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Vor dem Parteitag am Samstag: Berliner Linke in Zukunft wohl mit Doppelspitze
Mitten in der schweren Krise trifft sich die Berliner Linke zum Parteitag. Der Landesverband strahlt Einigkeit aus – doch die wird Samstag auf die Probe gestellt.
Stand:
In einer Zeit, in der die Linkspartei einmal mehr durch heftige interne Auseinandersetzungen vor einer Zerreißprobe steht, will der Berliner Landesverband vor allem eines sein: Ruhepol. Kein Zwist über den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine, kein Streit über das Vorgehen der Berliner Koalition bei der Entlastung der Kriegsfolgen soll nach außen dringen.
Die Berliner Linke geriert sich selbst als verantwortungsbewusste Regierungspartei. Und dieses Bild soll möglichst auch dann keine Risse bekommen, wenn sich 175 Delegierte des Landesverbands am Sonnabend im Hotel Vienna House Andel’s an der Landsberger Allee zum Parteitag versammeln.
Die Voraussetzungen stehen gut. Erstens vertritt die Berliner Linke – anders als andere Landesverbände und erst recht die Bundestagsfraktion der Partei – in den für sie heiklen Fragen der Zeit klare Positionen. Zweitens sind die Quertreiber innerhalb der zuletzt trotz aller Auseinandersetzungen in Umfragen stabilen Partei marginalisiert.
Jüngst einigte sich der Landesvorstand einstimmig auf einen Beschluss unter dem Titel „Mit einer Stimme gegen Krieg und gegen soziale Kälte“ und distanzierte sich darin klar von Versuchen, „Ursache und Reaktion zu verdrehen“. Die Linke stehe ohne jeden Zweifel an der Seite der Ukraine, die Verantwortung für den Krieg trage Russland, die Sanktionen seien eine Folge des Angriffs und nicht umgekehrt, heißt es darin unter anderem.
Darüber hinaus gab es ein kurzfristig anberaumtes Treffen der Mitglieder des Landesvorstands mit der Berliner Landesgruppe in der Bundestagsfraktion. Teilnehmern zufolge hätten die drei anwesenden Abgeordneten, Petra Pau, Gregor Gysi und Pascal Meiser, die Notwendigkeit zur Veränderung erkannt. Nach Tagesspiegel-Informationen fehlte einzig Gesine Lötzsch in der Runde. Sie hatte die ehemalige Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, zuletzt auch öffentlich in Schutz genommen.
Ärger um Anträge zur Klimapolitik
Auf die Probe gestellt werden könnte die zur Schau gestellte Einigkeit der Berliner Linke dennoch bereits vor Beginn der Generaldebatte zum Leitantrag „Niemanden zurücklassen – der Energiearmut entgegentreten“. Weil einem Vorschlag der Antragskommission zufolge von 53 Anträgen lediglich 15 beraten werden sollen, planen insbesondere die Klimabewegten in der Partei eine Art Aufstand. Am Tag nach dem Klimastreik in der Stadt nur zwei von 17 klimapolitischen Anträgen – darunter einer zum Rückbau des BER – zur Beratung zuzulassen, sei „kein Angebot“, hieß es am Freitag.
Den selbsternannten „Klimaparteitag von unten“ wollen sich die Klimabewegten aber weder aus zeitlichen noch aus choreografischen Gründen kaputtmachen lassen. Und so dürfte dem ersten Auftritt des frisch gewählten Bundespartei-Chefs Martin Schirdewan auf einem Parteitag des eigenen Landesverbandes eine Debatte zur Geschäftsordnung vorweggehen.

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Ebenfalls mit Spannung erwartet wird der Auftritt eines der prominentesten Ex-Linken in diesen Tagen, Ulrich Schneider. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes soll ein Grußwort halten. Schneider, einst im Linke-Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf aktiv, hatte die Partei aufgrund der fortgesetzten Querschläge Wagenknechts verlassen.
Dass sein Auftritt nun zu einer ernsthaften Überlagerung des Parteitags durch jene Debatten führt, die die Linke derzeit auf Bundesebene beschäftigen, glauben zwar nur wenige. Anhänger des Wagenknecht-Lagers, die es auch in Berlin gibt, könnten sich dennoch zu einer Kontroverse bemüßigt fühlen. Vielleicht auch deshalb soll Schneider am Vormittag sprechen – vor dem Mittagessen.
Option zur Doppelspitze soll kommen
Ganz am Ende des Parteitags wird über jene Neuerung abgestimmt, der im Vorfeld die größte Aufmerksamkeit erfahren hatte: Die Einführung einer Doppelspitze. Auf Antrag von Parteivizechefin Franziska Brychcy wird sich die Partei aller Voraussicht nach mit Mehrheit dafür entscheiden, ab 2023 von zwei Menschen geführt werden zu können.
Dann nämlich tritt nach sechsjähriger Amtszeit die amtierende Parteichefin Katina Schubert aller Voraussicht nach nicht erneut an. Schubert wurde jüngst zur Vizechefin der Bundespartei gewählt und hat mit diesem Posten und ihrem Abgeordnetenhausmandat genug zu tun.
Die Satzungsänderung, von Schubert unter der Woche als „nachholende Entwicklung“ bezeichnet, vollzieht nach, was in anderen Parteien längst Usus und auch in den meisten Landesverbänden der Linkspartei gelebte Praxis ist. Allerdings: Eine Hintertür hält sich die Berliner Linke offen.
In einem Änderungsantrag, den der Landesvorstand eingebracht hat und der anstelle des eigentlichen Satzungsänderungsantrags abgestimmt werden soll, heißt es: „Der Parteitag kann mit absoluter Mehrheit der anwesenden Delegierten beschließen, für die Dauer der zu wählenden Legislatur abweichend nur einen oder eine Landesvorsitzende zu wählen.“ Will sagen: So es eine einfache Mehrheit beschließt, kann auch nach erfolgter Satzungsänderung eine Einzelspitze installiert werden.
Das Vorgehen entspricht einem Kompromiss, der vor dem Parteitag ausgehandelt worden war, weil keiner der beiden sich gegenüberstehenden Anträge Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Sollten zwei Drittel der Delegierten dem Vorschlag zustimmen, bedeutet das, dass die Berliner Linke auch nach dem Wahlparteitag im Februar durch nur eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden geführt werden kann.
Als einer der Kandidaten für den Posten gilt der bisherige Stellvertreter Schuberts, Tobias Schulze. Bei einer Doppelspitze suchte die Partei noch geeignete Kandidatinnen für den Co-Vorsitz, hieß es zuletzt übereinstimmend. Mindestens einer der Posten muss an eine Frau gehen.
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