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Hier und doch ganz woanders. Reisen in die virtuelle Realität.

© dpa

Fenster zur Welt in der Corona-Krise: So gehen Fernreisen auf dem Sofa – 9 Tipps

Das Huhn schmeckt nach Asien, die Playlist holt Hawaii ins Wohnzimmer. Wer in der Fantasie reist, spart Geld, CO2 und Stress. Ready for Take-off?

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IN DEN BERGEN VON BHUTAN

Der Blick richtet sich auf eine Gasse im südasiatischen Bhutan, rechts ein blauer Penis mit Schleife, links zwei Exemplare in Rot – gemalt auf die Hauswand eines Juweliers für Fruchtbarkeitsschmuck. „Wie viele Phallussymbole findest du hier?“, fragt eine Frauenstimme. „Schau mal genau hin.“ Der Aufforderung folgend geht der Kopf nach rechts. Vorbei an einem Hund, der auf dem Gehweg döst, vorbei an einer Berglandschaft, die fast im Nebel verschwindet. Weiterdrehen, weiterdrehen. Da! Das nächste Exemplar. Zwei weitere Malereien folgen noch, dann ist der Blick wieder bei der Gasse vom Anfang. Die Phalli sollen die Einwohner beschützen, klärt die Stimme auf.

Das Journalistenbüro Into VR hat sich auf Reisereportagen für Virtual-Reality-Brillen spezialisiert. Mit 360-Grad-Kameras berichten sie aus Ländern wie Singapur, Montenegro und Albanien. Der Reiz der Technologie: Immersion. So nennen Wissenschaftler den Effekt, wenn Nutzer verdrängen, dass sie eigentlich auf einen Bildschirm schauen. Feste Kameraperspektiven verschwinden, jede Bewegung des Kopfs sorgt für einen neuen Blickwinkel. Das Bewusstsein, nicht die Wirklichkeit zu sehen, sondern eine medial übertragene optische Illusion, tritt in den Hintergrund.

Simpel ausgedrückt: Mit der VR-Brille auf dem Kopf fühlt es sich an, als würde man tatsächlich vor ein paar Penismalereien stehen. Reisebüros bieten deshalb mittlerweile Urlaubswilligen oft an, ihr Lieblingsland vorab virtuell zu besuchen.

Gesprächspartner in Interviews scheinen nicht länger in eine Kamera zu sprechen, sondern direkt mit dem Zuschauer. Mit teilweise beunruhigender Wirkung. In dem mit Preisen ausgezeichneten Videoprojekt „Was wollten Sie in Berlin?“ schaut man statt auf bhutanische Dörfer auf Stasi-Mitarbeiter und die Wände einer Gefängniszelle.
(Markus Lücker)

MIT WÖLFEN DURCH DIE WILDNIS

Die schier endlosen Dünen der arabischen Wüste, die Eisberge der Polarmeere, die Baumwipfel der südamerikanischen Urwälder: Es sind Orte von majestätischer Schönheit, an welche die Netflix-Dokumentation „Unser Planet“ die Zuschauer führt. Dank Drohnen jagt man mit Wölfen durch verschneite Wälder oder taucht mittels Unterwasserkameras neben Pinguinen unter Eisschollen hindurch.

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Öko-Kitsch, könnte man denken, besonders wegen der theatralischen Musik, würde einen Erzähler David Attenborough (oder in der deutschen Fassung Robert-De-Niro-Synchronsprecher Christian Brückner) nicht mit sonorer Stimme ständig mahnen, wie desaströs der Einfluss des Menschen auf sämtliche besuchte Ökosysteme ist – und wie fragil der Homo sapiens selbst.

Am Ende der achtteiligen Serie geht es nach Tschernobyl. Menschen sind bis heute nicht wieder an dem Ort der Atomkatastrophe heimisch geworden. Ganz anders als Wölfe. Reisen bildet, sagt man. Diese Reise lehrt auch Demut.
(Moritz Honert)

MIT DEM RAD DURCH OSTEUROPA

Es war einsam auf den Schotterpisten Albaniens, in den Wäldern lebten Bären, und abends machte sich Beklommenheit im schnell aufgebauten Zelt breit. Trotzdem war der herbstliche Offroadtrip mit dem Lada ein schönes Abenteuer. Herrliche Landschaft, eindrückliche Natur, kaum Touristen. Solche Geschichten erzählen die Gäste von „Off the Path“ (off-the-path.com), einem Podcast von Sebastian Canaves aus Bayern. Bei ihm kommen Abenteuerlustige zu Wort, die mit dem Fahrrad durch Osteuropa touren und hier über das Verstauen ihrer Gefährte in Zügen fachsimpeln (einfach bei Schulklassen einklinken) oder als blinde Passagiere mit Amerikas Güterzügen unterwegs sind. Die Gespräche könnten besser geschnitten sein, für das Gefühl, weit weg von der Zivilisation zu sein, reicht es allemal.

Eine durchschnittlich abenteuerlustige Reisende, aber neugierige Zuhörerin ist Amanda Kendle aus Perth. In ihrem englischsprachigen Podcast „The Thoughtful Travel“ (über Apple Podcasts abrufbar) verhandelt sie von Passagieren, die einem im Flugzeug zu nah kommen, bis hin zu lohnenden Reisen durch Afrika eine große Bandbreite an Themen. Sie redet mit Buchautoren, Bloggern oder Reiseexperten, heraus kommen gut produzierte Sendungen, die pro Folge nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Der Podcast hat etwas von der Küchenunterhaltung mit einer neuen Partybekanntschaft. Die Neuseelandwanderung einer Autorin resümiert Kendle beispielsweise so: „Ein halbes Kilo Schokolade pro Woche essen und trotzdem Gewicht verlieren? Amazing!“
(Ulf Lippitz)

AUF DEM PAPIER NACH ENGLAND

Sie war süchtig. Sehnsüchtig nach englischer Literatur. Und nach London. Dorthin zu reisen, konnte die Schriftstellerin sich in der Nachkriegszeit nicht leisten, und so ließ Helene Hanff sich Bücher senden, von einem höflichen Londoner Antiquar, mit dem die forsche New Yorkerin eine muntere Brief-und Päckchenfreundschaft begann. Er schickte literarische Raritäten, sie freche Sprüche und Care-Pakete mit Köstlichkeiten, die es im lebensmittelrationierten England kaum gab. Eier! Rosinen! Ein Buch von großem Witz über transatlantische Beziehungen und Solidarität („84, Charing Cross Road“, Atlantik). Erst 1971 konnte Hanff tatsächlich an die Themse reisen. Aber das ist schon wieder ein anderes Buch („Die Herzogin der Bloomsbury Street“, Atlantik). Fast so gut wie ein London-Besuch.

Lange bevor es Autoren-Mode wurde, auf Wanderschaft zu gehen, zog Patrick Leigh Fermor 1933 von eben dort los, um Europa einmal zu durchstreifen, von Hoek van Holland durch Nazideutschland nach Konstantinopel, ein junger Mann von 18 Jahren, ohne Geld, ohne Furcht, ohne Berührungsängste, aber mit ausgezeichnetem Netzwerk, der in Griechenland zum Widerstandskämpfer wurde. Tut gut, die Welt aus der Distanz zu betrachten („Die Zeit der Gaben“, Fischer Taschenbuch). (Susanne Kippenberger)

RÜCKKEHR NACH „MONKEY ISLAND“

Grüne Wiesen, Backsteinhäuser, höfliche Menschen. Lange lockte England Touristen mit Idylle. Dann kam der Brexit, dann Corona, und das Königshaus ist auch nicht mehr, was es mal war. In „Untitled Goose Game“ reisen Videospieler in Gestalt einer Gans in das harmonische Großbritannien der Vergangenheit – um dort eine Kleinstadt mit Schnattern ins Chaos zu stürzen. Ein Gärtner kümmert sich liebevoll um seine Karotten? Klau seine Harke und zieh sie in den See! Ein Junge spielt mit seinem Fußball? Schnattere ihn so lange voll, bis er sich vor Angst in einer typischen roten Telefonzelle verkriecht. Die Zeit dazwischen füllt der Spieler mit Spaziergängen durch Parkanlagen zu Musikkompositionen von Claude Debussy und Badeurlaub im örtlichen See. Einfach idyllisch.

Alternativ bietet sich die Reise auf eine einsame Insel mit dem gerade erschienenen „Animal Crossing: New Horizons“ an. Perfekt für all jene, die sich beim Hotelurlaub häufiger mal über den mangelhaften Meeresblick beschweren. Denn in dem Nintendo-Spiel entscheidet der Tourist einfach selbst darüber, wie seine Trauminsel genau aussehen soll – auch wenn er dafür notfalls die komplette Landschaft umgraben muss.

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Wenn es doch ein bisschen abenteuerlicher sein soll, ist eine Reise nach „Monkey Island“ zu empfehlen, samt Einführungskurs in die Piraterie. Als Nachwuchsfreibeuter Guybrush Threepwood lernt der Spieler die Grundlagen des Handwerks: unter Wasser die Luft anhalten, Fluchen, Grog saufen und wie man sich vor Voodoo schützt. Also quasi Bildungsurlaub. Der erste Teil der Reihe erschien 1990 noch auf Diskette, seitdem sind zahlreiche Fortsetzungen veröffentlicht worden.
(Markus Lücker)

DER SOUND VOM SUNSET STRIP

Waikiki ist heute längst eine Shopping-Mall mit Strandanschluss. Doch einen Rest Surfromantik kann man auch heute noch in diesem berühmten Viertel von Honolulu finden, das einst der Inbegriff von Beatnik-Südseeträumen war und als Wiege des Wellenreitens verehrt wird. Zum Beispiel im Surfjack Hotel, irgendwo in der dritten Reihe hinter Prada und Louis Vuitton. Mindestens so stilsicher wie der Mid-Century-Look des Boutique-Hotels ist die hauseigene Spotify-Playlist („A Day at the Surfjack“), die einen weiten Bogen spannt zwischen jamaikanischem Dub-Reggae, brasilianischer Tropicália und gelegentlich sanft wiegender hawaiianischer Slidegitarre. Und das alles garantiert Elvis-frei!

Lieber Sunset Strip als Waikiki? An der Straße in Los Angeles eröffnete die erste Niederlassung der übercoolen Hotelkette „The Standard“, die mittlerweile auch in Miami, New York, London und auf den Malediven Ableger hat. In den Hotels treten oft Bands und DJs auf, deren Gigs man auf Mixcloud nachhören kann. So kramt der House-DJ Onsulade alte Disco-Singles raus, die Macher der Labels Honest Jons und Outernational spielen seltene Aufnahmen aus Afrika, die Jazz-Sängerin Zaika singt psychedelischen Jazz. Manchmal wird auch gesprochen: Der Posaunist Peter Zummo erzählt über seine gemeinsamen New Yorker Jahre mit der Disco-Legende Arthur Russell. Genauso geschmackssicher: die Spotify-Playlist mit Disco, Synth-Pop und Retro-House.
(Felix Denk)

ZURÜCK INS JAHR 1534

Der Frontalunterricht hat einen schlechten Ruf: langweilig, uninspiriert, ineffektiv. Dankenswerterweise hat sich der amerikanische Journalist Dan Carlin von diesem Dogma nicht irritieren lassen und organisiert seit nunmehr 15 Jahren mit seinem Podcast „Hardcore History“ (zu finden hier) mehrmals jährlich packende Reisen in die Vergangenheit. Mit einfachen Mitteln: Allein vor dem Mikrofon erzählt der 54-jährige ehemalige Radiomoderator Geschichte nach. Staunend, begeistert und begeisternd, weil Carlin nie vergisst, dass Geschichte von Menschen gemacht wird.

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Und zu deren Realität gehört eben nicht nur politisches und militärisches Kalkül, sondern auch Rache, Liebe oder – im Fall von Alexander dem Großen – schwere Trinksucht.

Immerhin 64 Folgen sind inzwischen entstanden, meist Mehrteiler von vielen Stunden Laufzeit, die zum Beispiel den Ansturm der Mongolenhorden nachzeichnen, vom Täuferreich in Münster anno 1534 oder vom atomaren Wettrüsten berichten. Vielleicht sollt die Geschichte des Frontalunterrichts neu geschrieben werden.
(Moritz Honert)

DER GESCHMACK VON BANGKOK

In Bangkok gibt es gastlichere Orte als den weißgekachelten Imbiss mit Edelstahltischen und Plastikhockern. Neonröhren flackern, Ventilatoren surren gegen die tropische Hitze an, und über allem schwebt eine Duftwolke aus Diesel und Katzenurin. Trotzdem ist ein Essen im Go-Ang Kaomunkai Pratunam an der Phetchaburi Road eines der Reiseerlebnisse, das man vielleicht nie vergisst. Sogar dem Guide Michelin ist der Imbiss eine Empfehlung wert. Denn seit 50 Jahren kochen sie hier nur Hainanese Chicken Rice. Eigentlich ist das ein chinesisches Gericht, das aber über die vielen chinesischen Einwanderer in Bangkok längst kulinarisch eingemeindet wurde – und mit Khao Mon Gai einen thailändischen Namen trägt.

Das Aufregende an dem Rezept ist weniger die gedämpfte Hühnerbrust als der Reis, der darunter liegt. Tatsächlich ist es gar nicht sooo kompliziert nachzukochen. Es dauert halt eine Weile, aber Zeit zu Hause, daran mangelt es derzeit ja den wenigsten. Für den richtigen Punch muss man ein Suppenhuhn auskochen, aus der Hühnerhaut das Fett auslassen und damit und mit der Brühe den Reis dämpfen. Dazu gibt es einen süßsauer-scharfen Dip, den man mit gehackten grünen Chilis noch verschärfen kann. Ein gutes und verständlich erklärtes Rezept hat das australische Food-Magazin „Gourmet Traveller“ (gourmettraveller.com.au) auf seiner Website. Das schmeckt auch ohne den Geruch von Diesel. Und ja, es lindert sogar ein bisschen das Fernweh.
(Felix Denk)

IM KOPF ZUM MOND

Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich vorstellen zu verreisen. Bali umrunden, obwohl keine Flugzeuge mehr fliegen. Einen Berg besteigen, obwohl Österreichs Grenzen dicht sind. Salzigen Meerwind schmecken, obwohl Sylt geschlossen ist.

Traumreisen sind eine alte Entspannungsmethode, die auch in Psychotherapien angewandt wird. Sie helfen beim Einschlafen, aber ebenso gegen Fernweh und Lagerkoller. Man findet sie auf Youtube (zum Beispiel im Kanal „BodyMindPower“), in Apps („Fantasiereisen“) oder zum Selbst-Vorlesen (junfermann.de oder planetsenior.de). Stellen Sie sich vor, so heißt es dort von der sanftesten aller Stimmen, Sie streifen durch einen Dschungel, hören die Affen schreien, beobachten den Tau auf exotischen Pflanzen. Ihr Körper wird nun ganz schwer. Stellen Sie sich vor, Sie schlendern durch Paris, riechen die Croissants, blitzt da hinten nicht der Eiffelturm auf? Stellen Sie sich vor, Sie liegen am Strand, liest einem die sanfte Stimme vor, die Wellen rauschen vom Band, aber das macht nichts, es wird einem trotzdem ganz warm. Spüren Sie schon den weichen Sand, riechen Sie die Kokusnuss? Wer in der Fantasie reist, spart Geld, CO2 und Stress. Und wem die Erde zu irr wird, der reist zum Mond. Auch dafür gibt es Anleitungen.
(Julia Prosinger)

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