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Darf’s auch etwas mehr sein? Die Widerstandskraft der Schokofreunde bricht schnell.

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Tübingen: Schokomaultaschen, was auch sonst?

Im schwäbischen Tübingen findet alljährlich die „chocolART“ statt, mit ausgefallenen süßen Kreationen aus 15 Ländern.

Stand:

„Keine Kalorien, bitte!“ Wer so reagiert, ist fehl am Platz auf dem Schokoladenfestival chocolART in der mittelalterlichen Universitätsstadt Tübingen. Zum sechsten Mal dreht sich Ende November sechs Tage lang alles ums „Hüftgold“ – in flüssiger, cremiger und fester Form. Vom Rathaus über den Holzmarkt mit der Stiftskirche bis zur Neckargasse zieren mehr als 100 weiße Pagoden-Stände die historische Altstadt. Am schönsten ist es, für Naschkatzen nach Einbruch der Dunkelheit über die Schokoladenpfade zu streifen.

Dann wird der Markt illuminiert und Lichtprojektionen an den alten Fachwerkhäusern sorgen für eine farbenprächtige Kulisse. Das schwäbische Tübingen ist eine junge, alte Kleinstadt mit 80 000 Einwohnern, davon 25 000 Studenten. Persönlichkeiten wie Johannes Kepler, Friedrich Hölderlin, Wilhelm Hauff oder Eduard Mörike haben hier bereits über Büchern geschwitzt und hätten auf dem Schokoladenmarkt ganz sicher die richtige Nervennahrung gefunden.

Chocolatiers und Konditoren aus fast 15 Nationen wie Deutschland, Dänemark, Österreich, Italien, Frankreich, Holland und natürlich der Schweiz und Belgien zeigen ihre gelungensten Kreationen. Doch auch Exoten wie Lettland, Griechenland oder Ghana sind vertreten. Bekannte Schokoladenmarken präsentieren sich mit Tafeln und raffiniertem Konfekt aus Zartbitter-, Vollmilch- oder weißer Schokolade genauso wie kleine Manufakturen mit ungewöhnlichen Pralinenvariationen wie Nougatkastanien, Feigen-, Kiwi- oder Pistazientrüffel, afrikanischer Bushman-Schokolade, Pralinékuchen, Schokolade mit Olivenöl, Thymian oder Kürbiskernen, Schokonudeln oder -maultaschen, Schokosenf und Nougatbier.

Dicke braune Schokobären und Nikoläuse mit weißen Bärten halten am Stand von Barbara und Volker Müller nach Käufern Ausschau. „Wir haben eine kleine Bäckerei und Konditorei im fränkischen Hergolshausen“, erzählt Barbara Müller. „Mein Mann ist der Konditormeister. Ich bin fürs Marketing zuständig.“ Die neueste Kreation ist ein Schokobrotaufstrich namens Schoko-Painting. Die Gläser sind mit einem Pinsel verziert. „Geschmackvoll“ – auch fürs Auge.

„Schokolade ist Genuss für alle fünf Sinne“, erklärt Gerhard Madlon aus München ein paar Zelte weiter. Für seine Anti-Stress-Praline kreierte er eine ovale Form. „Denn gestresste Menschen greifen zuerst nach dieser“, meint der Konditormeister. Ein Hörerlebnis habe man durch das Knacken beim Anbeißen der Praline. Man rieche und schmecke die zartbittere Schokolade und die Aromen von Pfefferminze, Blutorange, Zitronenmelisse und Rosenwasser, die eine entspannende, aber auch stimulierende Wirkung haben.

Von "Tübinger Kirchles" und "Schokosophen" lesen Sie auf Seite zwei.

Schokoladenpfad. Vom Tübinger Rathaus über den Holzmarkt mit der Stiftskirche bis zur Neckargasse zieren weiße Pagodenzelte die Altstadt.

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Am Stand gegenüber findet das „Tübinger Kirschle“ reißenden Absatz. Es basiert auf Schwarzwälder Kirschtorte. „Die hat in Tübingen ihren Geburtsort“, erzählt Madlon. „Sie wurde 1930 im Café Walz von Konditormeister Erwin Hildenbrand zum ersten Mal gefertigt.“ Nun, wie so oft: Archivare und Historiker sind da zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Jedenfalls kreierte Confiseur Madlon eine Praline aus edler Bitterschokolade, Sahne und einer mit Schwarzwälder Kirschwasser beschwipsten Kirsche.

Doch auf der chocolArt kann der „Schokoholic“ nicht nur Kalorienbomben kaufen, sondern auch beim Pralinenmachen und Verzieren zusehen oder in der Schoko-Werkstatt seine eigene Schokoladensorte zaubern. Aber bevor hier selbstgemachtes Konfekt entsteht, erfährt der Besucher erst einmal, woraus Schokolade besteht und dass sie auf Bäumen wächst. Zumindest die Kakaobohne. Nördlich und südlich des Äquators liegen die Hauptanbauländer wie Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria, Indonesien, Venezuela, Ecuador, Papua-Neuguinea, Mexiko oder die Dominikanische Republik. Im „chocolate Room“, der gläsernen Konditorei, produzieren und garnieren Eckbert Groß und seine Konditor-Kollegen den Tübinger Schoko-Taler, eine essbare Gedenkmünze, die den Tübinger Stocherkahnfahrer auf dem Neckar zeigt.

Auch Schokoladen-Kultur wird geboten: „süßes“ Theater, ein Schokoladen-Konzert, schokoladige Lesungen, Kakaomalerei und Kochkurse. Wer vollständig in die Tiefen der Kakaomasse hinabsteigen möchte, der geht in den Öhrn, den alten Empfangssaal des Rathauses mit Gerichtsbarkeitsbildern aus dem 16. Jahrhundert. Dort gibt der Schweizer Schoko-Experte Alois Immoos während seines Seminars „Whisky und Schokolade“ alles Wissenswerte preis – vom Rohkakao bis zur fertigen Schokolade. „Entscheidend ist die Kakaosorte, sie ist der Geschmacksträger“, erläutert „Schokosoph“ Immoos: „Jemand, der weiß, was er schmeckt, kann das Echte von der Kopie unterscheiden und bewusst genießen.“

Wer immer noch nicht genügend Schokoladenduft eingeatmet und Kalorien vertilgt hat, der gönnt sich zum Abschluss des Tages eine Schokoladenmassage oder lässt den Abend mit einem Schokoladenmenü in einem der umliegenden Restaurants ausklingen. Wie wäre es mit Maronenschaumsuppe mit Ingwerschokoraspeln oder geräucherter Entenbrust an Nuss-Schokodressing, Riesengarnelen in Kakaobutter oder Zanderfilet mit weißer Schokoladensoße? Zum Dessert dann nur noch einen klitzekleinen Nougatknödel.

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