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Tausende bei Agrardemo in Berlin: „Wir wissen, dass die Bauern nicht von jetzt auf gleich ihren Stall umbauen können“
Für eine nachhaltigere Landwirtschaft ziehen 4000 Demonstranten durch Berlin. Die Forderung: „Mutige Agrarpolitik wählen“. Ein rosa Kreuz vor dem Kanzleramt fordert mehr Tierschutz.
Stand:
Während auf dem Berliner Messegelände die „Grüne Woche“ stattfindet, haben im Berliner Regierungsviertel mehrere Tausend Menschen für eine sozialökologische Wende in der Agrarpolitik demonstriert. Zu der Demo am Sonnabend aufgerufen hatte das Bündnis „Wir haben es satt“.
Während des Aufzugs wuchs die Menge auf etwa 4000 Personen. Angemeldet worden waren 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

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Den Organisatoren geht es um Tier-, Klima- und Umweltschutz, die Erhaltung vieler Höfe, faire Preise und gutes Essen. Ein großes Transparent auf der Wiese vor dem Reichstag forderte: „Mutige Agrarpolitik wählen“.
Protest vor der FDP-Zentrale
Mit Transparenten und begleitet von der Polizei, zog die Demonstration durch das Regierungsviertel. Teilnehmende waren teils verkleidet als Bienen, Schweine oder Hühner. Imker:innen kamen in ihrer Arbeitskleidung.
Die Strecke führte vom Platz der Republik über Paul-Löbe-Allee, Heinrich-von Gagern-Straße, Scheidemannstraße, Dorotheenstraße, Wilhelmstraße, Unter den Linden, Friedrichstraße, Reinhardstraße, Otto-von-Bismark-Allee und Annemarie-Renger-Straße.
In der Reinhardtstraße hielt der Demozug vor der Bundesgeschäftsstelle der FDP. Der Jugendblock, der den Umzug anführte, rief: „Blaukraut bleibt Blaukraut und Braunkohle bleibt scheiße, Blaukraut bleibt Blaukraut und die FDP bleibt scheiße.“ Es gab Zustimmung – Schaulustige auf den Bürgersteigen klatschten, auch die Teilnehmenden jubelten laut.
Am Nachmittag kehrte der Demozug für eine Abschlusskundgebung zurück zu Reichstagswiese, wo die Demo begonnen hatte. Dort sprachen unter anderem Klimaaktivist:innen von Fridays for Future.

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„Was wir gerade erleben, ob es die Feuer in Kalifornien, die Dürren oder die Überschwemmungen hier sind, das sind Katastrophen, die einen Namen und Verantwortung haben“, sagt Carla Reemtsma, Sprecherin der Initiative. Es seien die Folgen einer Politik, die die Interessen von Großkonzernen über die der Menschen stelle. Der Rechtsextremismus werde immer lauter, die Klimakrise immer schlimmer. „Aber wir verlieren die Hoffnung nicht, weil wir wissen, dass wir Veränderung möglich machen können“, sagte sie.
Klare Absage an die AfD
Die Reden bei der Anfangskundgebung verbanden die Forderung nach einer sozial gerechten Agrarwende, nachhaltiger Klimapolitik, Arbeiterkämpfen und Tierwohl, die nicht ohne einander gedacht werden könnten. Harald Schaum von der Industriegewerkschaft Bauern-Agrar-Umwelt sagte: „Wenn eine Kollegin drei Jahre lang die volle Ausbildung zur Gemüsegärtnerin macht, aber danach vier Euro weniger bekommt, als wenn sie bei Lidl im Lager arbeitet, dann haben wir ein massives Problem.“

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Auf dem Schild einer Teilnehmerin ist zu lesen: „Bäuerinnen verdienen mehr als sie verdienen“. Schaum fordert: „Lasst uns gemeinsam diskutieren, wie wir Tierwohl und bessere Arbeitsbedingungen zusammen hinbekommen, das geht nur zusammen.“
Sie habe es satt, dass Konzerne immer reicher würden, während Menschen hungerten, sagte Morgan Ody vom internationalen Bauernbündnis „La Via Campensina“. „Hunger ist kein technisches Problem, Hunger ist ein politisches Problem, das mit Ungleichheit und Ungerechtigkeit zusammenhängt.“
Klare Kante wurde auch gegen die AfD gezeigt. Das Bekämpfen der industriellen Landwirtschaft und die Forderung nach einer Agrarwende seien auch ein Kampf gegen den Faschismus, sagte Christop Bauz von Campact. „Lasst uns die AfD abwählen und Rechtsextremismus auf der Straße bekämpfen.“ Ein Banner an einem Wagen trug an die AfD-Chefin gerichtet die Aufschrift: „Alice auf die Weidel statt ins Kanzleramt“.
Demo zieht durch das Regierungsviertel
Paul und Thilo (17 und 16 Jahre alt) von der Greenpeace Jugend sind gekommen, weil sie eine faire Subventionierung fordern, die nicht nur Großbetriebe stärke. Durch die Agrarpolitik würden sich aktuell vor allem große Massenbetriebe und Konzerne bereichern, sagte Thilo. „Wir erleben einen großen Rechtsruck, die Parteien, die aktuell gewählt werden, machen nicht so viel für Klimapolitik und haben es auch nicht vor.“
Die Jugendlichen machen sich Sorgen. „Aktuell machen die meisten großen Parteien mit Sicherheit und Migration Wahlkampf und rücken damit auch die öffentliche Debatte weiter weg vom Klimaschutz“, sagte Paul. „Ich denke, wir müssen mehr Präsenz zeigen auf den Straßen und für unsere Rechte und die Rechte der folgenden Generationen einstehen. Und dafür sind wir auch heute hier.“
Tierschützer platzieren rosa Kreuz vor dem Kanzleramt
Bereits am Vormittag hatten Tierschützer ein riesiges rosa Kreuz aus Demobanner-Stoff vor dem Kanzleramt auf dem Boden ausgebreitet – als Zeichen gegen industrielle Massentierhaltung. Verschiedene Tierschutzorganisationen würden mit dieser Symbolik einen Wandel im Umgang mit „Nutztieren“ fordern, erklärte Moritz Enshaie von der Tierschutzorganisation „Animals - a crime“.
Er zeigte sich überzeugt: Die Bundesmittel für die Landwirtschaft sind anders verteilbar. „Wir wissen, dass die Bauern nicht von jetzt auf gleich ihren Stall umbauen können und die finanziellen Möglichkeiten nicht haben“, sagte Eshaie. „Deshalb hoffen wir, dass die großen Parteien es in ihr Programm aufnehmen.“ Bauern sollen bei Maßnahmen, die den Tierschutz fördern, besser unterstützt werden.
Keine Traktoren wegen Tierseuche
An der „Wir haben es satt“-Demo, die jährlich parallel zur Agrarschau „Grüne Woche“ stattfindet, beteiligen sich laut Veranstaltern rund 60 Organisationen aus Landwirtschaft und Zivilgesellschaft.
Im vergangenen Jahr fuhren in diversen Zubringer-Demos am Vormittag mit Traktoren zur Messe auf. Dieses Jahr wurde die Protestaktion mit Treckern kurzfristig abgesagt, wegen der Übertragungsgefahr der jüngst ausgebrochenen Maul- und Klauenseuche. Im vergangenen Jahr hatte die Polizei von etwa 7000 Menschen bei der Demonstration gesprochen.
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