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Weitgehende Fahrverbote in der Innenstadt: Verfassungsgericht erklärt Volksbegehren „Berlin autofrei“ für zulässig
Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings sollen kaum noch Autos fahren. Das fordert eine Bürgerinitiative. Ihr Vorhaben ist zulässig entscheidet das Verfassungsgericht und ebnet den Weg für einen Volksentscheid.
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Die Initiative „Berlin autofrei“ kann ihr Gesetzesvorhaben weiter verfolgen. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat den Antrag zur Einleitung des Volksbegehrens am Mittwoch für zulässig erklärt. Berlins höchstes Gericht widersprach damit der Einschätzung des Senats. Gerichtspräsidentin Ludgera Selting erklärte, dass der Verfassungsgerichtshof nicht darüber entschieden habe, ob Berlin heute autofrei wird. „Nur, ob ein mehrstufiges Verfahren zur Bürgerbeteiligung eingesetzt werden darf.“
Das Gericht sieht in der Regelung keine unverhältnismäßige Einschränkung der Bürger. „Der Gesetzentwurf verstößt nicht gegen Grundrechte“, sagte Selting. Demnach bestehe „kein Anspruch auf Aufrechterhaltung eines bestehenden Gemeingebrauchs“. So sei die Stadt grundsätzlich nicht verpflichtet, Straßen uneingeschränkt für den Autoverkehr zuzulassen.
Wenn dies gelte, so die Gerichtspräsidentin, sei die Stadt zugleich auch nicht verpflichtet, das einmal eingeräumte Recht, diesen Gemeingebrauch, dauerhaft aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung ist mit acht zu einer Stimme ergangen.
Die Richter verwiesen auf die große Bedeutung von Straßen und dem öffentlichen Raum als Verkehrs- und Kommunikationswege. Doch auch wenn nach den Plänen der Initiative künftig nur noch auf den Berliner Bundesstraßen uneingeschränkt gefahren werden dürfte, sieht das Gericht dadurch „das notwendige Minimum nicht tangiert“.
Richter äußern trotz Entscheidung Bedenken für Einfluss auf ÖPNV
Zugleich rechnen die Richter damit, dass es bei einer Einführung des Gesetzes zu „erheblichen Engpässen beim Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs“ kommen könnte. „Das führt aber nicht dazu, dass das verfassungsrechtlich geforderte Minimum an Mobilität nicht mehr gegeben wäre“, sagte Gerichtspräsidentin Selting.
Auch einen Eingriff in das Eigentumsrecht können die Richter durch den Gesetzentwurf nicht erkennen. Bürger seien weiterhin auch innerhalb der betroffenen Zone berechtigt, ein Auto zu besitzen, zu kaufen und zu veräußern. Nur nutzen könnte man es eben nicht mehr im bisherigen Umfang. Alles in allem sei der Gesetzentwurf trotz seiner weitreichenden Einschränkungen daher verhältnismäßig. Auch weil dadurch „hochrangige Gemeinwohlziele mit Verfassungsrang“ verfolgt würden wie der Klima- und Gesundheitsschutz.
Das Autofahren in der Innenstadt weitgehend verbieten zu wollen, wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft in der Hauptstadtregion.
Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg
Aufseiten der Aktivisten wurde die Entscheidung mit großer Freude aufgenommen. „Wir hatten mit diesem Ausgang gerechnet. Aber natürlich fällt uns nun ein großer Stein vom Herzen“, sagte Sprecherin Marie Wagner. „Wir sind eine ehrenamtliche Initiative, die seit drei Jahren nicht vorankommt, während gleichzeitig der Senat den Rückwärtsgang einwirft.“ Nun habe man die Möglichkeit, die Lebensqualität der Menschen in der Stadt zu erhöhen.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, hält den Gesetzentwurf für falsch: „Wir wollen ein Berlin, in dem die Berlinerinnen und Berliner sich so fortbewegen können, wie sie es wollen – zu Fuß, mit dem Rad, mit dem öffentlichen Personennahverkehr oder dem Auto. Auf den Mix kommt es an, auf die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Ein autofreies Berlin grenzt aus – und ist kein Konzept für eine wachsende Metropole. Deshalb halte ich die Idee eines autofreien Berlins für falsch.“
Klar dagegen sprach sich auch Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) aus. Die vom Gericht aufgezeigten negativen Folgen seien zwar verfassungsrechtlich noch zulässig, „sinnvoll und vernünftig sind sie nach meiner Auffassung jedenfalls nicht“, sagte sie dem Tagesspiegel. Sie stehe für eine Verkehrspolitik, die aus Angeboten besteht – und nicht aus „Verboten für die Bürgerinnen und Bürger Berlins“. Kritik kam auch von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg: „Das Autofahren in der Innenstadt weitgehend verbieten zu wollen, wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft in der Hauptstadtregion“, sagte Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp.
Faktisches Autoverbot innerhalb des S-Bahn-Ringes
Nach den Plänen der Initiative sollen nach einer Übergangszeit von vier Jahren fast alle Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings mit Ausnahme der Bundesstraßen zu „autoreduzierten Straßen“ erklärt werden. Private Autofahrten sollen pro Person nur bis zu zwölfmal im Jahr möglich sein.
Ausnahmen von dem faktischen Autoverbot soll es demnach für Menschen mit Behinderung, Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen sowie Wirtschafts- und Lieferverkehr geben. Das gilt auch für Busse.
Der Senat hielt das in einem Gesetzentwurf formulierte Ziel für verfassungswidrig und unverhältnismäßig. Die Pläne der Initiative seien „mit der allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar“, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) 2022. Der damalige rot-grün-rote Senat hatte daher die Richter um eine Prüfung gebeten, ob ein solcher Volksentscheid überhaupt zulässig wäre.
Initiative kann nächsten Schritt einleiten
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Entwurf vereinbar ist mit der Berliner Verfassung, dem Grundgesetz sowie Bundesrecht. Damit ist die Initiative einen wesentlichen Schritt weiter.
Sie kann die nächste Phase des Volksbegehrens einleiten. Innerhalb von vier Monaten müssen die Unterschriften von mindestens sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten gesammelt werden. Das sind derzeit rund 170.000 Menschen.
Gelingt das, würde ein Volksentscheid folgen, bei dem wie bei einer Wahl über den Gesetzentwurf abgestimmt wird. Der Volksentscheid wäre erfolgreich und würde das Gesetz in Kraft setzen, wenn eine Mehrheit der Wähler und zugleich mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten zugestimmt haben.
Die Initiative hatte im Sommer 2021 mehr als 50.000 Unterschriften für die Einleitung eines entsprechenden Volksbegehrens zur Verkehrswende gesammelt. Nötig waren in dieser ersten Phase des Volksbegehrens 20.000 gültige Stimmen. Doch zum nächsten Sammelschritt kam es nicht: Der Senat schaltete das Verfassungsgericht ein.
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