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Yoram Roth über Kultur in der Coronakrise: „Uns Kreativberlinern wurde zuerst die Tür zugemacht“
„Berlin stirbt“, sagt der Besitzer von Clärchens Ballhaus. Wegen der Coronakrise befürchtet er gravierende Veränderungen – und fordert rasche Lösungen wie einen Impfpass.
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Als Kind hat Yoram Roth in der Paris Bar immer unterm Tisch gesessen und Leute beobachtet, ein Riesenspaß. Seine Eltern gingen oft dorthin und nahmen die Kinder mit.
Vielleicht war das eine prägende Erfahrung – bis heute geht der Besitzer von Clärchens Ballhaus gerne in die Paris Bar. Wenn sie denn geöffnet ist.
Weil wegen Corona derzeit nichts vorangeht, ist der Fotograf und Unternehmer Roth ziemlich wütend. „Wir brauchen Impfungen, JETZT“, sagt er im Interview über Zoom. „Eigentlich müsste 24 Stunden am Stück geimpft werden. Es fehlt der Wille, das richtig auszuführen.“
Er erzählt von seiner Chatgruppe mit 200 Leuten, die in der Club- und Kulturszene und in der Gastronomie tätig sind. Man gibt sich gegenseitig Tipps, hilft einander, wo man kann. „Aber die Finanzhilfen kommen viel zu spät. Was jetzt läuft, wird den Ruf Berlins auf Jahrzehnte hinaus ruinieren.“
Yoram Roth hat immer wieder betont, wie sehr er seine Heimatstadt liebt. Der gebürtige 68er hat in jüngeren Jahren eine Weile für seinen Vater, den Immobilienunternehmer Rafael Roth, gearbeitet. Jahrgang 1933, hatte der Vater in Prenzlauer Berg gelebt, bevor die Familie 1938 vor den Nazis nach Palästina floh. Im Jahr 1954 kehrten erst die Eltern zurück.
Die wollte Rafael Roth eigentlich auf der Durchreise von England nach Israel nur besuchen. Er blieb dann aber in Berlin und wurde ein erfolgreicher Bauunternehmer. Gerne hätte er es gesehen, wenn der Sohn in seine Fußstapfen getreten wäre. Aber der spürte schon früh eine eher künstlerische Berufung.
Yoram Roth wollte nicht bloß Bauunternehmer sein
Neben dem Job im Unternehmen des inzwischen verstorbenen Vaters hat er damals 30 Techno-Singles veröffentlicht. Die schlechte Impforganisation regt Yoram Roth auch deshalb so auf, weil seine Mutter Marlis, die in der Linienstraße, gleich um die Ecke von Clärchens Ballhaus, groß geworden ist, 81-jährig an Krebs erkrankt ist und erst im April einen Impftermin bekommen hat.
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Clärchens Ballhaus will er so bald wie möglich wiedereröffnen. Inzwischen betreibt er das Restaurant mit Max Jensen und dessen Unternehmen Berlin Cuisine. Im letzten Sommer war das über 100 Jahre alte Traditionslokal für einige Wochen geöffnet. Für die dringend notwendige Grundsanierung unter anderem der verfallenden Sanitäranlagen konnte Yoram Roth die Zeit des Lockdowns noch nicht nutzen. In der Verwaltung sei auch Lockdown gewesen, und natürlich will der 53-jährige Investor nicht anfangen, bevor die wichtigen Fragen geklärt sind.

© Kitty Kleist-Heinrich
Ein Beispiel fällt ihm rasch ein. Im Obergeschoss hätten sich in den 1940er Jahren drei Wohnungen befunden. „Das ist so im Grundbuch noch ausgewiesen, obwohl die seit den 40ern nicht mehr genutzt worden sind.“
Über 80 Jahre und ein zusammengebrochenes kommunistisches Regime später kann er nur resigniert sagen: „Bebauungsplan bleibt Bebauungsplan.“ Nein zu sagen, sei immer leichter als Ja. „Wer Ja sagt, begibt sich in Gefahr, macht sich anfechtbar.“ So erlebt Roth Berlin.
Das „Tacheles“ soll Ende 2022 öffnen
Während er noch nicht genau sagen kann, wann Clärchens Ballhaus saniert ist, sind seine Pläne für das Tacheles schon konkreter. „Dort wollen wir Ende 2022 eröffnen.“ Wie zuvor bereits in Stockholm, Tallin und New York will der Fotograf dort ein Museum für Fotografie einrichten, eine Dependance seines schwedischen Fotografiska, das zu den größten Fotomuseen weltweit gehört.

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Es soll in der Woche bis 23 Uhr, am Wochenende sogar bis weit nach Mitternacht geöffnet sein. Dazu ist ein Bistro geplant, einen Shop soll es auch geben. Außerdem sollen große Eventflächen zur Verfügung stehen für Talks und Workshops mit Fotografen.
Die Frage nach der Konkurrenz durch die Helmut Newton Stiftung oder C/O Berlin retourniert er entschieden. Das sei doch keine Konkurrenz. Ein Miteinander wird aus seiner Perspektive ohne Probleme möglich sein.
„Unsere Konkurrenten sind Netflix und Tiktok“
Nach dem Ende der Pandemie werde sich ein ganz anderes Bild darstellen: „Unsere Konkurrenten sind Netflix und Tiktok“, sagt er. „Wir müssen die Leute wieder von der Couch kriegen.“
Er hat schon in der Vergangenheit nicht verstanden, wieso die Museen nur am Tag geöffnet sind, wenn alle bei der Arbeit sind, wieso die Theater im Sommer Pause haben, wenn die Stadt voller Touristen ist. Gerade jüngere Leute würden doch gerne auch abends kulturelle Einrichtungen nutzen.
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In der Genossenschaft für urbane Kreativität, die das Kater Blau, eine Event- und Gastronomiefläche, betreibt, ist Roth zwar nur „ein kleiner Shareholder“, wie er betont, aber der Spirit begeistert ihn. Dort ans Spreeufer eben nicht, wie ursprünglich mal geplant, profitable Hochhäuser hinzusetzen, sondern einen verwunschenen Ort zu schaffen, das trägt in seinen Augen zum Mythos Berlin bei: „Jeder kann dort hingehen.“ Nur im Moment nicht.
„Wir brauchen unbedingt sofort einen Impfpass, um weiterzumachen“, redet Roth sich wieder in Rage. Vor einem halben Jahr hätte man schon mit der Entwicklung beginnen können. „Nichts ist passiert! Niemand hat den Mut, etwas zu machen, aus Angst vor Fehlern. Niemand übernimmt die Führung.“
Ein Großteil der Kultur gehe kaputt
Es komme auch nichts an von den versprochenen staatlichen Hilfen. „Die Clublandschaft, die Theater, ein Großteil der Kultur, alles geht kaputt“, sagt Roth. Corona ist für Berlin, was der Hurrikan Katrina für New Orleans war. Da ist sich Yoram Roth ganz sicher.
„Das sieht im Innern wieder ähnlich aus wie vorher, aber das Urgestein ist weg, das die Atmosphäre 250 Jahre lang geprägt hat“, sagt er. „Es ist nicht mehr dasselbe wie vorher.“ Um etwas ähnlich Fatales hier zu verhindern, will er für die Berliner Kultur- und Gastroszene kämpfen. Er sei sehr für europäische Lösungen, aber im Moment dauere alles einfach zu lange.
„Uns Kreativberlinern wurde zuerst die Tür zugemacht.“ Gemischtes Leben finde nicht mehr statt. Die Berliner untereinander, zum Beispiel aus seiner Whatsapp-Gruppe, hätten im letzten Jahr gelernt, sich gegenseitig zu unterstützen. „Nur uns wird nicht geholfen.“ Die Politik schüre Angst und Wut und komme nicht mit kreativen Lösungen daher. „Berlin stirbt“, fürchtet er.
Kleine Ladenbetreiber verkauften ihre Möbel und kämen wohl nie wieder. Eine Durststrecke hat er selbst auch mit seinen Stadtmagazinen „Tip“ und „Zitty“ erlebt. „Zitty“ ging ganz ein. Bei „Tip“ gehe es langsam wieder los mit den Anzeigen. Man brauche aber einen langen Atem. Hilfe habe er wenig bekommen.
Von New York lernen
Nach wie vor verbringt Roth viel Zeit in New York, weil seine Kinder dort leben. Was er sich aus New York nach Berlin wünschen würde? Die High Line zum Beispiel, eine ehemalige Hochbahntrasse, die nun begrünt ist und als Parkfläche dient. Noch lieber aber hätte er ein Clärchens Ballhaus in New York. „Da ist alles so formell.“
Dass die Berliner immer wieder auf New York schauen, versteht er nicht. „In der ganzen Welt schwärmen sie von Berlin und dem Reichtum an Kultur“, sagt Roth. „Die dritte Gentrifizierungswelle rollt schon an.“ Techunternehmen wie Tesla, Amazon oder Google brächten junge Leute und Familien mit, die an der Kultur besonders interessiert seien.
Auch deshalb muss aus seiner Sicht „das Kultur-Eco-System beschützt werden“. Man müsse lernen, was in anderen Städten falsch gelaufen sei, warum etwa San Francisco so öde geworden sei. „Endlich kriegen wir gute Arbeitsplätze und junge Leute, die an Kultur interessiert sind.“ Denen dürfe man nicht die Tür vor der Nase zuknallen. Ausnahmen werden die Regel bestätigen. Eines stellt Yoram Roth jetzt schon mal klar: „Ins Clärchens wird keiner ohne Impfpass reinkommen.“
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