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Queere Freude unterm Regenbogen.

© Matthias Balk/dpa

Heteros fragen, Homos antworten: „Ist der CSD noch zeitgemäß?“

Zum CSD Berlin ein "Heteros fragen, Homos antworten"-Spezial: Passt die Parade mit mehr als 80 Trucks überhaupt in die Zeit - und ist nicht alles erreicht?

"Heteros fragen - Homos antworten": Unter dem Motto hat das Queerspiegel-Team des Tagesspiegel in 50 Kolumnen die queere Welt erklärt.

Zum Berliner CSD legt es jetzt nach - mit Fragen von Leserinnen und Lesern, die in der letzten Zeit gestellt wurden.

Mit der Ehe für alles habt Ihr doch alles erreicht. Warum müsst Ihr immer noch auf die Straße gehen, was wollt ihr noch?

Die Weltherrschaft. Und Frei-Sekt für alle! Nein, Scherz beiseite. Natürlich stimmt der Eindruck, dass mit der Ehe für alle ein großes Ziel erreicht wurde. Der Staat erkannte damit offiziell an, dass er Homosexuelle genauso wie Heterosexuelle akzeptiert. Ein Akt von hohem symbolischen Wert. Und dass sich in den vergangenen Jahrzehnten für Lesben und Schwule insgesamt viel zum Guten verändert hat, wird niemand bestreiten.

Sich jetzt allerdings mit der queeren Kleinfamilie in den Garten zurückzuziehen und die Regenbogenfahne nur noch als nostalgische Reminiszenz beim abendlichen Grillen zu hissen – soweit sind wir dann doch noch nicht. Die queere Emanzipationsbewegung hat immer um viel mehr als um die Ehe gekämpft. Es geht darum, akzeptiert, gleichberechtigt und ohne Angst leben zu können.

Und da bleibt leider noch immer viel zu tun, gerade was den Alltag angeht. Die Zahl homo- und transfeindlicher Übergriffe steigt, die Öffentlichkeit regt das leider kaum auf. Laut Studien verheimlicht ein Drittel der Lesben und Schwulen ihre Homosexualität am Arbeitsplatz. Für Jugendliche ist das Coming-out oft immer noch so traumatisch wie vor Jahrzehnten. Ganz zu schweigen vom Hass, der sich in sozialen Netzwerken gegen Menschen entlädt, die sich für queere Rechte einsetzen.

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Auch rechtlich ist mit der Ehe für alle das Werk nicht vollendet. Nur ein Beispiel: Wenn trans Menschen ihr Geschlecht in Deutschland amtlich angleichen möchte, werden sie sich auch künftig einer Art Geschlechter-TÜV unterziehen müssen. Ohne die Bescheinigung eines Arztes oder eines Therapeuten darf der Geschlechtseintrag nämlich nicht angepasst werden. So sieht es der missglückte „Reform“-Entwurf des Transsexuellengesetzes vor. Man stelle sich mal vor, jede Bürgerin, jeder Bürger würde gezwungen, mit Attest beim Standesamt vorzusprechen und zu beweisen, wirklich ein Mann oder eine Frau zu sein.

Grotesk, schließlich weiß doch jede und jeder selbst über ihr oder sein Geschlecht Bescheid? Genau. Warum der Staat trans Menschen das Wissen über die eigene Identität abspricht, ist nicht nachvollziehbar.

Das alles schwingt auch mit, wenn heute der CSD durch die Straßen zieht. Wir feiern, was wir erreicht haben – und wir fordern ein, was alles noch getan werden muss.

Trucks auf dem CSD? Ernsthaft? Ist das angesichts der Klimakrise noch zeitgemäß?

Kaum hat sich die grüne Umweltsenatorin im Tagesspiegel für eine Innenstadt ohne Verbrennungsmotoren ausgesprochen, da rollt der Christopher Street Day mit mehr als 80 Fahrzeugen los – vom Pkw bis zum Sattelschlepper. Die wenigsten sind E-Mobile, viele haben sogar noch extra Dieselaggregate an Bord. Die Musikanlagen brauchen ja Strom. Klar, zum CSD gehören Rabatz und Tanz auf der Straße – sonst würden ja wohl auch nicht so viele Heteros zum Staunen kommen. Aber mal so ganz unter uns, liebe LSBTTIQ*: Wirkt unser Korso der PS-Monster nicht wirklich etwas anachronistisch? (Von der Frage mal abgesehen, warum der CSD von heute unbedingt wie die Loveparade von gestern aussehen muss).

Der Klima- und Umweltschutz spielt beim Berliner CSD leider keine so zentrale Rolle. Wer zum Beispiel ein Fahrzeug anmelden wollte, wurde zwar lang und breit belehrt, wie mit Logos und Musikanlagen zu verfahren ist. Aber zu Umweltauflagen wie etwa CO2- oder Stickoxid-Höchstgrenzen findet sich nichts. Immerhin gibt es eine Teilnehmergruppe, die aus den extra für die Demo bedruckten Lkw-Planen später Taschen schneidert, und Unicef sammelt Pfandflaschen. Den Müll kehrt dann schon wieder die Stadt zusammen. Der CSD ist ja schließlich eine Demonstration.

Wir Lesben und Schwule, pardon LSBTTIQ*, betrachten uns ja gern als Avantgarde – aber beim Thema Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen marschierten die Heteros vorweg: Der Karneval der Kulturen verzichtete dieses Jahr erstmals auf Motorfahrzeuge. Ja, und wenn es denn schon nicht ohne Benzin und Diesel geht – wie wäre es denn mit einem großangelegten CO2- Ausgleich? Ein Park aus lauter CSD-Bäumen machte sich doch ganz hübsch. Vielleicht würde aus der Großen Querallee im Tiergarten dann ja mal die Große Queerallee.

In Stellenausschreibungen ist jetzt immer dieses „m/w/d“ zu sehen. Was hat es damit auf sich – da steckt doch sicher auch Ihr dahinter?

Da haben Sie fast recht. Dahinter steckt zum einen das Bundesverfassungsgericht und zum anderen eine intersexuelle Person namens Vanja. Diese hatte nämlich dagegen geklagt hat, dass im deutschen Personenstandsrecht nur die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ existierten – für Vanja gab es also keine Option.

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Das Bundesverfassungsgericht entschied 2017 zu Vanjas Gunsten und forderte den Bundestag auf, das Gesetz zu ändern. Das geschah im Dezember 2018 – ganz am Ende der vom Gericht gesetzten Frist. Seither gibt es eine dritte Geschlechtsoption, die „divers“ heißt. Sie ist sehr eng definiert und umfasst nur Intersexuelle, also Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig zuzuordnen sind.

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Das „d“ in den Stellenanzeigen steht also für „divers“. Es muss laut Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannt werden, denn dieses schreibt vor, dass Stellen merkmalsneutral ausgeschrieben werden müssen. Wobei der Buchstabe in den Stellenanzeigen nur die erste und sichtbarste Veränderung ist, die sich durch die dritte Geschlechtsoption in der Berufswelt ergeben hat.

Genaugenommen müsste eigentlich auch die Arbeitsstättenverordnung angepasst werden, nach der Betriebe mit mehr als neun Mitarbeiter*innen getrennte Toiletten-, Wasch- und Umkleideräume für Männer und Frauen bereitstellen müssen. Firmen könnten Intersexuellen ausdrücklich erlauben, selbst zu entscheiden, welche Räume sie benutzten. Oder genderneutrale Toiletten einrichten – davor würden dann auch Queers, trans und non-binäre Menschen profitieren.

Leder, Gummi, oder gar nichts – darf man auch normal angezogen auf den CSD oder kommt dann die Homopolizei?

Selbstverständlich darf man das! Queers sind schließlich tolerant. Und viele von uns gehen ja auch selbst in normalen Klamotten auf die Parade. Das ist Ihnen wahrscheinlich nur bislang noch nicht aufgefallen, weil auf den Fotos und in den Fernsehbeiträgen meistens die Drag Queens, Ledertypen und extravagant gekleideten Teilnehmer*innen im Vordergrund stehen.

Auch wenn manchmal etwas mehr Ausgewogenheit bei den Bildern wünschenswert wäre: Das geht schon in Ordnung, denn der Christopher Street Day ist der einzige Tag im Jahr, an dem wir einmal nicht in der Minderheit sind und unsere Kultur mit allen ihren Facetten und Fetischen in großem Stil feiern. Das sieht eben nicht nur normal aus – die queere Vielfalt schillert so bunt wie der Regenbogen. Dass wir ihn mitten in der deutschen Hauptstadt leuchten lassen können, ist immer wieder eine befreiende und ermutigende Erfahrung.

Diese Freiheit hat unser Community über viele Jahre erkämpft und sie muss – zumal in Zeiten des wachsenden Rechtspopulismus – verteidigt werden. Um so mehr Menschen an unserer Seite stehen um so besser. Also schauen Sie doch einfach mal vorbei auf der Parade. Gern auch im weißen T-Shirt.

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