
© IMAGO/Christian Spicker
Vorstand des Berliner CSD im Interview: „Jetzt gehen wir erst recht auf die Straße!“
Thomas Hoffmann gehört dem Vorstand des Berliner CSD an. Kurz vor der Demo spricht er über die Sicherheitslage, Nachhaltigkeit und den Anstieg der Queerfeindlichkeit.
Stand:
Thomas Hoffmann, die queere Community steht unter Druck wie seit langem nicht mehr. Erwarten Sie durch die politisch angespannte Lage auch einen politisierteren CSD? Zu viel Party, zu wenig Demo – das ist in der Community ja immer wieder ein Kritikpunkt.
Schon vergangenes Jahr hieß es in der Presse, der CSD sei politischer denn je. Ich denke, das würde auch dieses Jahr wieder als Schlagzeile taugen. Denn wir legen auf jeden Fall noch mal ein Stück drauf. Wir haben in den letzten Monaten gesehen, wie sich die politische Situation nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt stark verändert hat. Das ging los mit der Wahl Donald Trumps und dem Bruch der Ampel.
Wir haben jetzt eine neue Bundesregierung, die trotz der zunehmenden Hasskriminalität auf die Bremse drückt, was öffentliche Zeichen der Solidarität anbelangt. Gleichzeitig führt das zu einer starken Solidarität innerhalb der queeren Community. Viele sagen: Jetzt gehen wir erst recht auf die Straße!
Die rechtsextreme Gruppe „Deutsche Patrioten Voran“ hat eine Gegendemo „Gemeinsam gegen den CSD-Terror und der Identitätsstörung (sic!)“ angemeldet. Zeit und Strecke waren zunächst identisch mit dem CSD. Wie gehen Sie damit um und wie schätzen Sie die Sicherheitslage sonst ein?
Wir haben uns hierzu bereits mit der Polizei ausgetauscht. Der Versammlungsort wurde auf das Schöneberger Ufer verlegt. Die Polizei wird sicherstellen, dass die Gruppe sowohl bei der Anreise als auch bei der Demonstration vom CSD getrennt bleibt. Wir haben großes Vertrauen in die Berliner Polizei, dass die Gegendemonstration keine negativen Auswirkungen auf die Sicherheit des CSD hat.
Der CSD ist schon aufgrund seiner Größe und dem entsprechenden Polizeiaufgebot sicher. Ich bin davon überzeugt, dass er sehr sicher durchgeführt werden kann. Daran ändern auch kleinere Gegendemonstrationen nichts. Das haben die Polizei und wir gut im Blick und reagieren entsprechend darauf.
Der Berliner CSD verleiht jährlich auch den Soul of Stonewall Award an Menschen oder Organisationen, die besondere Verdienste für die queere Community geleistet haben. In den vergangenen Jahren wurde er in mehreren Kategorien verliehen. Dieses Jahr wird mit der Kampagne „Nie wieder leise“ des Bündnisses „Women Life Freedom Unity“ nur ein Projekt ausgezeichnet. Warum?
Bisher mussten sich viele Preisträger*innen die Aufmerksamkeit für diesen Preis teilen. Wir wollten diesem Preis wieder mehr Gewicht beimessen und den Preisträger*innen mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen. Das ist also keine Sparmaßnahme. Und ich glaube, dass mit „Nie wieder leise“ auch eine Initiative ausgewählt wurde, die diese Aufmerksamkeit ungeteilt verdient.
Wie kam es zu der Entscheidung für die Kampagne?
„Nie wieder leise“ konzentriert sich auf marginalisierte Stimmen. Das ist in der aktuellen Situation sehr wichtig. Wir sehen beispielsweise in den USA oder Großbritannien, wie Rechte von trans Personen beschnitten werden. Wir dürfen auch bei der kleinsten Gruppe nicht zulassen, dass da der Anfang gemacht wird, denn als Nächstes sind andere Gruppen dran. Deswegen: Wehret den Anfängen und unterstützt auch die kleinsten marginalisierten Gruppen mit voller Unterstützung und Solidarität!
Den CSD wird es immer geben.
Thomas Hoffmann, Vorstand im Berliner CSD e.V.
Der CSD verschreibt sich als Demo, bei der Hunderttausende mitlaufen und dutzende LKWs in Schritttempo durch Berlin fahren, auch der Nachhaltigkeit. Welche Maßnahmen ergreift der Verein?
Es funktioniert natürlich nicht, dass eine Demo der Größenordnung ganz ohne negative Umweltauswirkungen durchgeführt werden kann, aber wir versuchen, das so gering wie möglich zu halten. Wir haben dazu schon vergangenes Jahr eine Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation wirBERLIN gestartet. Wir haben auch zum zweiten Mal den Green Rainbow Award ausgeschrieben, mit dem wir den nachhaltigsten Wagen auszeichnen wollen. Dazu haben wir schon einige Bewerbungen bekommen.
Es wird wieder einen Umweltbereich geben und drei Pfandsammelstationen – organisiert von der BSR. Außerdem werden Taschenaschenbecher verteilt, es gibt eine Sensibilisierungskampagne und auf der Abschlusskundgebung werden Umweltbotschafter*innen zu umweltgerechtem Verhalten auffordern.
Wird es auch wieder ein After-CSD-Clean-Up mit der Community geben?
Ja. Wir treffen uns am Sonntag nach dem CSD von 14 bis 17 Uhr am großen Stern und räumen dann gemeinsam den Tiergarten auf. Wer möchte, kann sich dazu gerne anmelden, aber es ist auch möglich spontan teilzunehmen.
Wenn man auf die Entwicklung der vergangenen Monate blickt, dürften Queerfeindlichkeit und Gewalt auch in Zukunft weiter zunehmen. Wie bereitet sich der Verein des CSD Berlin darauf vor?
Wir legen den Finger in die Wunde. Von der Berliner Landesregierung wird durchaus auch etwas unternommen. Die Vorstellung des Entwurfs einer Landesstrategie gegen Hasskriminalität zum Beispiel ist definitiv ein wichtiger Schritt. Jetzt müssen wir aber darauf achten, dass das Ganze auch wirklich auf die Straße gebracht wird und nicht als Papiertiger verkommt. Was wir brauchen, sind konkrete Maßnahmen und eine nachhaltige Finanzierung. Die Statistiken der vergangenen Jahre dürfen auf keinen Fall so weiter gehen.
Kürzlich sprach Ihr Kollege Marcel Voges davon, dass man sich auch Gedanken darüber mache, wie man damit umgeht, sollten die rechten Kräfte weiter erstarken und auch in Deutschland ein CSD-Verbot ins Haus stehen.
Das ist natürlich ein Bedrohungsszenario, das jetzt erstmal sehr dunkel klingt. Aber wir sehen in anderen Ländern, dass das durchaus passieren kann. Wir lassen uns auf keinen Fall unterkriegen. Den CSD wird es immer geben. Dafür werden wir Mittel und Wege finden. Derzeit erfahren wir durchaus noch viel Unterstützung, auch aus der Berliner Landesregierung. Dafür sind wir sehr dankbar. Aber man muss sich auf alle möglichen Szenarien vorbereiten – und das tun wir natürlich intern.
Wird der CSD Berlin sein zivilgesellschaftliches Engagement auch abseits des jährlichen Termins verstärken?
Wir haben das die vergangenen zwei Jahre, denke ich, schon gut gemacht, auch währen des ganzen Jahres politisch sichtbarer zu sein. Dieses Jahr ohnehin durch den Winter-CSD im Februar. Wir sind eigentlich über das ganze Jahr hinweg seit dem Bruch der Ampelkoalition immer wieder politisch sichtbar geworden. Diesen Weg möchten wir weiter vorangehen, sodass der CSD nicht nur als einmal im Jahr stattfindende Demonstration gesehen wird, sondern als eine politische Institution und Organisation, dich sich in das Alltagsgeschäft einmischt und jeden Tag ihre Forderungen tatkräftig vertritt.
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