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Aufgeräumt. Paul Smith zwischen Bücherstapeln und Kartons in seinem Londoner Büro.

© James Mooney

Modedesigner Paul Smith: Auf Streifen

Er kleidete David Bowie, Mick Jagger und Simply Red ein. Jetzt widmet sich Paul Smith, Englands berühmtester Designer, Berlin. Die Stadt ist wie er – bunt und chaotisch.

Ein sonniger Tag im April vor genau einem Jahr. Manch ein Londoner tauscht übergangslos dicke Jacken gegen kurze Hosen ein. Englands wichtigster Modedesigner, Sir Paul Smith, sitzt in seinem Büro in Covent Garden, trägt Hemd, Jackett, Baumwollhose und ein paar Ideen im Kopf herum. Berlin. Dahin möchte er expandieren, dort den nächsten Shop eröffnen. Nur wo, steht an diesem Morgen noch nicht fest.

Wenn das Büro irgendeinen Anhaltspunkt für seinen Denkprozess liefert, dann den: Paul Smith braucht das Durcheinander, einen Flickenteppich für den Geist, größtmögliches Chaos. An einer Wand hängen Gemälde, Skizzen, Fotos dicht beieinander, ohne sichtbare Ordnung. Petersburger Hängung würde man das im Museum nennen. Gegenüber steht ein deckenhohes Bücherregal mit lauter Bildbänden und Ausstellungskatalogen, an das Besucher jedoch kaum herantreten können, weil ein Mont Klamott von historischen Fahrradtrikots (Smith ist begeisterter Radsportler) und eine Armada von japanischen Spielzeugfiguren den Zugang erschweren. Ach ja, an einigen Fahrrädern müsste man sich auch vorbeizwängen, es gibt einen Fernseher mit eingebautem Wasserhahn und einen Gitarrenkoffer. Sieht aus, als würde der 71-jährige Brite sehr viel Zeit darauf verwenden, sich von seiner Arbeit ablenken zu lassen.

„Ich hasse es, wenn jemand aufräumt“, sagt er, dann finde er nichts mehr wieder. Klare Messieausrede, denkt man und behält das lieber für sich. Smith ist ein Selfmade-Man mit Geschäften überall auf der Welt, extrem erfolgreich in Japan und Frankreich, während er in Deutschland hauptsächlich für seine prominenten Kunden bekannt wurde. Mick Jagger, Oscar-Preisträger Daniel Day-Lewis, Prinzessin Diana.

Potsdamer Straße? „That’s it“

Nun also die deutsche Hauptstadt. Kreuzberg?, fragt er nach. Der australische Kosmetikhersteller Aesop betreibt dort einen Laden, habe er gehört, „hm, vielleicht zu gewagt“. An den Kurfürstendamm will er nicht. Dort seien schon alle Modemarken dieser Welt, keine Herausforderung. Er lehnt sich nun vor, die polierte Holztischplatte glänzt zwischen Besucher und Modedesigner, und erzählt, er habe von einer Gegend gehört, wo auch ein gewisser Murkudis seinen Conceptstore habe. Potsdamer Straße? „That’s it.“

Ein Jahr später sitzt Paul Smith in der Joseph-Roth-Diele an der Potsdamer Straße, nebenan wird an diesem Dienstagabend sein erster Laden in Berlin eröffnen, nach Hamburg der zweite deutschlandweit. Der Designer trägt einen dunkelblauen Anzug mit grünem Karomuster, eine Spezialanfertigung des italienischen Kaschmirlabels Loro Piana, oder „Loro Banana“, wie Smith scherzt, darunter lugt ein hellblaues Jeanshemd hervor. Nichts an diesem älteren Gentleman schreit nach Abgrenzung durch Mode, nach Distinktion durch Extravaganz. Paul Smith hat einen Look, der genauso verbindlich ist wie sein Auftreten.

Er ist mit der Morgenmaschine aus London eingetroffen und putzmunter. Smith steht gewöhnlich um sechs Uhr früh auf. Wenn er in London arbeitet, schwimmt er 45 Minuten, bevor er ins Büro fährt. Nicht mit dem Rad, das sei angesichts des Londoner Verkehrs doch etwas für Lebensmüde, meint er. Dass die deutsche Hauptstadt so viele Radwege habe, lobt er sofort, er hat sich von einem Angestellten des Geschäfts auch schon ein Fahrrad ausgeliehen und das Viertel abgefahren. Vorbei an den Galerien und Cafés der Postdamer Straße, kurz hinein in den Park am Gleisdreieck.

Seine Streifenstoffe sind legendär

Vielleicht hat er an seine Jugend in den 50er Jahren gedacht, als er Radsportler wie Fausto Coppi verehrte, selber Rennen fuhr, sich dabei Zeitungspapier in die Pullover stopfte, damit er nicht unterkühlte, und nach einem Unfall seine Träume von einer Profikarriere aufgeben musste. „Auto gegen Rad, Auto gewann“, so seine Kurzfassung davon. In seiner Heimatstadt Nottingham eröffnete er 1970 die erste Boutique, sechs Jahre später zeigte er seine erste Herrenkollektion, und drei Jahre darauf zog er nach London.

Große Bekanntheit erlangte der Modedesigner in den frühen 90er Jahren, als er knallbunte Streifenmuster entwickelte. Bis dahin hatte er klassische Vorlagen verwendet, weil er auf vorgefertigte Lagerstoffe angewiesen war. Erst als seine Marke gewachsen war, sah er sich in der Lage, eigene Stoffe in Auftrag zu geben. „Noch heute nehmen wir im Atelier ein Stück Pappe, binden darum Fäden aus verschiedenen Farben und lassen daraus exklusive Garne für uns herstellen“, erzählt er, während seine Hände einen imaginaren Faden aufrollen. So entstand diese Farbkombination, die aussieht, „als wäre ich etwas übergeschnappt“. 14 Farben, nebeneinander aufgereiht, populär gemacht „durch eine Band namens Simply Red, mit der wir damals zusammenarbeiteten“. Typisch Paul Smith, so zu tun, als würde er eine halbwegs obskure Gruppe einkleiden, wenn es sich in Wirklichkeit um Megastars der damaligen Zeit handelte.

In die ganze Welt verkaufte er diese Streifen. Als er das Muster nach einer Saison aus dem Sortiment nahm, protestierten die Kunden, bis es wieder auf Hemden und Jacketts prangte. Smith versuchte vor zwei Jahren, dem Erfolg seines Designs zu entkommen, „es war einfach überall“, indem er es modifizierte. Damals besuchte er in der Tate Britain eine Ausstellung des Künstlers Frank Auerbach, „in Berlin geboren“, jetzt hebt Paul Smith den Zeigefinger, und war vom Farbspektrum der expressionistischen Gemälde begeistert. Nach diesen Bildern kreierte er ein neues Muster, dickere Farbbalken, Pastelltöne, die nun dezenter an Kragenaufschlägen oder Blusenbündchen haften. „The Artist Stripes“, nennt Smith seine Erfindung.

David Bowie war für ihn stilprägend

Eine schöne Idee, den in den 30er Jahren aus Berlin vertriebenen Juden Auerbach wieder zurück in die Stadt zu holen. Auch David Bowie, der ebenfalls Auerbach-Gemälde besaß und den Paul Smith bewundert, hat der Modedesigner nach Berlin zurückgebracht. Und gar nicht so weit weg von der Schöneberger Wohnung des Rockstars. Wäre Bowie aus seinem Altbau in der Hauptstraße rechts hinuntergegangen, hätte er nach einem 20-minütigen Spaziergang das Ladenlokal passiert. Dort, wo nun ein paar Bowie-Platten im Regal für den nötigen Berlin-Bezug sorgen.

Kaum ein Künstler hat mehr für das Stadtmarketing von Berlin in der Welt getan als Bowie. Wie für viele Musikfans der Nachkriegszeit war er auch für Paul Smith stilprägend. Von einem Underground in der geteilten Stadt hatte Smith jedenfalls davor noch nie etwas gehört. Er reiste mit 21 Jahren zum ersten Mal für einen Urlaub ins Ausland, nach Paris, mit seiner späteren Frau Pauline. Es war 1968, Smith faszinierten die Demonstrationen, die Studenten auf der Straße, und er fühlte sich ein wenig wie in einem Godard-Film. Deutschland? Lag außerhalb seines Radars.

1988 kam Paul Smith zum ersten Mal in das inselige West-Berlin, für einen Tag. „Wir gingen auf einen Trödelmarkt, viele Antiquitäten.“ Es wird sich wohl um den Markt an der Straße des 17. Juni gehandelt haben, Smith kann sich an einen Park erinnern, den Tiergarten, und was er gekauft hat. „Alte Stoffe, alte Fotoapparate.“ Ob die nun gut vergraben in seinem Londoner Büro auf Bergung warten? Bestimmt, der Designer grinst. Eine komische Vorstellung, wie ein gut gekleideter Mann in Tweed baggergleich in einen Trikotwühltisch greift.

Berlin gefällt ihm gerade sehr

Erst nach der Wende, 1991, kam Smith wieder, diesmal um das Tabula Rasa in Mitte zu sichten. „Ich habe London in den 60er Jahren miterlebt, und irgendwie erinnerte mich die Energie im Osten daran“, sagt er. Die behelfsmäßigen neuen Galerien, die hippiesken Cafés, Berlin war eine Zeitreise.

Und heute? Auf dem Weg vom Flughafen Tegel hat er an der Galerie C/O Berlin angehalten und die Irving-Penn-Ausstellung besucht – vor der normalen Öffnungszeit. Es hilft, wenn man Paul Smith heißt. Er redet von „Wolfgäng“, der in der Stadt wohnt (der Künstler Wolfgang Tillmans), von zwei aufgestylten Mädchen mit übergroßen Mänteln, die er gerade vorhin beobachtet hat, von den fehlenden Männern in Anzügen und von den vielen Menschen, die „einfach normal“ gekleidet sind.

Abends lädt er zum Essen in die Joseph-Roth-Diele, läuft zwischen Tresen und Tischen hin und her, kümmert sich persönlich darum, dass jeder Gast einen Teller bekommt. „Der perfekte Gastgeber“, sagt ein Schauspieler. „Und Kleidung mache ich auch noch“, antwortet Smith, etwas gehetzt. Es ist das schönste Durcheinander. Wenn man sein Büro kennt, weiß man: Berlin gefällt ihm gerade sehr.

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