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Demonstration NSU-Prozess Mehrer tausend Menschen, unter Ihnen Angehoerige der Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU protestiern nach der Urteilsverkuendung im NSU-Prozess. Sie zeigen ihre Solidaritaet mit den Familien der Opfer und fordern unter dem Motto Keinen Schlusstrich eine weitere Aufdeckung der Hintergruende der Terrorzelle, weitere Ermittlungen gegen das rechtsextreme Untersteutzernetzwerk sowie Aufklaerung einer moeglichen Verstrickungen von Sicherheitsbehoerden und Geheimdiensten. Demonstranten mit Banner: NSU-Komplex auflösen! München Bayern Deutschland *** Demonstration NSU process Several thousand people among you Relatives of the victims of the right-wing extremist terrorist group NSU protest after sentencing in the NSU trial They show their solidarity with the families of the victims and demand under the slogan K

© imago/Christian Mang/CHRISTIAN MANG

Gedenkort an Mordserie soll in Berlin entstehen: SPD ringt um NSU-Dokumentationszentrum

Der Gesetzentwurf der Minderheitsregierung will eine Lücke in der Erinnerungslandschaft schließen, doch weder Union noch FDP stellen eine Mehrheit im Bundestag in Aussicht

Von Hans Monath

Stand:

Die Oppositionsfraktionen der Union und der FDP halten sich offen, ob sie im Bundestag in dieser Legislaturperiode für den Aufbau eines Dokumentationszentrums zu den Verbrechen der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU stimmen und dem Vorhaben der rot-grünen Minderheitsregierung damit zu einer Mehrheit verhelfen wollen. Dies erklärten die Vize-Fraktionschefin der Union, Andrea Lindholz (CSU), und FDP-Vizefraktionschef Konstantin Kuhle auf Anfrage des Tagesspiegels.

Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch einen Gesetzentwurf des Innenministeriums für die Gründung einer Stiftung beschlossen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (ebenfalls SPD), Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, warben für eine rasche Verabschiedung. „Ich appelliere an den Bundestag, den Gesetzentwurf noch in dieser Legislatur zu beschließen“, erklärte Alabi-Radovan. Es sei „überfällig, dass wir mit der Stiftung und dem Dokumentationszentrum eine strukturelle Lücke in der deutschen Erinnerungslandschaft schließen“.

Union und FDP wollen sich aber gegenwärtig nicht zu dem Vorhaben bekennen. Zu einer Verabschiedung von Gesetzesvorhaben in der bald endenden Wahlperiode sei die CDU/CSU-Fraktion bekanntlich erst dann bereit, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt hat, sagte Lindholz. Im Vordergrund würden dann ausschließlich Vorhaben stehen, „deren Beschluss in den kommenden Wochen absolut notwendig ist“.

Die Aufarbeitung von und die Erinnerung an rechtsextremistischem ebenso wie an linksextremistischem und islamistischem Terrorismus in Deutschland sei ohne Zweifel ein wichtiges Anliegen. „Die Art und Weise, wie das in Zukunft besser geschehen kann, will jedoch in Ruhe überlegt und diskutiert sein“, fügte die CSU-Politikerin hinzu.

FDP-Vizefraktionschef Kuhle sagte, der Entwurf des Gesetzes liege seiner Fraktion noch nicht vor. Weiter meinte er: „Sobald dieser dem Deutschen Bundestag zugeht, werden wir ihn fachlich mit der notwendigen Ruhe und Sorgfalt prüfen.“

Die Fraktionen der SPD und der Grünen sowie die Gruppe der Linken wollen dem Gesetz zustimmen. SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese begrüßte den Gesetzentwurf und wies darauf hin, dass gegenwärtig mit der Union dazu und zu anderen wichtigen Vorhaben Gespräche mit der Union geführt würden. „Wir ringen darum“, sagte er.

Aus ihrem Ressort stammt der Gesetzentwurf: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

© dpa/Arne Dedert

Auch die Grünen appellierten an die „demokratischen Fraktionen“ im Bundestag, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Der Gesetzentwurf sei „durchaus gelungen“, sagten Fraktionsvize Konstantin von Notz und die Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic dem Tagesspiegel.

Die Stiftung sei ein wesentlicher Baustein für ein neues Erinnern an die schreckliche rechtsextremistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds. Und weiter: „Gerade die geplante, enge Vernetzung der Anschlags- und bestehenden Erinnerungsorte in den verschiedenen Bundesländern ist ein wesentliches Element.“ Die Grünen hätten sich in den vergangenen Monaten „sehr dafür eingesetzt, dass diese wichtige Gesetzgebung noch kommt“.

Auch die Gruppe der Linken will nach Auskunft der Abgeordneten Petra Pau trotz Bedenken dem Entwurf zustimmen. Der Entwurf zeige das gewachsene öffentliche Bewusstsein für den NSU-Komplex und Rechtsterrorismus und enthalte viele richtige Feststellungen, sagte die Vizepräsidentin des Bundestags. Er sei zudem sehr darum bemüht, zu erwähnen, wie wichtig die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen ist.

Kritisch merkte sie an: Jedoch bleibe die Rolle der Angehörigen „rein repräsentativ. Richtig einbezogen werden sie nicht“. Auch kämen „große Zweifel“ an der behaupteten Unabhängigkeit der geplanten Struktur auf. Das Bundesinnenministerium (BMI) werde diese Stiftung in allen wesentlichen Bereichen steuern und kontrollieren. „Das ist problematisch, weil das BMI bzw. das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst wichtige Akteure der (Nicht-)Aufarbeitung des NSU-Komplexes waren“, fügte die Linken-Politikerin hinzu: „Dennoch werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen, weil eine Stärkung der kritischen Auseinandersetzung mit dem Komplex unabdingbar ist.“

Die Eltern des ermordeten deutsch-türkischen Internetcafe-Besitzers Halit Yozgat, Ayse (l) und Ismail Yozgat (r), am Rande einer Sitzung des NSU-Ausschusses des hessischen Landtages im Jahr 2017.

© dpa/Frank Rumpenhorst

Zwischen 2000 und 2007 hatte der NSU neun Menschen mit ausländischen Wurzeln sowie eine Polizistin ermordet. Zudem beging die Gruppe mehrere Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle. Erst nach dem Auffliegen der Terrorzelle im Jahr 2011 erkannten die Ermittler die rassistischen und rechtsextremistischen Motive.

Laut dem Entwurf des Innenministeriums soll das Zentrum seinen Sitz in Berlin haben. Damit soll ein Ort der Erinnerung an die Opfer aber auch ein Ort für politische Bildung geschaffen werden. Die Konzeption war in enger Zusammenarbeit mit den Opferfamilien entwickelt worden.

Bis heute gebe es bundesweit keinen Erinnerungs- oder Lernort, der sich explizit mit der Geschichte des NSU, deren Opfern und darüber hinaus mit der Geschichte des Rechtsterrorismus nach 1945 auseinandersetze, heißt es im Gesetzentwurf. Rechte Gewalt, rechtsextremistische Anschläge und die Geschichte des Rechtsterrorismus auf deutschem Staatsgebiet seien „nach wie vor nicht im kollektiven Gedächtnis verankert“. Das gelte insbesondere auch für die sogenannten Baseballschläger-Jahre in den 1990ern in Ostdeutschland.

Die AfD-Fraktion teilte mit, da der konkrete Entwurf noch nicht vorliege, könne sie sich dazu vorerst nicht verhalten. Das BSW reagierte nicht auf die Anfrage des Tagesspiegels zu dem Gesetzentwurf.

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