseelt von der Übung zu ihr gekommen und habe gesagt: „Ich schwöre, Frau Proßowsky, ich habe die Blumen meiner Heimat gerochen.“

LITERATUR

Petra Proßowsky hat etliche Kinder-Yoga-Bücher herausgebracht. Darunter der Klassiker: „Kinder entspannen mit Yoga“ (Verlag an der Ruhr, 19,99 Euro) oder „Hokus Pokus Asana“ (Aurum Verlag, 17,50 Euro) und „Tierische Bewegungsgeschichten“ (Auer Verlag, 18,90 Euro). Yoga auf CD's gibt es auch, etwa „Kinderyogalieder – 36 Songs, Massagen, Geschichten und Musik“. Um die Forschung zu Kinderyoga geht es etwa in „Wissenschaftliche Grundlagen zum Yoga mit Kindern und Jugendlichen (Neue Wege in der Psychologie und Pädagogik)“ von Marcus Stück, Schibri-Verlag, 9,80 Euro .

KURSE

Kinderyoga-Kurse gibt es zahlreich im Internet in vielen Bezirken Berlins, unter anderen auch bei Doreen Haberland unter www.yogatanz.de, oder bei Maja Mertens-Herrmann unter www.yogakiju.de.

YOUTUBE

Wer zuhause mit seinen Kindern Yoga machen möchte, findet eine Reihe von Youtube-Videos. Unter https:// www.youtube. com/watch?v= M66Jtg GGzxs gibt es eine Stunde mit Piratengeschichte und Schokoladen-Meditation.

ZUBEHÖR

Zubehör ist eigentlich nicht nötig, wer aber spezielle Kinderyogamatten und anderes mag, wird zum Beispiel unter www.karmakids.de fündig.

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