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Demonstrierende auf dem Bebelplatz in Berlin.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Update

Unter Jubel singt Grönemeyer „Zeit, dass sich was dreht“: 30.000 Menschen bei Demonstration gegen rechts in Berlin

Zehntausende demonstrieren im Berliner Stadtzentrum gegen Rechtsextremismus. Neben Herbert Grönemeyer sind auch andere hochkarätige Musiker und Musikerinnen angekündigt.

Stand:

Gut 30.000 Teilnehmende haben sich am Sonntag im Berliner Stadtzentrum versammelt, um für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu demonstrieren. Das teilte eine Polizeisprecherin mit. Die Veranstalter sprachen von 38.000 Menschen. Zu der Versammlung, die eine Woche vor der Bundestagswahl stattfindet und auf der auch prominenten Musikern auftraten, hatte das Bündnis „Wir sind die Brandmauer“ aufgerufen.

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Trotz eisiger Temperaturen waren der Platz und die anliegende Straße Unter den Linden voller Menschen. Auch viele Eltern mit Kindern kamen. Geplant waren unter anderem Auftritte des Sängers Herbert Grönemeyer, des Musikers Bela B von der Punkrockband Die Ärzte und der Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal.

Eine Demonstrantin sagte mit Blick auf die bevorstehen Bundestagswahl: „Ich sehe eine große Gefahr, dass die Demokratie verloren geht und dass Parteien an die Macht kommen, die Demokratie untergraben und sie kaputt machen werden.“ Es mache Hoffnung, dass so viele Menschen zur Kundgebung gekommen seien. „Zu spüren, dass es Menschen gibt, die genau so denken wie wir oder ähnlich denken, das gibt irgendwie Kraft.“

Der Journalist und Autor Marc Raschke rief die Demo-Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu auf, zur Wahl zu gehen und auch andere dazu zu animieren. „Sie müssen klare Kante gegen rechts zeigen“, sagte Raschke. Zahlreiche Menschen wüssten nicht, was sie tun könnten, außer auf Demos zu gehen. Gegen diese Ohnmacht helfe es, sich mit anderen Demo-Teilnehmenden zusammenzutun. „Vernetzt euch!“, appelierte Raschke.

Sie haben den Hass, wir haben die Haltung.

Verdi-Gewerkschafterin Anja Vogt

Die Verdi-Gewerkschafterin Anja Vogt zeigte sich bestürzt über den mutmaßlich islamistischen Anschlag auf eine Verdi-Demonstration in München von vor wenigen Tagen. „Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht genutzt werden, um Hass und Zwietracht zu schüren“, sagte Vogt. Man bleibe solidarisch mit allen Kolleginnen und Kollegen, egal woher sie stammten.

Vogt stellte sich gegen eine Instrumentalisierung des Attentats von rechts: „Sie haben den Hass, wir haben die Haltung“. Im Anschluss rief sie zu einer Schweigeminute für die Mutter und ihre Tochter, die bei dem Attentat in München ums Leben kamen. Auf dem Platz herrschte sekundenlang vollkommene Stille.

Der evangelische Landesbischof Christian Stäblein und der Rabbiner Andreas Nachama traten gemeinsam auf die Bühne. Auch sie sprachen den Anschlag von München an. „Täter müssen vor Gericht und werden ihre Strafen erhalten“, sagte Nachama. Er stellte jedoch auch fest: „Wir Juden wissen, was es heißt, wenn ein Kollektiv haftbar gemacht wird.“

Demonstrierende auf dem Bebelplatz in Berlin.

© Miriam Rathje

Der Rechtsstaat sehe für jeden einzelnen Fall eine gerechte Strafe vor. Eine Kollektivschuld gebe es hingegen nicht, warnte Nachama. „Wir stehen hier Hand in Hand, Bischof und Rabbiner, am Bebelplatz, an dem 1933 die Bücher verbrannt wurden.“ Gemeinsam wollten sie die Politik in die Verantwortung nehmen, Demokratie für alle Menschen im Land zu sichern.

„Demokratie gründet in der Menschenwürde, die jedem Menschen von Gott zugesprochen ist“, sagte Bischof Stäblein, der Leiter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Durchaus „auch selbstkritisch“ warne er davor, die „Welt in Gut und Böse zu zerteilen“. Das sei manchmal verführerisch. Gebraucht würde aber „das ganze Spektrum an Demokratinnen und Demokraten, viele verschiedene Meinungen, auch im Streit“. Das mache die Demokratie aus.

Jedoch: „Wir sind eine Brandmauer gegen die Extremisten“, stellte Bischof Stäblein fest. „Wir schaffen es nur gemeinsam miteinander Hand in Hand gegen die, die sie kaputtmachen wollen“, sagte er und reichte Nachama, der neben ihm auf der Bühne stand, die Hand.

Herbert Grönemeyer ruft zur Wahl auf

Kurz vor 16 Uhr traten Herbert Grönemeyer und Soho Bani auf die Bühne und performten ein Remake des Hit-Songs „Zeit, dass sich was dreht“ von Grönemeyer aus dem Jahr 2006. Danach warnte das Pop-Urgestein vor einem Rechtsruck in Deutschland: „Für uns alle ist es fünf vor zwölf. Unsere Demokratie wird heftig angegriffen“.

Wählt Umverteilung, Lohnangleich zwischen Ost- und Westdeutschland, wählt den Schutz für vulnerable, für queere Rechte, für feministische Politik. Wählt Einwanderung, wählt ein starkes Europa!

Pop-Star Herbert Grönemeyer auf der Kundgebung am Bebelplatz

Grönemeyer bat alle Anwesenden, zur Wahl zu gehen. „Wählt den Fortschritt, wählt den Klimaschutz, wählt Armutsbekämpfung. Wählt Umverteilung, Lohnangleich zwischen Ost- und Westdeutschland, wählt den Schutz für vulnerable, für queere Rechte, für feministische Politik. Wählt Einwanderung, wählt ein starkes Europa“, appellierte er.

Kurz nach 14 Uhr haben sich bereits 20.000 Menschen bei der Kundgebung im Berliner Stadtzentrum versammelt.

© Miriam Rathje

Zuvor hatte ein 23-jähriger Mann, gebürtiger Ghanaer, dessen Vater 1991 aus Niger geflüchtet war, aus seiner persönlichen Lebensgeschichte berichtet. Als er mit neun Jahren nach Deutschland kam, konnte er weder lesen noch schreiben. Jetzt studiert er Chemie. Warum er das erzähle? „Weil meine Familie und ich genau zu denen gehören, die einige Parteien, nicht nur aus dem rechtsextremen Spektrum, sondern auch sogenannte Parteien der Mitte, nicht in diesem Land haben wollen.“

Seine Geschichte sei nur eine unter zahlreichen. „Sie zeigen, dass wir positiv über Migration sprechen sollten“, sagte er. Er erwähne kaum, Muslim zu sein, weil er Angst vor Vorurteilen habe. „Wenn solche positiven Geschichten wie meine, die zahlreich vorhanden sind, nicht ausreichen, um als Teil dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden, dann will ich mir nicht ausmalen, wo wir als Gesellschaft hinsteuern“, mahnte er.

Düzen Tekkal: „Demos sind Bollwerk gegen Rassismus“

Auch die Menschenrechtsaktivistin und Autorin Düzen Tekkal berichtete aus ihrer persönlichen Perspektive. Würde sie Deutschland im Jahr 2025 beschreiben, müsse sie als Tochter kurdisch-jesidischer Geflüchteter „ehrlicherweise sagen, dass sich Deutschland gerade sehr kalt anfühlt“. Mit Blick auf die jüngsten Anschläge empfinde sie Scham, Ekel und Wut.

Hinterbliebene der Opfer wollten nicht, dass auf dem Rücken von Geflüchteten Wahlkampf gemacht werde. Zwar gehöre zur Wahrheit, dass die Täter teilweise aus anderen Ländern als Deutschland kamen. „Aber die Opfer auch“, sagte Tekkal, „Islamismus tötet auch Muslime.“

Wie die Frau mit Kind, die bei dem Anschlag in München starb, sei auch sie als kleines Kind von ihrem Vater auf DGB-Gewerkschaftsveranstaltungen mitgenommen worden. „Das ist das Bollwerk gegen Rassismus.“ Die jetzige Stärke der AfD sei allerdings „bedauerlicherweise unsere Schwäche“, so Tekkal. „Deswegen wünsche ich mir noch mehr Mut für die Demokratie“, sagte sie weiter.

Der Titel der Kundgebung, deren Beginn um 14 Uhr auf dem Bebelplatz an der Straße Unter den Linden angekündigt war, lautete „Mutig. Menschlich. Miteinander – Hand in Hand für unsere Demokratie“. Die Veranstalter riefen alle Teilnehmer auf, bunte Schals, Tücher, Luftballons und Schilder mitzubringen, als Symbol für eine vielfältige Demokratie.

„Wir sind und bleiben die Brandmauer. Wir stellen uns entschieden gegen Hass, Hetze und rückwärtsgewandte, autoritäre Positionen“, hieß es in dem Aufruf zur Demonstration. Zu den Initiatoren gehören Attac, Amnesty International, Gewerkschaften sowie Sozial- und Flüchtlingshilfsorganisationen. (mit dpa)

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