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Unterstützer von Brasiliens Noch-Präsident Bolsonaro.

© AFP / TERCIO TEIXEIRA AFP

Parallelwelten: „Bitte weniger verschwörungstheoretisch umformulieren“

Das einst linke Portal NachDenkSeiten blinkt nach rechts. Und der Lateinamerika-Korrespondent verkündet seinen Rückzug.

Von Matthias Meisner

Die „NachDenkSeiten“, eines der reichweitenstärksten Parallelmedien im deutschsprachigen Raum, geraten erneut in Turbulenzen. Der Lateinamerika-Korrespondent des Portals, Frederico Füllgraf, kündigte nach Tagesspiegel-Informationen seine Mitarbeit auf – als Reaktion auf „Zensur-Eingriffe“, wie er sagt.

Füllgraf, beheimatet in Santiago de Chile und früher für mehrere ARD-Anstalten, die Deutsche Welle und als Dokumentarfilmer tätig, hatte für die „NachDenkSeiten“ seit 2016 rund 300 Analysen und Reportagen aus Südamerika geschrieben. Zuletzt war das Klima zwischen ihm und der Redaktion vergiftet. Vorliegende E-Mail-Wechsel dokumentieren, wie seitens des Blogs versucht worden ist, etwa den noch amtierenden rechtspopulistischen Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, besser darzustellen, als er ist.

Zum ersten Konflikt kam es im Herbst 2021. Ausgangspunkt war eine Analyse von Füllgraf, in dem es um eine rechtsradikale Offensive in Lateinamerika, dabei unter anderem um die Rolle der AfD und des ehemaligen Chef-Strategen von Donald Trump, Steve Bannon, ging.

Verbindungen zur FPÖ in Österreich wurden aufgezeigt, zu Viktor Orbán in Ungarn, zum Rassemblement National von Marine Le Pen. Auch erwähnt wurde der Besuch von AfD-Vize Beatrix von Storch im Juli 2021 in Brasilien, die von Bolsonaro im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Brasilia empfangen wurde.

Doch ein spannender Aspekt sollte bei den „NachDenkSeiten“ unter den Tisch fallen: Bolsonaro gab im September 2021 der Verschwörungsideologin Vicky Richter und dem bekannten „Querdenker“-Aktivisten Markus Haintz ein einstündiges Interview. Es wurde auf Youtube sowie als „exklusives Gespräch“ von dem rechten österreichischen Portal „Wochenblick“ verschriftlicht verbreitet.

Ein „abgekartetes Spiel mit Propaganda-Absichten“

Bolsonaro behauptet darin, auch in Brasilien habe ein „Over-Reporting“ stattgefunden. Hinter solchem „Betrug“, für den er „die Mainstream-Medien“ mitverantwortlich machte, stünden meist finanzielle Interessen, ähnlich wie auch hinter den Impf-Kampagnen. Füllgraf sah und las in dem Interview ein „abgekartetes Spiel mit Propaganda-Absichten“ des notorischen Corona-Verharmlosers Bolsonaro und beschrieb seine „kaltschnäuzigen Fabeleien“.

Die Passage rund um Bolsonaros Allianz mit der deutschen „Querdenker“-Szene wurde nie veröffentlicht. „NachDenkSeiten“-Chefredakteur Jens Berger sagte, der Text würde den Eindruck verstärken, Corona-Skeptiker gehörten vor allem zum rechten Lager. Das sei in Südamerika vielleicht der Fall, in Deutschland jedoch „etwas anders“. Auch die „NachDenkSeiten“ selbst würden „die Maßnahmen und einige Narrative kritisieren“.

Obwohl der „Wochenblick“ in Österreich als Desinformationsmedium im FPÖ-Umfeld gilt, obwohl die Hochschule Biberach 2020 dem Ulmer Rechtsanwalt Haintz seinen Lehrauftrag nicht mehr verlängerte mit dem Argument, er gehöre zu den „Feinden einer offenen Gesellschaft“: Berger verwahrte sich in einer Mail an Füllgraf dagegen, das Coronaleugner-Treffen mit Bolsonaro zum „Bild rechtsradikaler Umtriebe zu kombinieren“.

Der Streit ordnet sich ein in einen Kurswechsel der „NachDenkSeiten“, die 2003 vom SPD-Politiker Albrecht Müller als Medium linker Gegenöffentlichkeit gegründet worden waren. 2015 war Mitgründer Wolfgang Lieb ausgestiegen und warf Müller vor, statt zum Nachdenken zum „,Kampf‘ gegen ,die Herrschenden‘ und ,die Medien‘“ aufzurufen.

Wie viele andere sogenannte alternative Medien übernahmen auch die „NachDenkSeiten“ die Argumente von Corona-Verharmlosern. Zugleich positionierten sie sich rechtsoffen: Berger bescheinigte kürzlich der AfD, sie sei die einzige Partei, die zum Ukraine-Krieg eine „progressive friedenspolitische Antwort“ liefere.

Bemerkenswert in dem Zusammenhang ist der Wechsel von Florian Warweg, früher in leitender Funktion beim russischen Propagandamedium RT Deutsch. Er arbeitet seit Sommer als Hauptstadtkorrespondent für die „NachDenkSeiten“.

Füllgraf geriet – kurz vorm Ausstieg – auch mit ihm über Kreuz, nachdem er geschrieben hatte, Bolsonaro sei „mal Hofnarr, mal Henker“, inszeniert werde diese Rollenmischung von „militärischer Marionetten-Regie“. Warweg forderte Füllgraf auf: „Diesen Part bitte etwas weniger verschwörungstheoretisch umformulieren.“

Der Reporter kontert auf Anfrage: „Verschwörungs-Narrative“ habe er – konkret beim Thema Corona, in wachsender Zahl auf den „NachDenkSeiten“ gefunden – „eine Darstellung, die vielfältige Gemeinsamkeiten mit der Sabotage-Politik Jair Bolsonaros gegen Corona-Schutzvorkehrungen, Lockdown und Impfung hatte“. Die „NachDenkSeiten“ ließen eine Anfrage des Tagesspiegels zu dem Vorgang unbeantwortet.

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