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„Neutralität ist ein rechter Kampfbegriff“: Riccardo Simonetti verleiht in Berlin Awards für queeren Aktivismus
Entertainer Riccardo Simonetti hat Preise an Menschen und Projekte verliehen, die sich für queere Themen einsetzen. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner war auch dabei, zumindest ein bisschen.
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Er hat es wieder getan. Der Entertainer und Aktivist Riccardo Simonetti beziehungsweise der von ihm gegründete Verein, die „Riccardo-Simonetti-Initiative“, verlieh zum zweiten Mal Preise an Menschen, die sich im weitesten Sinne für die LGBTIQ+-Community einsetzen.
„Ich bin dankbar, dass ihr euch entschieden habt, Teil dieses Abends zu sein – trotz vieler weiterer Veranstaltungen, die heute stattfinden“, begrüßte Simonetti seine Gäste, die sich am Dienstagabend in familiärer Runde im Restaurant Osterberger in Berlin-Mitte eingefunden hatten. Konkurrenz machte zum Beispiel der Jahresempfang der Caritas in der Kirche St. Elisabeth vis-à-vis auf der anderen Straßenseite.
Dass dort, ausgerechnet zum Auftakt des Simonetti-Abends, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) gerade von „gemeinsam am Strang ziehen“ sprach, fanden viele der queeren Gäste im Osterberger mindestens komisch. Klöckner war kürzlich erst in die Kritik geraten, weil sie dem queeren Mitarbeitenden-Netzwerk der Bundestagsverwaltung untersagt hatte, offiziell am Berliner „Christopher Street Day“ (CSD) teilzunehmen. Ihre Begründung: politische Neutralität.
Klöckners Präsenz rechts-gegenüber wurde zum Running Gag. Immer wieder bezogen sich nicht nur die vielen Preisträger auf sie. Webvideoproduzent und Journalist Fabian Grischkat etwa betonte, dass für ihn Diversität per definitionem Neutralität bedeute. Darüber hinaus sei sowieso Haltung viel wichtiger. Grischkat, der in den sozialen Medien auch über queere Rechte spricht und mit seiner Arbeit jungen Menschen Politik näherbringt, kündigte an, das Preisgeld von 2000 Euro an den CSD seiner Heimatstadt Nettetal zu spenden.
Wie das Wort „Neutralität“, das Grischka gar als „rechten Kampfbegriff“ interpretiert, in politisch schwierigen Zeiten ad absurdum geführt wird, machte ein weiterer Preisträger deutlich. Ocean Hale Meißner engagiert sich in seinem Heimatstädtchen Döbeln in Sachsen für die Sichtbarkeit queerer Themen. „Als ich bei unserem ersten CSD unseren Bürgermeister gefragt habe, ob wir eine Regenbogenflagge vor das Rathaus hängen dürfen, war die Antwort: Nein, weil dann müsste er im Sinne der Neutralität auch die Flagge der Gegenseite aufhängen.“ Wie sich herausgestellt habe, war mit „Gegenseite“ die NPD gemeint.
Überrascht ist Meißner über solche Aussagen nicht. Im ländlichen Raum, insbesondere in der Gegend rund um Döbeln, habe er noch keinen CSD erlebt, bei dem es keine Gegendemonstration von Neonazis gegeben hätte. Für seine Arbeit bekommen er und seine Mitstreiter regelmäßig Morddrohungen. Seine 2000 Euro wird er an die Gruppe „Queeres Döbeln“ spenden.
Viele prominente queere Gesichter zu Gast
Noch emotionaler, nicht nur für das Publikum, wurde es, als Bonyad Bastanfar und Neda Paiabandi ihren Preis für die Kampagne „Nie wieder leise“ überreicht bekamen. Diese ist Teil der Initiative „Woman Life Freedom Unity“ und gibt mehrfach diskriminierten, insbesondere aber queeren Menschen in und aus dem Iran eine Stimme.
Eindrücklich und den Tränen nahe berichtete Bastanfar etwa von einer Telegram-Gruppe, von der bis vor wenigen Wochen noch hunderte queere, iranische Aktivisten Teil waren. Mit den israelischen Luftangriffen und den erwarteten Reaktionen des Mullah-Regimes, insbesondere auch gegen die für Freiheit kämpfende eigene Bevölkerung, sei das Leben dieser Menschen konkret bedroht. Kurz nachdem die ersten Raketen eingeschlagen seien, seien sie alle aus der Gruppe ausgetreten, viele mit den Abschiedsworten: „Das ist unser Ende“.

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Weitere Preise gingen an die Organisationen „Anyway“ aus Köln – Europas erstes queeres Jugendzentrum, das speziell für junge Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen gegründet wurde – sowie „Scoring Girls*“, deren Projekte mittels Teamsport, Schul- und Hausaufgabenhilfe oder Berufsorientierung das Selbstbewusstsein von Mädchen und jungen Frauen, unabhängig ihrer Nationalität, sozio-ökonomischer Herkunft oder Glaubensrichtung, stärken wollen. Letzteres wurde von der ehemaligen Profi-Fußballspielerin Tugba Tekkal gegründet, die als einzige der Preisträgerinnen und Preisträger nicht persönlich anwesend sein konnte.
Dafür waren viele weitere bekannte Gesichter aus der queeren Szene eingeladen und gekommen. Darunter Dragqueen Miss Ivanka T. in zivil, Autorin Phenix Kühnert, Künstlerin Ivana Vladislava oder Comedian und Schauspieler Nico Stank. Aktivist Gianni Jovanovic stellte süffisant fest: Berlins Querbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) sei noch vor Veranstaltungsbeginn beleidigt wieder abgerauscht, weil er kein Tischkärtchen mit seinem Namen finden konnte.
Äußerst unterhaltsam führte die Drag-Künstlerin Rachel Intervention durch den Abend und die Leipziger Sängerin Deslin Ami Kaba sorgte mit beeindruckter Soul-Stimme für ein stimmiges, musikalisches Intermezzo. Bis auf wenige Begrüßungs- beziehungsweise Abschiedsworte, hielt sich Simonetti selbst weitestgehend zurück und ließ die Arbeit seiner vielen aktivistischen Kollegen sprechen.
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