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Gedenken an den erschossenen Tankstellen-Kassierer in Idar-Oberstein

© dpa/Birgit Reichert

Update

Entsetzen über Mord in Idar-Oberstein: Berlins Innensenator Geisel warnt vor neuer Dimension von Gewalt und Hass

Ein Tankstellen-Kassierer weist einen Kunden auf die Maskenpflicht hin – und wird deshalb erschossen. Die Sicherheitsbehörden befürchten weitere Tote.

Von Frank Jansen

Das Entsetzen in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) nach der tödlichen Attacke auf einen Tankstellen-Kassierer im Streit über das Tragen einer Corona-Maske vom Samstagabend ist groß. „Das ist eine ganz unfassbare, schreckliche Tat, die hier in Idar-Oberstein passiert ist“, sagte Oberbürgermeister Frank Frühauf (CDU).

Das merke man auch an der großen Betroffenheit der Bürger vor Ort. Viele hätten an der Tankstelle Blumen und Kränze niedergelegt. „So eine Tat kann man mit nichts vergleichen. Es wird eine Zeit dauern, bis man das verarbeitet hat“, sagte er.

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Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte dem Tagesspiegel, „sollten sich die Hintergründe erhärten, hätten wir es mit einer neuen Dimension der Gewalt und des Hasses zu tun. Ich bin schockiert über diese schreckliche Tat und auch über die Kommentierung der Tat in den einschlägigen Messengerdiensten. Dort spricht aus jeder Silbe Menschenverachtung. Meine Gedanken sind bei dem Opfer und den Hinterbliebenen.“ Ähnlich äußerte sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). "Es ist empörend und widerlich, wenn die furchtbare Bluttat von Idar-Oberstein nun im Netz für noch mehr Hass und noch mehr Menschenverachtung missbraucht wird", sagte Lambrecht dem Tagesspiegel. "Der Radikalisierung von gewaltbereiten Corona-Leugnern muss sich unser Rechtsstaat mit allen Mitteln entgegenstellen. Die Strafvorschriften gegen Hassbotschaften haben wir mit unserem Gesetzespaket gegen Hass und Hetze deutlich verschärft. Wer aggressiv hetzt und droht, muss mit Anklagen und Verurteilungen rechnen.“

Auch die Sicherheitsbehörden sind entsetzt. "Ich finde den Vorgang unglaublich", sagte ein Experte. Die Verrohung in Teilen der Querdenkerszene nehme zu. Ihm selbst, sagte der Experte, seien Schläge angedroht worden, als er einem Mann sagte, er solle die Maske aufsetzen. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, sieht "beim Sammelsurium aus Querdenkern, Verschwörungsfantasten, Reichsbürgern und einzelnen Preppern" erste Anzeichen für Terror. "Die Gesellschaft soll in Angst und Schrecken versetzt werden", sagte Kramer dem Tagesspiegel. Der Täter von Idar-Oberstein habe offenbar "nicht mal ein Schuldbewusstsein".

Kramer befürchtet, dass es noch mehr Tote gibt

Es sei zu befürchten, dass die Tat "nicht die letzte war und es mehr Tote gibt". Auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler, hält eine Eskalation der Gewalt für möglich. "Man muss sich fragen, ob sich Teile der Querdenkerbewegung auf dem Weg in den Terror befinden", sagte Fiedler dem Tagesspiegel. Die Tat in Idar-Oberstein sei "ein deutliches Warnsignal im Hinblick auf die Radikalisierung in Teilen der Szene".

Verfassungsschutzchef warnte vor tödlicher Gewalt

Verfassungsschützer betonen, das Tötungsdelikt bestätige auf tragische Weise, dass es richtig war, die Szene der Querdenker in Teilen als Beobachtungsobjekte einzustufen. "Was da passiert, ist eindeutig nicht mit der Demokratie zu vereinbaren", sagte ein Verfassungsschützer. Es handele sich um einen "Extremismus sui generis". Der Verfassungsschutz hat inzwischen bundesweit das Spektrum im Blick. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte im April ein Sammelbeobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. BfV-Präsident Thomas Haldenwang sprach zudem Anfang September in einer Sendung von "Pro 7" von einer "Gewaltspirale, die sich nach oben dreht". Er verwies auf "brutale körperliche Gewalt, zum Beispiel auch gegen Journalisten". Haldenwang warnte, "wenn sich die Gewaltspirale weiter so dreht und angefacht wird durch Hass, Hetze, dann würde ich auch nicht ausschließen, dass solche Gewalt irgendwann auch tödlich enden kann".

Sicherheitskreise sprachen allerdings auch davon, der Täter von Idar-Oberstein könnte psychisch gestört sein. Das ändere aber nichts daran, "dass der Auslöser der Tat die Ideologie der Querdenker war", sagte ein hochrangiger Experte, der namentlich nicht genannt werden wollte. Mit der Ideologie werde die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt gesenkt, gerade auch bei psychisch auffälligen Menschen.

Auch aus der Bundespolitik gab es bestürzte Reaktionen zur Tat in Idar-Oberstein. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schrieb bei Twitter: „Der furchtbare Mord an einem jungen Mann in Idar-Oberstein erschüttert mich zutiefst. An jemandem, der darum bat sich an die Regeln zu halten. Nur normal solidarisch zu sein.“ Und weiter schrieb sie: „Es ist grausam, welche Auswirkungen der Hass hat.“

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Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast schrieb am Montagabend bei Twitter: „Ich bin entsetzt von dem grausamen Mord in #Rheinland-Pfalz. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen. #Maskenpflicht als Mordmotiv lässt mich sprachlos zurück“, schrieb die Politikerin. „#Hass im Netz ist real und aus Worten können furchtbare Taten werden. Das zu bekämpfen ist unsere Pflicht.“

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„Maskenpflicht“ war am Abend in den Twitter-Trends weit oben, viele Nutzer und Nutzerinnen schrieben über das Thema.

Die Bundesvorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, sagte einer Mitteilung zufolge: „Die Aufklärung schulden wir zuallererst dem Opfer und seiner Familie. Aber sie ist für uns alle von elementarer Bedeutung.“ Es müsse unter anderem ermittelt werden, woher und warum der Mann eine Waffe hatte, ob er allein gehandelt hat oder „in irgendwelchen Chats unterwegs war, die Umsturzfantasien verbreiten“.

Baerbock: „Radikalisierung des Querdenkermilieus bereitet mir große Sorgen“

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat erschüttert auf den tödlichen Angriff reagiert. „Die Radikalisierung des Querdenkermilieus bereitet mir große Sorgen“, schrieb Baerbock am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir sind alle gefordert, uns gegen den zunehmenden Hass zu stellen.“

Ähnlich wie Baerbock reagierte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. „Ein junger Mensch wird nahezu hingerichtet, weil er auf die Maskenpflicht hinweist“, schrieb Ziemiak auf Twitter und sprach von einem „unfassbaren Maß an Radikalisierung“.

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Ermittlungen dauern an

Die Ermittlungen gegen den 49 Jahre alten Tatverdächtigen gehen weiter. Der Mann ist nach Angaben von Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Er soll dem 20-jährigen Verkäufer in Idar-Oberstein in den Kopf geschossen haben, nachdem dieser ihn beim Bierkauf zwei Mal auf die Maskenpflicht hingewiesen habe.

Polizisten sichern eine Tankstelle. Ein Angestellter der Tankstelle ist in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz von einem mit einer Pistole bewaffneten Mann erschossen worden.
Polizisten sichern eine Tankstelle. Ein Angestellter der Tankstelle ist in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz von einem mit einer Pistole bewaffneten Mann erschossen worden.

© dpa/Christian Schulz/Foto Hosser

Der Deutsche habe die Tat gestanden. Der mutmaßliche Täter sagte aus, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Zum Motiv habe er angegeben, dass ihn die Situation der Corona-Pandemie stark belaste, so Fuhrmann. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und „keinen anderen Ausweg gesehen“, als ein Zeichen zu setzen. Das Opfer schien ihm dabei „verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe“, sagte Fuhrmann.

[Lesen Sie hier bei T+: Wie Facebook nun gegen Querdenker durchgreift]

Die mutmaßliche Tatwaffe, weitere Waffen und Munition seien bei einer Hausdurchsuchung bei dem Tatverdächtigen von der Polizei gefunden und sichergestellt worden, sagte Fuhrmann. Der Mann habe keine waffenrechtliche Erlaubnis - die Herkunft der Waffen müsse noch weiter aufgeklärt werden.

Er wohne in Idar-Oberstein. Weitere Angaben zur Person wollte Fuhrmann zunächst nicht machen. Da liefen noch Ermittlungen, sagte er. Der Haftbefehl erging wegen dringenden Tatverdachts des Mordes aus niedrigen Beweggründen. Der Verdächtige befindet sich nun in Untersuchungshaft in einer Haftanstalt.

Nach den bisherigen Ermittlungen hatte der 49-Jährige am Samstagabend den Verkaufsraum der Tankstelle ohne Maske betreten und zwei Sechserpack Bier auf den Tresen an der Kasse gestellt. Er habe die Maske vergessen, sagte er später. Der Kassierer wies den Mann auf die Maskenpflicht hin - woraufhin der Mann den Ermittlungen nach den Raum verließ und dabei drohend die Hand hob.

Revolver eingesteckt und erneut zur Tankstelle gefahren

Der 49-Jährige habe sich über die Zurückweisung geärgert, hieß es am Montag. Daraufhin habe er zuhause einen Revolver eingesteckt und sei erneut zur Tankstelle gefahren, um den 20-jährigen Verkäufer zu provozieren, berichtete Fuhrmann aus der Einlassung des Tatverdächtigen.

Diesmal habe er eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen, wieder ein Sechserpack Bier genommen und sei zur Kasse gegangen. „Dort setzte er die Mund-Nasen-Bedeckung ab“, sagte Fuhrmann. Der Kassierer habe den Mann erneut auf die Einhaltung der Maskenpflicht hingewiesen: Daraufhin zog der Täter die Waffe und erschoss den 20-Jährigen. Der Verdächtige habe dem Opfer „gezielt von vorne in den Kopf“ geschossen, sagte Fuhrmann.

Der Tatverdächtige war am Sonntagmorgen auf dem Gelände der Polizei in Idar-Oberstein festgenommen worden. „Wir gehen davon aus, dass er sich stellen wollte“, sagte Triers Polizeipräsident Friedel Durben. „Das ist auf jeden Fall ein besonderer Fall: Wir haben weder im Polizeipräsidium Trier noch im Land Rheinland-Pfalz eine solche Tat gehabt, die einen Zusammenhang zu Corona vermuten lässt.“ (mit dpa)

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