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Eine Szene des Bundesligaspiels mit den Angry Birds Berlin, Mitte März, im Eisstadion am Glockenturm.
© Justus Wilke

Para-Eishockey in Berlin: Wo ein Wille ist, ist auch ein Spiel

Beim Para-Eishockey tobt immer die Halle. Der Traum der Fans: Berlin als Zentrum des Paralympics-Sports - und die Para-Eishockey-WM hierher holen.

Die Schlusssirene dröhnt und die Spieler der Angry Birds fallen sich in die Arme. Eine Fünf und eine Zwei auf der Anzeigetafel markieren den Sieg der Gastgeber gegen das Team aus Langenhagen. Es ist gleichzeitig der erste und der letzte Sieg in der Premierensaison der Para-Eishockey-Mannschaft. Das ist Eishockey, genauso rasant und cool wie das der Fußgänger – nur ein Stockwerk tiefer, weil sich hier Menschen mit Behinderung in Sitzschlitten Bodychecks verpassen.

Die Angry Birds Berlin hatten zu Beginn der Spielzeit nur fünf Sportler in den eigenen Reihen, vier Monate später sind es mehr als ein Dutzend. Dadurch sind sie endlich konkurrenzfähig mit den drei anderen Teams in der Para-Eishockey-Bundesliga. Nun werden weitere Nachwuchsspieler gesucht.

Sport hilft schließlich nach Unfällen oder Krankheit, neuen Lebensmut zu bekommen. Und die Para-Eishockeyspieler wollen sich nicht zuletzt fit machen für die Paralympischen Spiele in Peking 2022. Berlin, davon träumen die Fans der Sportart, könnte doch künftig ein Leistungszentrum und sportlicher Mittelpunkt dieses Publikumslieblings der Wintersportarten bei den Paralympics werden.

Angry Birds - wegen des Vogels im Wappen

Für die Gründung des Liga-Neulings war die Zusammenlegung der Teams aus Dresden, Dachau und Berlin nötig gewesen. Keiner der Standorte konnte eine eigene Mannschaft aufstellen, doch mit vereinten Kräften gelang es. Weil alle drei Vereine einen Vogel im Wappen tragen, und weil die Sportart – wie auch bei den Kollegen im Eishockey – durchaus heftigen Einsatz mit sich bringt, einigte man sich auf den – nach den Angaben nicht geschützten – Namen Angry Birds.

Einen großen Anteil an dem ersten Sieg hat auch der 47-jährige Jurist Gregor Kemper, obwohl er selbst nicht auf dem Eis war. Der Kölner machte das Spiel und die ganze Saison erst möglich, denn er hatte die Idee, dass Berlin ein Standort für Para-Eishockey werden sollte. Kemper begeisterte den ECC Preussen von seinem Plan, trommelte die Spieler zusammen, und warb erfolgreich Sponsoren an.

Sein Arbeitgeber, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), machte ihm das Engagement für den Sport möglich, finanzierte die Trikots, der Bezirk stellt die Eissporthalle. Sogar die Sportschlitten, die teuer aus Nordamerika geliefert werden müssen, konnten mithilfe der Aktion Mensch bezahlt werden.

Mit seiner Begeisterung kann Kemper viele mitreißen. Aber Para-Eishockey ist weiterhin nur den Wenigsten ein Begriff. Zum Heimspiel der Angry Birds kamen nur knapp 50 Personen – bei den Paralympics in Korea war die Halle gerade bis unter die Decke besetzt. Para-Eishockey, vormals Sledgehockey, ist die Lieblinsaction-Sportart der Paralympics.

In Deutschland genießt hingegen der Rollstuhlbasketball bereits große Popularität. Die Weltmeisterschaft findet dieses Jahr in Hamburg statt, der Veranstalter erwartet mehr als 50.000 Zuschauer. Auf der Website wird mit Maskottchen, den „Manga-Helden“, für das Sportevent geworben. Sogar ein eigens eingerichteter YouTube-Kanal soll auf das Turnier aufmerksam machen.

Vom 16. bis 26. August spielen 16 Männer- und 12 Frauenmannschaften im Rollstuhl um den WM-Titel. Auf dem Eis bewegen sich die Angry Birds – egal ob mit oder ohne Behinderung – auf einem speziellen Schlitten. Daher wird die Sportart auch Sledge-Eishockey genannt. Auf zwei dünnen Kufen gleiten die Athleten über das Eis. Für Anfänger liegen die Kufen weiter auseinander, sobald das Balancieren gelingt, verringert man den Abstand, um schneller wenden zu können.

Balancieren und wenden, beschleunigen und bremsen ist für Hugo Rädler auf dem Schlitten eine Leichtigkeit. Der Münchener hatte lange Eishockey gespielt, bis er bei einem Unfall vor fünfeinhalb Jahren seine Beine verlor. Als Rädler zum ersten Mal Para-Eishockey live miterlebte, dauerte es nicht lange, bis er wieder auf dem Eis trainierte. Die Berufung ins Nationalteam folgte wenig später.

Einerseits habe er sich natürlich gefreut, andererseits zeige das auch, wie wenig Konkurrenz es bislang in Deutschland gebe. Rädlers großer Traum ist die Teilnahme an den Paralympics, wo Para-Eishockey große Begeisterung entfacht, allen voran bei kanadischen und US-amerikanischen Fans. Die Qualifikation für Pyeongchang verpasste die deutsche Auswahl nur knapp – aber erneut, wie in Vorjahren.

Para-Eishockey-WM nach Berlin holen

Neben den gerade beendeten Paralympics und der Rollstuhl-WM in Hamburg bietet das Jahr 2018 noch andere Höhepunkte des Behindertensports. Am 20. August kommen die Leichtathleten in den Jahnsportpark. Eine Woche lang werden die 650 Spitzensportler aus ganz Europa Höchstleistungen in Prenzlauer Berg zeigen.

Der German Paralympic Media Award wird am 25. April von der DGUV in Berlin vergeben. Der Behindertensport rückt mehr und mehr in die Öffentlichkeit, das ist auch engagierten Personen wie Kemper zu verdanken. Und auch Bundestrainer Andreas Pokorny.

Als noch niemand einen Gedanken an eine Berliner Mannschaft für die Para-Eishockey-Liga verschwendete, sagte er zu Kollegen: „Wir schaffen das, wir packen das an.“ Sportsenator Andreas Geisel sprach im Tagesspiegel-Interview Anfang des Jahres weniger motiviert über die Förderung von Talenten im Behindertensport: „Wenn wir Sportler haben, die für Para-Eishockey in Frage kämen, können wir darüber reden, aber so lange es die nicht gibt, wäre es vermessen, eine Eishalle zu bauen, um das möglich zu machen.“

Kempers Engagement ist es zu verdanken, dass es die Angry Birds gibt, und dass sie eine Halle des Bezirks benutzen können. Persönlicher Einsatz kann also etwas bewegen. Übrigens, Kempers nächstes Ziel ist es, die Para-Eishockey-WM nach Berlin zu holen.

In Korea siegte das Heimteam 1:0 gegen Italien und gewann so die Bronzemedaille.
In Korea siegte das Heimteam 1:0 gegen Italien und gewann so die Bronzemedaille.
© Thilo Rückeis

Justus Wilke

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