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Leere Bühnen, leere Konten.

© Peter Gesierich

„Der nächste Monat wird das Grauen“: Wie das Virus Unternehmer in die Knie zwingt

Alles abgesagt. Die Kreativbranche trifft die Corona-Krise wirtschaftlich am härtesten. Kompletter Verdienstausfall, kaum Rücklagen.

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Fehmi Baumbach zum Beispiel. Eine Berliner Künstlerin, sie macht Collagen, malt, die Bilder kann man sich an die Wand hängen. Auf ihrer Facebookseite steht in Kleinbuchstaben: „Wer noch Geld verdient, sollte alle künstlerisch tätigen Leute unterstützen! Wir brauchen jetzt eure Unterstützung!“

Der nächste Monat werde „das Grauen“, alle „Ausstellungen wurden abgesagt“. Noch funktioniere „die Post, und wenn ihr Klopapier bei Amazon bestellt, dann kauft online auch Musik, Kunst, gebasteltes Zeugs und sowas.“

Sie selbst, schreibt sie, verkaufe normalerweise in kleinen Läden „Prints“, meist an Touristen. „Davon zahle ich meine Miete, mein Telefon. Ernähre mein Kind.“ Kauft Kunst, unterstützt künstlerisch tätige Leute. Warum ist etwas ähnliches von Krankenschwestern nicht zu hören? Ist das Einfordern der Solidarität der anderen, der laut geäußerte Wunsch danach, schon unsolidarisch?

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Die Antworten auf diese Fragen spielen keine Rolle mehr. Hinter jedem dieser Aufrufe, egal von wo sie kommen, steht eine Existenz. Nicht selten, in der Kunst- und Kulturbranche sogar oft, eine der 2,3 Millionen in Deutschland am unmittelbarsten von den Coronavirus-Sperrverordnungen betroffenen Existenzen, die Soloselbstständigen.

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Sie haben niemanden, den sie kündigen könnten

Am unmittelbarsten, weil sie kaum Ersparnisse haben, ihr durchschnittliches Monatseinkommen beträgt 1567 Euro. Und zwischen Betriebsruhe und Pleite fehlt noch ein anderer Puffer: Sie haben zu ihrer finanziellen Entlastung niemanden, den sie kündigen können.

Soloselbstständige in Kunst und Kultur – weil sie auf Publikum angewiesen sind, Publikum, das in Galerien, Theatern, Clubs, Konzerthallen ständig wechselt – gehörten zu den ersten, die solche Sperrverordnungen zur Kenntnis nehmen mussten. Seit Samstagabend steht ihr Berufsleben still, zumindest ein beträchtlicher Teil davon. Jener, mit dem das Geld verdient wird.

Für Aufführungen wird in der Stadt zwar noch geworben - die Botschaft ist längst eine andere.
Für Aufführungen wird in der Stadt zwar noch geworben - die Botschaft ist längst eine andere.

© Jens Kalaene/dpa

Das war 48 Stunden nachdem der Berliner Virologe Christian Drosten in Maybrit Illners Talkshow den Satz gesagt hat: „Man muss nicht immer Spaß haben.“

Am Mittwoch wird bekannt, dass Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller senatsintern angeregt habe, ein „unbürokratisch und schnell umsetzbares“ Zuschussprogramm für alle Soloselbstständigen aufzulegen. 15000 Euro solle jeder bekommen, mit bis zu 20000 Antragstellern werde gerechnet. Insgesamt ergäbe das 300 Millionen Euro.

[Wie Berlin Unternehmen unterstützen will, lesen Sie hier.]

Beatrice Kramm, Berliner IHK-Präsidentin fordert von der Politik, Firmen „unkonventionell“ zu unterstützen, „gerade kleine und mittelständische Unternehmen sind bereits in einer teils existenzbedrohenden wirtschaftlichen Schieflage“.

Alex ist Ein-Mann-Unternehmer in der Berliner Subkultur. „Staygold music“ heißt sein Betrieb, der vor allem eins ist: ein Geflecht von Beziehungen zu Künstlern, zu Betreibern von Bühnen und Veranstaltungsorten, verbunden durch Alex und eine Internetseite.

Berlins Ruf bei den Feierwütigen

Alle paar Wochen verdichtet sich dieses Netz zu einem Event, einem Partywochenende mit Elektromusik und Tanz und Performance an einem dieser Orte, die für den Ruf Berlins bei Feierwütigen weltweit bürgen. Alex heißt eigentlich Alexej, kommt aus Russland, will seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen und gehört zu den Leuten, die die Berliner Szene in den vergangenen Jahren vor der Komplett-Kommerzialisierung bewahrt haben.

Mehr Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Alex ist einer von denen, für die die Coronapandemie auch zur geschäftlichen Existenzkrise werden könnte. Das Coronavirus ist auch ein Angriff auf ein Lebensmodell, es trifft Leute, denen es nicht um das große Geld geht, sondern um ihre Ideen und deren Verwirklichung.

Es trifft die Musiker, die nun kein Geld mehr in den Clubs und auf den kleinen Bühnen verdienen können. Es trifft Comedians und jene, die die Unmengen von Veranstaltungen organisieren. Diese Monate jetzt, so beschreibt es Alex am Telefon – das sind für Musiker, Promoter, Veranstalter wichtige Monate. Februar, März, April – für die Zeit versuche man, ein finanzielles Polster zu haben und das nächste aufzubauen.

Sechs Wochen Vorbereitung sind nötig

Im Frühsommer kommen die Festivals; die werden Monate oder auch ein Jahr zuvor geplant. Die Veranstaltungen, die Alex organisiert – als Teil eines Kollektivs, wie er sagt – bräuchten bis zu sechs Wochen Vorbereitung. Es sind Abende in gemieteten Clubs. Ende Februar habe man so einen Abend im „Polygon“ nicht weit vom Ostkreuz gefeiert, 600 Leute seien gekommen, mehrmals habe man den Einlass unterbrechen müssen. „Super gelaufen“ sei dieser Abend.

Mindestens eine Veranstaltung dieser Art habe er schon abgesagt. Drei könnten es werden, in Berlin und in der Schweiz, sechs Künstler seien betroffen. Mit den Absagen reiße „der ganze Strang“, an dem vom Planer und Organisator über den Promoter und die Agentin bis zum Musiker viele Leute hängen, sagt Alex. Verunsichert sind sie alle. Alle fragten sich: Wo hole ich jetzt Geld ran? Das abgesagte Event sei für ihn ein Verlust von vier- bis fünftausend Euro.

Er ist einigermaßen geladen

Steffen Hack, nominell Chef der Oberbaum Gaststätten GmbH, die den weltbekannten Club „Watergate“ an der Spree betreibt, ist ein streitbarer Mann – und im „Watergate“ hat man zu. Nach einer langen Besprechung bekommt man Steffen Hack ans Telefon, und er ist einigermaßen geladen.

[Wie es sich anfühlt, zur Risikogruppe zu gehören: "Bin ich denen so egal?"]

„Die Zwangsschließung ist schlicht eine Katastrophe für uns als Club, aber auch für unsere Angestellten und Mitarbeiter“, sagt er. „Wir haben zurzeit 71 Mitarbeiter und werden diese jetzt auf Kurzarbeit umstellen müssen.“ 71 Angestellte. Und doch können Betriebe von der Größe des „Watergate“ ebenfalls nur wenig Zeit mit Stillstand verbringen, bevor sie schließen müssten.

130.000 Euro Kosten - keine Einnahmen

Es beginne bei den Mieten, sagt Hack. „In Zeiten ungezügelter Mietpreissteigerungen für Gewerberäume haben wir mittlerweile mit einer enormen Belastung zu leben, die es uns schon ohne Viruskrise schwer macht zu überleben. Eigentlich kann es sich kaum einer leisten auch nur ein Wochenende zu schließen.“ Das „Watergate“ hat feste Kosten. Monatlich 43000 Euro für Miete, die Gema-Gebühren, Versicherungen, Strom. Dazu kämen die Löhne, ungefähr 55000 Euro. Plus Steuern und ein paar „Verbindlichkeiten“, wie Hack sagt. Alles in allem komme er auf 130000 Euro für den nächsten Monat – „und dem stehen null Euro Einkünfte gegenüber.“

Ohne massives – und er meint damit offenbar langfristiges – Entgegenkommen der Politik durch Steuererlasse oder die Übernahme von Mieten sei man in zwei Monaten weg vom Markt.

"Mein Publikum gehört zur Risikogruppe"

Berlin ist längst keine Stadt allein der großen Unternehmen mehr, es ist eine Stadt der Einzelkämpfer. Das zeigt die Musikszene, das zeigen auch andere Mini-Firmen. Michaela Seidler betreibt mit ihrem Mann Michael Schimmer die beiden „Owens“-Fitness-Studios in Charlottenburg. Beziehungsweise: betrieb.

Denn Michaela Seidler hat die Verordnung des Senats gelesen und außerdem eine Mitteilung des Verbands der Personal Trainer. „Ihr müsst zumachen“, habe es darin geheißen. Auch ein Ausweichen auf das Training im Freien sei nicht erlaubt. Seidler sieht ihre Kundschaft ganz realistisch als „älteres Publikum, das Publikum gehört zur Risikogruppe“.

Umschalten auf Skype-Beratung

Im „Owens“ trainierten Menschen aus dem Umfeld der Neuen Kantstraße, Freischaffende, Künstler, Leute, die es sich leisten konnten, ihre Trainer persönlich zu buchen. Personal Training funktioniert auf diese Weise: sehen, was die Leute können, persönlich motivieren. Immerhin, sagt Michaela Seidler, man könne jetzt Online-Kurse anbieten, um die Kundenbindung zu kräftigen. Aber „Geld werden wir damit nicht wirklich verdienen“, sagt sie. Nun müsse man sich eben „dem Markt anpassen“ und sehen, was geht, „man kann auch per Skype beraten.“

Im „Owens“ sind zehn Trainerinnen und Trainer beschäftigt. Sie werden nun alle ohne ihre gewohnten Jobs sein. Am härtesten, sagt Michaela Seidler, treffe es die Yoga-Trainerinnen. Die meisten gäben normalerweise Kurse in verschiedenen Studios. Mit Gruppen.

Die Petition war schnell zusammengeschrieben

Noch ein Aufruf, der sich im Internet findet, diesmal in einer Onlinepetition, eingereicht am Mittwoch, dem 11. März: „Olaf Scholz, wir brauchen sofortige Finanzhilfen für Freiberufler und Menschen aus der Kreativszene“, dann folgt eine Aufzählung:

„Überbrückungsgeldern zum Beispiel in Form eines temporären (bedingungslosen) Grundeinkommens“. „Hilfsfonds zum schnellen Ausgleich real entfallender Einnahmen, bspw. angebunden an die Künstlersozialkasse“. „Kurzarbeitergeld plus, bei dem die Nettoeinnahmen aus dem letzten vorliegenden Steuerbescheid einer monatlichen Unterstützungszahlung durch die Finanzämter zugrunde gelegt werden“.

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Der Leipziger Counter-Tenor David Erler, 39, hat die Petition eingereicht, auch er bekommt Konzertabsagen. Sie sind für ihn besonders dramatisch, er ist auf Barock-Musik spezialisiert und erwirtschaftet, wie er sagt, in der Zeit vor Ostern ein Drittel seines Jahreseinkommens. Am härtesten, erzählt er, habe ihn die Absage der Bach-Akademie in Stuttgart getroffen, wo er am Samstag zu Bachs Geburtstag die „h-Moll-Messe“ hätte singen sollen.

„Das hätte mich künstlerisch schon sehr gereizt“, sagt Erler. Und dass Auftritte im wohlhabenden Südwesten des Landes besonders lukrativ sind: mehr als 1000 Euro hätte er verdient.

Für zwei Monate hat er Rücklagen

In den sächsischen Kirchengemeinden, wo er oft singt, bekomme er oft nur einige hundert Euro. „Da fehlt manchmal das Bewusstsein, dass ich davon lebe. Die Haltung ist da eher so: Ist doch zu Ehren Gottes!“, sagt er. „Im Affekt“, sagt er, habe er am vergangenen Mittwoch die Petition getextet.

230000 Unterstützer sind in einer Woche zusammengekommen. Erler fällt laut Künstlersozialkasse in die Berufsgruppe der Gesangskünstler. Dort werden durchschnittlich 11200 Euro im Jahr verdient. Er sagt, dass er „drüber liege“. Davon müssen seine Frau und seine beiden Kinder leben, was nur geht, weil die Familie sorgfältig Buch über ihre Ausgaben führt: monatlich zwischen 2500 und 3000 Euro. Die kommen normalerweise durch Erlers Auftritte zusammen.

„Man muss hoffen, im richtigen Bundesland zu leben“

Für zwei Monate, sagt er, habe er Rücklagen. Seine Konzerte sind bis in den Mai gestrichen, „Kollegen haben bereits Absagen für Konzerte im September“, sagt er. Am Dienstag hat David Erler dem Bundesfinanzministerium eine Mail geschrieben und um einen Termin für eine offizielle Übergabe der Petition gebeten.

Sicherheitshalber hat er sogar noch mal angerufen. Ein Beamter habe ihm versichert, dass seine Mail an die zuständige Stelle weitergeleitet würde. Seine Sorge ist allerdings, sagt er, dass jedes Bundesland sein „eigenes Ding“ mache.

In Sachsen, wo Erler wohnt, habe der Finanzminister am Tag zuvor ein zinsloses Darlehen in Aussicht gestellt. Erler sagt: „Man muss hoffen, im richtigen Bundesland zu leben.“

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