Er befasste sich mit den Katastrophen dieser Welt selbst dann noch, als alle meinten, er hätte mit sich selbst genug zu tun.
Nachrufe

Ingeborg klagte nie, sprach nie über den vermissten Mann, den Sohn in der Grube. In dieser Zeit hatte doch jeder irgendwen verloren.

Alles, was man will, kostet unendlich viel Zeit, Energie und Hartnäckigkeit. Sie kannte es nicht anders.

Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als in die Schule zu kommen. Nichts anderes wollte sie werden als Lehrerin.

Was für ein Talent! Vera Freytag wusste davon, doch sie traute dem Publikum nicht. Und alt werden? Nichts für Peter Pan!
Ihren Werken muss man sich immer weiter nähern

Viele Bauern gibt es nicht in Berlin. Er war einer von ihnen. Ohne viel zu grübeln, packte er die Dinge an - bis es nicht mehr weiter ging.

Er hatte sich eingerichtet zwischen seinen Büchern. Eines Tages kam ein Brief, die Nachricht: Du musst raus aus deiner Wohnung

Er war in der Welt unterwegs, verdiente, trank und rauchte viel. Als sein kleines Reich, voll mit Erinnerungen, geflutet wurde, begann etwas ganz Neues

Er hantierte mit Millionen für das öffentliche Wohl. Und ließ sich weder von Politikern noch von der Verwaltung noch von Kreuzberger Hausbesetzern bedrängen.

Er hat sich gewöhnt an die Berühmten und die Reichen. Nur manchmal noch bekommt er Herzklopfen. Der Nachruf auf einen Aufmerksamen

Ein Lehrerhaushalt, ihr Mann Physik, sie Hauswirtschaft, Biologie. Die Furcht der Kinder: dumm sein, unscharf in der Argumentation. Wichtig sind die Ferien.

Thomas Günther, geboren 1952, saß im Stasiknast, war Gärtner in Sanssouci, Theaterassistent, Schriftsteller, Galerist. Bis er nicht mehr hinterherkam.

Immigration nach London, späte Heimkehr nach Berlin. Ein Pendler zwischen den Ländern und den Professionen

Ein Schreibtischheld, der einsam Großes vollbrachte. Und der, sobald er es sich leisten konnte, in die Ferne reiste.

Eine Jugend im Krieg, 26 Jahre Arbeit, 26 Jahre Ruhestand. Nachruf auf einen, der sich für die einsetzte, die weniger hatten

Der Nachruf auf Irina Rosanowski, geb. 1981, die Bewunderer hatte, auch Fürsprecher, aber keinen Galeristen. Und die Heilung suchte, überall.

Keiner verriet sie. Ein Polizist warnte Tante Erna, wenn Kontrollen anstanden. Der Nachruf auf Dina Malchow, geb. 1928.

Überhaupt konnte sie das gut, auf andere zugehen, sich bekannt machen. Mit ihrer immerwährenden Fröhlichkeit.

Die erste Wohnung: Besetzer-Hauptquartier. Der Balkon vorm Sterbezimmer: Hauptquartier des nebelnden Abschieds. Der Nachruf auf Christoph Ludszuweit, geb. 1954.

Er war kein Skizzenblock-Typ, der lange grübelte. Ran ans Bild, die Uhr gestellt, und nach ein paar Stunden sollte es auch fertig sein.

Hin- und hergerissen war er häufig zwischen dem Hellen, Warmen und dem Schattigen, Kühlen
Allen Schicksalsschlägen zum Trotz stimmt sie ausschließlich Lieder in Dur an

Seine Träume handelten von der Anatomie des Menschen, des männlichen Körpers. Ihn wenigstens betrachten können. Ein Nachruf auf Jürgen Wittdorf, geboren 1932.

Typisch Inge: Ging den Kindern das Rad kaputt, flickte sie den Reifen. Fehlte Brennholz, hackte sie welches. Ein Nachruf auf Ingeborg Austilat, geboren 1925.

Schwer genug, seine eigenen Erwartungen zu erfüllen, da kann man sich nicht noch um die Erwartungen anderer kümmern.

Anarchist, Raubdruckverkäufer, Buchhändler, Kneipier und Galerist. Devise: „Es gibt nichts zu verlieren. Wir werden alle krepieren!“

Kein Selfie kann ersetzen, was das Auge des guten Fotografen sieht: Dass du dir selbst fremd bist von Zeit zu Zeit. Der Nachruf auf einen Porträtisten.

Ein Huhn, das flatternd in Flammen aufgeht. Ein blecherner Hund mit Raketenantrieb. Was man so auf der Theaterbühne braucht - er kümmerte sich drum.

Sie war Deutsche in Kasachstan und Russin in Berlin. Selten hat sie mal dazugehört. Wie die große Politik ein Leben hin und herwirft.

Was er hinterließ: etwas Kleingeld, einen Kleinwagen. Und den morschen aber legendären "Goldenen Hahn" am Heinrichplatz, Kreuzberg

So fremd sie und ihr Mann sich als Menschen waren, so unbeirrt hielten sie als Ehepaar zusammen. Nach 40 Jahren fand sie die Kraft zur Trennung
Sich abends selbst auf die Schulter klopfen. Mehr Dankbarkeit brauchte er nicht. Er hatte ja seine Verdi-Opern – und den Fußball.

Er versteckte sich vor den Nazis und ging nur noch in Frauenkleidern oder HJ-Uniform auf die Straße. Und er schrieb und verteilte Flugblätter.

Seinen Bruder haben sie erschossen. Er schaffte es über die Grenze, viel später. Bei seinem Kampf gegen das Vergessen vergaß er zuweilen die eigene Familie.

"25books", so hieß sein Fotobuchladen, "Peperoni books" sein Fotobuchverlag. Das war's, wofür er lebte, auch wenn es anstrengend war und wenig lukrativ.
Sie war die Chefin, es ging ihnen gut. Doch jede Saison war unsicher in ihrer Branche. Es konnte immer anders kommen.

Früher die Grenzgänge zwischen Ost und West, dann das Pech des Mauerfalls, schließlich das Glück des Tango. Und immer: die Suche nach der Frau.

Er hatte Berufsverbot. Arbeitslos durfte er jedoch nicht sein. Also begann er Gärten zu gestalten.

Mit 85 trat er aus der Kirche aus. Recht spät für einen, der immer auf sich selbst gestellt war. Der Nachruf auf einen Mann der Tat