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Zu große Übereinstimmung zwischen Politik und Medien? Die These von einer gleichgeschalteten, obrigkeitsnahen Presse, die eine unkritische Öffentlichkeit manipuliert, lebt fort. Als dieses Bild mit Bundeskanzlerin Angela Merkel entstand, war Corona allerdings noch kein Thema.

© Wolfgang Kumm/dpa

Stecken Politik und Medien unter einer Decke?: Wider die Mär von einer Kumpanei in der Corona-Bekämpfung

Erst Flüchtlings-, dann Coronakrise: Erneut wird der Vorwurf erhoben, vielen Journalisten ginge es um Gesinnung statt um Aufklärung. Eine Analyse.

Donald Trump, der Meister der Medienschelte, tritt als US-Präsident ab. Doch seine These von einer gleichgeschalteten, obrigkeitsnahen Presse, die eine unkritische Öffentlichkeit manipuliert, lebt fort. Es gibt diese These in vielen Varianten, mal drastisch formuliert, mal liest man sie zwischen den Zeilen. Und natürlich wird sie auch von seriösen Medienwissenschaftlern diskutiert, die nichts mit Trump gemeinsam haben.

In Deutschland glaubt jeder vierte Bürger, dass Politik und Medien „unter einer Decke stecken“. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Demnach denken 23 Prozent der Befragten, dass es geheime Organisationen gibt, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Dass die Presse ein „Organ der Regierung“ sei, behaupten auch jene „Querdenker“, die jüngst versucht hatten, in Berlin eine Partei zu gründen. Woher kommt das Misstrauen gegenüber einer freien Presse – und wer schürt es?

Am 5. Januar veröffentlichte der Kulturchef der „Welt“, Andreas Rosenfelder, einen Artikel über „Die Regierungssprecher“. Das sind für ihn sehr viele Journalisten, die in der Coronakrise „ein Meinungskonglomerat aus Politik und Medien erzeugen, das jeden Kritiker der ,Systemmedien‘ in seinen krudesten Fantasien bestätigt“. Nie zuvor,

schreibt Rosenfelder, „auch in der Flüchtlingskrise nicht“, hätte sich „die deutsche Medienlandschaft so dicht um das Bundeskanzleramt geschart“ und eine „schützende Wagenburg“ gebildet.

„Angstmache war und ist Programm“

Weiter heißt es: „Die Hauptstadtmedien schirmten die Corona-Politik der Bundesregierung gegen Angriffe von Dritten ab, sie stellten die ausgegebenen Marschrouten in Form von Leitartikeln an ihre Leser durch und richteten ihre brachliegende kritische Energie einfach auf die ,unvernünftigen‘ Bürger, die regelmäßig dafür gegeißelt wurden, sich nicht so zu verhalten, wie sich das die Corona-Strategen und ihre medialen Dolmetscher wünschten.“

Vier Tage später zog „Spiegel-Online“-Kolumnistin Franziska Augstein nach. Auch sie konstatiert eine Art mediales Brainwashing. „Angstmache war und ist Programm.“ Dadurch sei beim Publikum der Eindruck entstanden, „jedes Opfer sei zu bringen, um dieser tödlichen Krankheit zu entgehen“. Nur das permanente Schüren von Angst lasse verstehen, dass es „ausgerechnet in Deutschland, das mit Diktaturen schlimme Erfahrungen gemacht hat“, eine Mehrheit der Bundesbürger „völlig in Ordnung findet“, dass „die deutsche Demokratie partiell außer Kraft gesetzt wird“.

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Beide Autoren berufen sich auf Analysen von Wissenschaftlern. Im Frühjahr 2020 hatte Claus Eurich, emeritierter Professor für Kommunikation und Ethik an der TU Dortmund, die Corona-Berichterstattung als „Systemversagen des Journalismus“ kritisiert. Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, und Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur, warfen den Medien ein „distanz- und kritikloses“ Verhältnis zu Zahlen und Statistiken vor.

Gesinnungsethik und Belehrungsjournalismus?

Im August legten Dennis Gräf und Martin Hennig vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau einen Bericht über die Corona-Sondersendungen von ARD und ZDF vor. Die Macher von „ARD Extra“ und „ZDF Spezial“ hätten einen massenmedialen „Tunnelblick“ erzeugt, hieß es. Gesellschaftlich relevante Themen jenseits von Covid-19 seien ausgeblendet worden. Das Resultat sei eine „Verengung der Welt“. Durch Rückgriff „auf die Bildwelten apokalyptischer Endzeiterzählung“ sei ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario entstanden. Die Botschaft habe gelautet: „Individuelles Wohl wird eingeschränkt für das überwiegende Wohl.“ Das habe es möglich gemacht, die Einschränkung von Grundrechten willfährig hinzunehmen.

Gesinnungsethik statt Aufklärung, Beifallklatschen für die Regierung, besserwisserische Prophetie, moralisierender Belehrungsjournalismus: Solche Vorhaltungen wurden gegenüber Medien auch in der Flüchtlingskrise geäußert. Genährt wurden sie durch eine Studie der Hamburger Media School und der Universität Leipzig um den Medienwissenschaftler Michael Haller. Solche „Dysfunktionen der Medien“ hätten den polarisierenden und desintegrativen Prozess massiv gefördert. Der oft zitierte „besorgte Bürger“ habe sich in der Darstellung der Ereignisse nicht wiedergefunden und sei in die alternative Nachrichtenwelt ihm genehmer sozialer Netzwerke abgedriftet.

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Medienschelte solcher Art düngt den Boden, der auch Verschwörungsmythen sprießen lässt. Das provoziert Einwände. Da ist, erstens, das Bild vom Journalisten, dessen vorrangige, wenn nicht gar einzige Aufgabe angeblich die Kritik sei. Das aber mindert die Bedeutung von Information und Aufklärung und „sagen, was ist“ (Rudolf Augstein). Wenn Journalisten zum Ergebnis kommen, ein Regierungshandeln sei falsch, müssen sie diese Ansicht ebenso verbreiten dürfen wie die, ein konkretes Regierungshandeln sei richtig. Kritik immer gut, Lob immer verwerflich: Das kann nicht die Devise sein. Einer Kritik um der Kritik willen fehlt die Substanz.

Als Kumpane der Regierung verunglimpft

Da ist, zweitens, insbesondere im Fall der Coronakrise die Nicht-Berücksichtigung deren globalen Ausmaßes. Alle von der Pandemie betroffenen Staaten haben ja dieselbe Erfahrung gemacht: Ohne Grundrechtseinschränkungen lässt sich das Virus nicht wirksam bekämpfen. Kontaktvermeidung, Maskengebot und Ausgehbeschränkung sind weder typisch deutsche Erfindungen noch ein Zeichen unveränderten Obrigkeitsdenkens. Journalisten, die das verstehen, als Kumpane der Regierung zu verunglimpfen, ist unfair.

Drittens stimmt der Eindruck nicht, finstere Strippenzieher würden ihr hinterhältiges Spiel mit Medien-Marionetten treiben. Die Wahrheit ist banaler: In der Flüchtlingskrise ging es um Verfolgung, Not und Elend. In der Coronakrise geht es um Leben und Tod. Wenn in derart existenziellen gesellschaftlichen Situationen das Gros der deutschen Journalisten moralisch ähnlich empfindet wie das Gros der Parlamentarier, dann hat das nichts mit freiwillig vollzogener Gleichschaltung zu tun, sondern ist Ausdruck einer Wertegemeinschaft.

In der Coronakrise wird über alles diskutiert: die Folgen des Lockdowns, den Wert von Freiheitsrechten, die drohende Rezession, die Höhe von finanziellen Hilfen, das Modell Schweden, das Modell Südkorea. Eine freie und unabhängige Presse zeigt die Bilder der Pandemie. Dazu gehören erschöpfte Pfleger, überfüllte Krankenhäuser, verzweifelte Eltern, arbeitslose Künstler. Unterschlagen wird nichts. Wer etwas anderes behauptet, bildet Legenden. Deren Funktion besteht darin, ein Sich-nicht-abfinden-wollen mit den Einschränkungen, die der Kampf gegen das Virus mit sich bringt, zu rationalisieren.

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