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Endlich, nach vielen Vorausscheidungen hatte am Samstagabend das Finale mit dem Duo Stefan Raab und Lena begonnen.

© dpa

Der Eurovision Song Contest im Live-Ticker: Aserbaidschan schlägt Raab

Stefan Raab und Lena wollten beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf ihren Titel verteidigen. Es hat nicht geklappt. Der Ticker drückte von Beginn an Aserbaidschan die Daumen. Und besucht jetzt Berti in Baku!

00:20 Uhr

Die letzte Stimme ist vergeben, alle Punkte sind gezählt. Vier Stunden Daumendrücken haben sich gelohnt: Aserbaidschan gewinnt den Eurovision Song Contest. Lena versinkt im Zwielicht des eigenen Songs, landet irgendwo im Mittelfeld, weil zwei Minuten Electrobeats und tanzende Spermien nicht reichen, wenn die Stimme die Erwartungen eines ganzen Landes nicht tragen kann. Europa schlägt Stefan Raab. Das ist für heute Abend eine gute Nachricht, weil Raab nicht alles gelingt. Es ist aber, spätestens ab morgen eine schlechte Nachricht, weil Raab aus dieser Niederlage heraus neue Pläne entwickeln wird. Und, das wusste schon Regina Halmich, ein angeschlagener Raab ist ein gefährlicher Raab. Zuzutrauen ist ihm in jedem Fall alles und in der FDP ist gerade ein Führungsvakuum entstanden. Vielleicht geht da was. Hoffentlich nicht. Wie auch immer. Der Ticker verabschiedet sich nach Baku, ins Anwesen von Berti Vogts, und lässt Sie, liebe Leser, mit diesem liberalen Pop-Alptraum alleine. Gute Nacht!

00:09 Uhr

Plötzlich aber reißt Peter Urban sich und uns aus seiner Lethargie, streift sein Phlegma ab und sagt: "Ich kann es kaum glauben." Man fragt sich, was er kaum glauben kann. dass es zehn nach Zwölf ist und trotzdem noch sieben Länder ihre Punkte vergeben müssen? Oder hat er gemerkt, dass es mehr Stimmlagen als "monoton" gibt? Nein, Peter Urban hat kurz nachgerechnet und ihm ist aufgefallen, dass die Italiener marschieren. Zur Erinnerung: Der Pianist, der gar nicht wusste, dass diese Veranstaltung überhaupt existiert, ergo auch gar nicht wusste, dass Peter Urban überhaupt gibt. Aber nun sind diese Italiener plötzlich Dritter. Und das mit einer "so tschässigen Nummer", wie Urban sagt. Eine Sensation. oder, um es mit Urban zu sagen: "Ein Tzänzation." Freejazz für Hartvokalisten.

00:05 Uhr

Aus Albanien meldet sich ein dunkelhaariger Tom-Burow-Klon, der sofort sein Talent für besonders komödiantische Völkerverständigung unter Beweis stellt: "Guten Abend und: Danke, Anke!" Lustig. Humor als letzter Schrei. Deutsche und Albaner eben.

00:02 Uhr

Deutschland versinkt irgendwo im Morast der Mittelmäßigkeit. Das Gute daran: noch nicht einmal durfte Stefan Raab sein fleischiges Gesicht in die Kamera halten. Europa schlägt Raab und zeigt auch: Erfolg ist nicht bis ins letzte Detail planbar. Momentan sieht es so aus, als wenn der nächste ESC in Aserbaidschan stattfinden wird. Aber wenn Düsseldorf, warum dann nicht auch Baku. Meine Meinung.

23:56 Uhr

Dabei war das ja auch nicht anders zu erwarten. Wenn 25 Nationen gemeinsam etwas entscheiden sollen, kann sich das schon mal in die Länge ziehen. Jeder, der mal zu Gast im UN-Sicherheitsrat war, kann davon ein Lied singen. Aber bitte nicht heute. Für heute hatten wir genug Lieder. Die Türkei vergibt 12 Punkte an Aserbaidschan. Tagesspiegel-Experte Edmund Stoiber dazu: "Die unglaubliche Reaktion der Türkei beweist einmal mehr: Das Gesicht Europas würde sich durch den EU-Beitritt der Türkei grundlegend verändern, und zwar in eine Richtung, die wir nicht wollen. Die Türkei zieht mit solchen Aktionen die Grenzen zu Europa selbst." Danke, Edmund!

23:54 Uhr

Deutschland steht aktuell bei 58 Punkten. Hurra, bzw. kotz! Wieso dauert das hier so lange? Ist da draußen überhaupt noch irgendwer? Hallo, Tante?

23:50 Uhr

Ina Müller jetzt, die Pippi Langstrumpf der deutschen Talkshow-Landschaft. Sie meldet sich aus Hamburg, überraschender Weise allerdings nicht aus ihrer Hafenkneipe, was uns allerdings davor bewahrt, einen weiteren Chanson hören zu müssen. Deutshclands Punkte gehen nach Österreich. Naja gut, geben wir dem Affen eben Zucker.

23:47 Uhr

Weiter nach Stockholm, wo noch immer die Sonne scheint. Zumindest auf der Stockhol-Fototapete, vor der ein Stereotyp-Schwede die Ergebnisse verliest. Wer genau er ist, wird nicht sofort klar. Schaut man jedoch genauer hin und rechnet nach, kommt man zu einem erschütternden Schluss. Der junge Mann ist Michel, das Ritalin-Kind aus Lönneberga. Nett. Da er aber Deutschland die volle Punktzahl vorenthält muss er nun zurück in seinen Schuppen, wo er den Rest seines Lebens Stefan Raab Puppen aus hartem Eichenholz schnitzen muss.

23:46 Uhr

Nun Österreich. Das Land, das so deutsch ist, wie man sich Deutschland vorstellt. Und aus alter Verbundenheit, oder weil in Ischgl heute auch Grand Prix geschaut wurde. Allerdings schicken die Österreicher nur zehn Punkte nach Deutschland. Liebe Nachbarn, wenn ihr das nächste Mal Zucker braucht, klingelt doch bitte bei den Ungran im zweiten Stock!

23:44 Uhr

Island schickt seine Punkte über das Meer nach Schweden, hofft im Gegenzug auf einen Rettungsanker für die Nationalbank. Berechnend.

23:42 Uhr

was aber festzuhalten bleibt: Nachdem ein Drittel der Länder ihre Punkte vergeben haben, steht Lena, als Deutschland, also Raab bei nur 18 Punkten. Momentan bleibt festzuhalten: Weniger hätte man wohl nur mit Christoph Daum geholt. Pasend dazu zieht die Karwaane weiter. Nach Mazedonien, das Bosnien 12 Punkte schenkt. Pfiffe im Saal. Da ist es wieder dieses Phänomen des Osteuropäischer Blockbildung. Für Lena fällt der Eiserne Vorhang.

23:40 Uhr

Bisher ist in der Punktevergabe kein einheitliches Muster zu erkennen. Noch ist das alles in etwa so wahllos wie das Datingverhalten geschlechtsreifer C-Promis. 12 Punkte an Sandy Meyer-Wölden.

23:35 Uhr

Aus den Niederlanden meldet sich der böse Zwilling Linda De Mols, vergibt zwölf Punkte an Dänemark. Verschwörungstheoretiker wittern bereits Absprachen zwischen den Königshäusern. Royal-Experte Jürgen Worlitz ermittelt.

23:30 Uhr

Die Punktevergabe: Der erste Splitscreen öffnet sich in Moskau. Russland schickt 12 Punkte durch die Pipeline nach Aserbaidschan. Das geht runter wie Erdöl.

23:25 Uhr

Die gigantische LED-Wand wird hoch gefahren und gibt den Blick frei auf den "Green-Room", alle Künstler warten nun in kleinen Waben auf die Punktevergabe, die Halle summt. Raab, die Bienenkönigin, spielt einen finalen Akkord auf seiner E-Gitarre. Das perfide daran, wenn Raab sticht, wächst der Stachel nach.

23:15 Uhr

Nun tritt Jan Delay auf und damit passiert, was zwangsläufig passieren musste. Das deutsche Fernsehen zerfließt, alles vermischt sich mit allem. Und Raab ist der Drittklässler, der seinen Tuschkasten mit Wonne unter den Wasserhahn der Beliebigkeit hält, bis alles nur noch eine Farbgebung besitzt, ein undefinierbares Suppenbraun aus Bundesvision Songcontest, Bambi-Verleihung und Grand Prix, aus dessen tiefen die immergleichen Fratzen auftauchen: Xavier Naidoo, Jan Delay, irgendwann noch eines der anderen Casting-Produkte Raabs, die seine Lieder singen, weil er die Fäden in der Hand hält, an denen sie zappeln. Wenn Totales TV von vornherein sein Ziel war, hat Raab dieses heute erreicht. Und das Publikum klatscht im Sportpalast-Rhythmus.

23:00 Uhr

Anke Engelke, mittlerweile als Königen der Nacht und Stefan Raab als Stefan Raab erklären noch einem die Modalitäten des Votings. Ganz langsam, damit es auch der letzte Zuschauer versteht. Es ist ja mittlerweile so weit, dass das Fernsehen sich ein Publikum heran gezüchtet hat, das dem Fernsehen und seinen Protagonisten nun selbst suspekt ist. Jetzt müssen sie umgehen, mit den Geistern, die sie selbst gerufen haben. Mit Zuschauern, die zwar pawlowsch an jede eingeblendet Nummer eine SMS mit dem Buchstaben A schicken, aber in der Zwischenzeit vergessen hat, warum eigentlich. Also sagen Raab und Engelke und Peter Urban gleich mit: "Nicht für Lena anrufen, nicht Lena. Lena nicht!" Gut. Und dann, damit das Publikum doch wieder weiß, warum jetzt angerufen werden soll, noch einmal alle Beiträge im Schnelldurchlauf. Um es mit Bart Simpson zu sagen: "Dem Fernsehen verdanke ich, dass ich nicht mal weiß, was vor 8 Minuten war."

22:50 Uhr

Den Schlusspunkt der schnellsten Chartshow Europas setzt Georgien mit einem Sänger, der aussieht, als hätte sich Eko Fresh ein Judge Dredd-Kostüm übergestreift, um auf eine traditionelle Hochzeit aufzumischen. Mensch gewordene Endzeitfantasien und Töne wie Waterboarding. Ist dies das Ende? Hoffentlich.

22:40 Uhr

Aber die Weltmeisterschaft der Lichtinstallateure geht weiter. es blinkt und flackert, die Optik dröhnt, Karneval im Kopf. Serbien schickt eine Girlgroup verzweifelter Hausfrauen auf die Bühne. Die Jakob-Sisters treffen Hair, knalliger Sechziger-Jahre-Look, der in der Technicolor-Überzeichnung an die grellen Szenen der suburbanen Distopie in "Edward mit den Scherenhänden" erinnert. Der einzige Depp hier ist jedoch der Zuschauer.

22:30 Uhr

Lena hat gesungen, damit ist hier, zumindest aus deutscher Sicht, ein Großteil der Luft entwichen, mit dem dieser Event im Vorfeld aufgeblasen wurde. Deshalb ist an dieser stelle Zeit für ein erstes Fazit. Bisher hat der Grand Prix all das gehalten, was er längst nicht mehr versprechen muss. Im Grunde trägt sich die Veranstaltung ohnehin selbst. Jeder, der zuschaut, weiß, was ihn erwartet. Er kann weder überrascht noch enttäuscht werden. Der Eurovision Song Contest ist der alljährliche Besuch der dicken Tante, die eigentlich keine echte Tante ist, mehr eine Bekannte der Eltern. Sie trägt eine Menge Rouge auf den Wangen und ein Parfüm, das Douglas seit zehn Jahren nicht mehr in der aktuellen Kollektion führt, dazu Runge an den meisten ihrer wurstigen Finger, das toupierte Haar riecht nach Mottenkugeln. Ihr Kleid wird über dem Dekolleté von einer Skarabäus-Brosche zusammen gehalten und sie lacht hysterisch, wenn sie alte Heinz-Erhard-Witze erzählt. So richtig Lust, sie zu treffen, hat man nie, ihr Atem ist pfefferminzig und ihre Umarmung zu herzlich, aber was man auch weiß: Die bunte, glitzernde, viel zu laute Tante hat immer etwas Süßes dabei, oder ein Geschenk. Und nach drei Gläsern Schnaps singt sie die Lieblingslieder ihrer Jugend. Deshalb steht man doch jedes Jahr wieder an der Tür und lächelt, wenn sie die Treppe hinauf steigt. Alte Tante, Grand Prix, Du darfst uns nie verlassen!

22:20 Uhr

Die letzten elektronischen Takte fließen über die Arena, Lena schließt die Augen. Kein Wort mehr. Sie hat ihren Teil geleistet. Sie taucht in den Applaus willfähriger Claqueure. Er schwappt über sie hinweg. Dann ist es für einen Wimpernschlag dunkel. Lena, Schnitt, nur ein Augenaufschlag und sie ist verschwunden, stattdessen wieder grelle Kostüme, bunte Lichter. Das Publikum klatscht noch immer, aber der Contest geht weiter. Und man wird das Gefühl nicht los, dass diesmal etwas anders ist. Nicht jedes Märchen lässt sich ständig neu aufführen. Und hinter dem Vorhang wartet der Wolf. Keramikzähne, schwarzer Anzug. Eine Fabel ohne Moral.

22:15 Uhr

Jetzt ist Deutschland dran, schreit Peter Urban, also für seine Verhältnisse schreit er. Überschlägt sich fast, bleibt dabei aber auf der Emotionsskala noch unter Heiner Bremer-Niveau. Und dann, auf Urban ist Verlass, ist tatsächlich Deutschland dran. Lena, oder besser: "unsere Lena", die deutsche Lena, steht dort auf der Bühne, ein anämisches Modell, die Augen schwarz umrandet, die deutsche Gegenwartskultur als Lidschatten. Hinter ihr: sich aalende Human-Spermien, sie vibriert asynchron, etwas Dunkles umgibt sie, künstlich erzeugtes Mystik. Sie bewegt sich kaum, in den Augen spiegelt sich auch ihr eigener Weg nach Düsseldorf, ihre neue Rolle als Volksgut. Die öffentliche Lena, die diesen Erfolg gewollt hat, in der aber auch eine gewisse Tragik liegt. Dieser Auftritt ist es nun, für den sie ein Jahr auf Tour gegangen ist, ein Leben im Fernsehen geführt hat. In einer Truman Show, deren Setting viel beklemmender ist, weil die Hauptdarstellerin genau weiß, dass sie von Kameras beobachtet wird, von Statisten umgeben ist. Taken by a Stranger. Der Fremde steht im schwarzen Anzug neben der Bühne. Das Lied mag nicht sein Produkt sein, die Sängerin aber ist es.

21:55 Uhr

Italien nun mit einem Pianisten (nicht Adrien Brody), der, so Peter Urban, vor kurzem noch gar nicht wusste, was der Eurovision Song Contest ist. Wie ich diesen Mann beneide. Weniger Neid bringe ich allerdings dem Kollegen Leber entgegen, der immer noch in der Fahnen-Konfetti-Hölle sitzt und versucht, den Abend mit Rumtorte erträglicher zu gestalten, nebenbei hat er aber auch noch eine Geschichte ausgegraben, in deren Angesicht sogar Bob Woodward oder Hans Leyendecker erblassen würden:

"Der ungarische Kollege am Nebentisch berichtet: Die Fans seines Landes sind seit Tagen extrem sauer auf Deutschland. Grund ist das hartnäckige Gerücht, mehrere große deutsche Zeitungen hätten eine Schmutzkampagne gegen ihre Kandidatin Kati Wolf (Startnummer 5) initiiert - ein bekanntes Magazin habe gar geätzt, Kati sehe aus „wie eine Transsexuelle“. Dabei stimmt das gar nicht. Das korrekte Zitat lautet: „Kati Wolf ist eine Puppe. Kati Wolf guckt zu viel Fernsehen… Sex and the City ist lang vorbei“. Ganz falsch ist das nicht."

Das macht betroffen. Deshalb entschuldigt sich der Liveticker im Namen aller deutschen Zeitungen bei allen Transsexuellen für diesen Vergleich. Ganz besonders bei Ina Müller.

21:45 Uhr

Eines muss man dem Eurovision Song Contest schon zugestehen: wenn man ein ganzes Jahr kein Fernsehen schaut, kein Radio hört, sich stattdessen mit Tarot-Karten, der Erstausgabe von Krieg und Frieden und einem 10.000 Teile Puzzle (Motiv Rapsfeld unter brandenburgischer Sonne) in eine Hütte in Mecklenburg zurück zieht, also von der Außenwelt abgeschottet lebt, muss man doch nur diesen Abend verfolgen und man bekommt die popkulturelle Gegenwart und die Lage des Kontinents in einer Nussschale präsentiert. Es ist ein Europa in Miniaturformat, eine hyperreale Nachbildung der Realität. Esten kopieren Lady Gaga, ein griechischer Rapper trägt die Schulden seines Landes in der Stimme, erinnert aber optisch an Marteria. Frankreich schickt, als Endboss in der Rassismus-Frage einen André-Rieu-Verschnitt ins Rennen. Dazu Szenen aus "Black Swan", Arien wie Paul Potts, Kulissen für Justin Bieber. Europa ist eine Schlampe und heute trägt sie dick aufgetragenes Make-Up.

21:40 Uhr

Es folgt Estland. Mit einem bunten Andrew Lloy-Webber-Zusammenschnitt, bei dem man ständig erwartet, dass auch noch Mark Hammil aus der Kulisse fällt und in sein Lichtschwert singt, oder der gesamte High-School-Musical-Cast "Cats" nachspielt. Stattdessen aber nur Ballett in den Kulissen von Metropolis. Bühnenbild. Art Attac. Musik aus Pappmaché, die im Gehörgang klebt.

21:30 Uhr

Jedward, der Beitrag aus Irland verdeutlicht eindrucksvoll, wenn Lieder unter dem Einfluss von MDMA geschrieben werden und sich das Bühnenprogramm an einer Folge der Jetsons im Vorlaufmodus orientiert. Oder auch, was passiert, wenn Kinder mit ADS_Diagnose durch einen jährlichen Besuch von Starlight-Express sozialisiert werden. Eigentlich müssten mir da jetzt die Haare zu Berge stehen, aber dann würde ich aussehen wie Jetward, und dann müsste ich mich erschießen. Und so eine freiwillige Selbsttötung ruiniert einem immer gleich die ganze Abendplanung.

21:20 Uhr

Zwei Songs später, ungarischer Ethnopop, litauische Gebärdenballlade, steht plötzlich Aiman Abdallah in der Tagesspiegel-Redaktion und kündigt das große Galileo-Experiment dieses Abends an: Wir wollten wissen, ob sich diese Veranstaltung nüchtern ertragen lässt? Bisher lautet die Antwort: Nein! Bleibt nur zu hoffen, dass Farben auch betrunken machen können. Am Ende hilft wahrscheinlich nur Lack saufen. Hm, lecker: Lack!

21:15 Uhr

Es folgt Bosnien-Herzegowina, für die ein Montserrat-Caballé-Double ein buntes Medley aus alles Volkswaisen des ehemaligen Jugoslawiens singt. Schon jetzt ist der Grand Prix ganz bei sich: Knallbunte Kostüme, mit denen man sonst allerhöchstens zu Weihnachten das KaDeWe schmücken würde, oder die wagen des Circus Roncalli, dazu Konfetti gibt es Konfetti für die Ohren. Die Optik jedenfalls erinnert an einen kindlichen Blick durch Kaleidoskop. und im Hintergrund bröckelt die Schallmauer.

21:10 Uhr

Die Moderatoren, also Raab, Engelke, und die andere, ergeben im Übrigen zusammen ein Schwarz-Rot-Goldenes Trio. Die Kraft der Suggestion. Auch die beherrscht Stefan Raab. Was auch den ersten Song in diesem Wettbewerb erklärt. Denn spielt man den finnischen Beitrag rückwärts und auf 4-facher Geschwindigkeit ab, wiederholen sich immer wieder die Worte: "Lena, Raab und Stranger", inklusive der Durchwahl für Lena. Im Refrain versteckt sich allerdings eine Werbung für Absolute-Wodka. Kreatives Productplacement.

21:05 Uhr

Um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, wer heute den Heimvorteil auf seiner Seite hat, darf Stefan Raab gleich zu Beginn seiner persönliche Interpretation (rockig, mit einem Touch American-Diner-Folklore) von Lenas Siegersong "Satellite" aufführen. Dabei alles, was seine Propagandamaschinerie auffahren konnte. Bigband, Lena-Doubles, Anke Engelke als Nina Queer. damit ist auch klar, dass der Eurovision Song Contest heute anderen Regeln folgt, als sonst. Es ist heute einfach ein weiterer Showabend, den Raab dirigieren wird, auch der ESC ist nun nur ein Teil seines Potpourri aus Wok-WM und Schlag den Raab. Er hat sich einfach nur ein paar Showacts mehr eingeladen, als sonst. Europa ertrinkt im Brainpool.

21:00 Uhr

Der Countdown läuft. Nach dem Wort zum Sonntag (Gedanken zum Auftanken, heute mit Philipp Rösler, FDP) wird in der ARD herunter gezählt. Zehn, kurz eingeschlafen, Null! Das Panorama öffnet sich, die Kamera fliegt in eine Halle, in dem ein dressiertes Publikum versammelt wurde, gegen das Jubelperser ein Haufen Gefolgsverweigerer wären. Deutsche Fahnen. Wir sind wieder wer. Die ARD lädt zur Zeitreise ins Sommermärchenland 2010. Und auf der Bühne stehen Anke Engelke, Stefan Raab und eine zur Stund unbekannte Frau in einem schimmernden Kleid. Willkommen, welcome. Mögen die Spiele beginnen. Oder mir jemand Brot reichen, an dem ich ersticken kann.

20:45 Uhr

Wieder nach Hamburg. Dort singt Ina Müller. Dann lieber wieder weg aus Hamburg, irgendwo hin. Zurück in die angeschlossenen Irrenhäuser. Oder mit Daniela Katzenberger auf der Kinderkarussell-Rakete nach Wiesenhof reiten.

20:35 Uhr

Lena im Interview in Düsseldorf, im Hintergrund die Halle, die mal LTU-Arena hieß, jetzt wohl Esprit-Arena oder Keine-Sorgen-Halle, oder die-Versicherer.de-Sportpark. Oder ganz anders. Man weiß das ja heute nicht mehr genau. In einer Zeit, in der Fußballstadien öfter ihre Namen wechseln, als Prince, und so nicht mehr Symbole, sondern nur noch Werbeträger sind. In jedem Fall steht Lena mit einer Reporterin vor dieser Halle, das eigentlich hübsche Gesicht zur maskenhaften Diva geschminkt, der etwas harlekineskes anhaftet. Kaum etwas ist in dieser Szene übrig von dem unbekümmerten Schulmädchen, das vor fast zwei Jahren einfach nur berühmt werden wollte. Kaum etwas erinnert an die Lena, die als niedersächsisches Rotkäppchen mit einem Korb voller Teenie-Träume und kindlichem Geltungsbedürfnis unbedarft in den Fernsehwald lief, dabei nicht zu singen begann, weil sie Angst hatte, sondern, weil sie einfach singen wollte, schließlich aber einem Wolf mit Keramiklächeln in die Hände fiel. Nun steht sie dort, aufgetranst, modelliert, und sagt: "Ich habe eine Arschangst", weil sie das sagen muss, weil sie nur dann Lena ist, die Marke, die Keine-Sorgen-Arena-Lena, wenn sie Dinge sagt wie "Arschangst". Und er Wolf lacht. Stefan, wieso hast du nur so große Zähne?

20:25 Uhr

Weil in Hamburg niemand verhindert, dass ein Lied diverse Lippen verlässt (der mit dem Loch im Gesicht ist immer der Sänger), bleibt uns die Zeit, selbst nach Düsseldorf zu schalten, wo Tagesspiegel-Reporter Sebastian Leber gemeinsam mit Guildo Horn, Ralph Siegel und Nicole in einem von ihm persönlich mit Plüsch in Leoparden-Optik und diversem NanuNana-Tand ausgekleideten Wohnmobil bei Torte und Wermuth auf den Beginn des Wettbewerbs wartet und uns mit nützlichen Insider-Informationen wie dieser hier füttern wird:

"Wer bei Peter Urbans Kommentaren nachher das Gefühl hat, 'die klingen jetzt aber nicht sehr spontan', liegt ziemlich richtig. Urban hat sich die Generalproben angeschaut und dann schon vorher seine Pointen ausgedacht. Heute Nachmittag im Pressezentrum saß er noch am Laptop und feilte an seinem Manuskript als Word-Datei, schön mit Arial und Schriftgröße 11. Nebenbei verfolgte er online noch den Bundesliga-Liveticker, der Mann ist ja Profi."

Schockierend daran ist gar nicht, dass Urban sich eher halbherzig vorbereitet, sondern, dass er nach seiner Performance im vergangenen Jahr heute überhaupt wieder kommentieren darf.

20:20 Uhr

Trotzdem: Ein herzliches Willkommen zum Grand Prix 2011. Und direkt auf die Reeperbahn, wo heute die Show zur Show läuft, frei nach dem Motto: "Die Hölle, das sind die anderen." Da steht, natürlich, Matthias Opdenhövel, weil der immer da steht, wenn Raab hinter dem Sendeformat steckt. Eins ist sicher, wenn Barbara Schöneberger "Wetten, dass...?" übernimmt, wird Opdenhövel die Außenwetten moderieren. jetzt aber kündigt er erstmal die Söhne Mannheims an, ist schließlich Kirchentag heute, oder Fernsehgarten. Xavier Naidoo passt ja mittlerweile zu beidem.

20:15 Uhr

Also wieder Eurovision Song Contest, wieder Lena, wieder der Metzger mit dem Pferdegebiss und diesem Lächeln aus Keramik. Ein Jahr ist vergangen, in dem aus Lena deutsches Volkseigentum und Stefan Raab der heimliche Präsident einer fernsehregierten Nation geworden ist. Der Mann mit der Okulele hat den europäischen Wettbewerb der Konfettibarden eigenhändig nach Düsseldorf geholt und gleichzeitig, ohne Gegenstimmen, entschieden, dass Lena erneut antreten darf. Zur Titelverteidigung. Es war eine Machtdemonstration, die Raabs Einfluss weit über Pro Sieben und die Wok-WM hinaus deutlich gemacht hat. Deutschlands Musikpapst hat zur Audienz gebeten und die Musikindustrie eines ganzen Kontinents ist seinem Ruf gefolgt. Zu einer Veranstaltung irgendwo zwischen Kirchentag und Fernsehgarten, bei der sich das von Raab geschaffene Imperium, inklusive all seiner Marionetten (Opdenhövel, Elton, Max Mutzke, Lena) selbst feiern darf. Bleibt nur die Frage zu klären: Wie viel wiegt die deutsche Unterhaltungsbranche im Jahr 2011? Antwort: Ungefähr ein Rabigramm.

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