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Armut macht depressiv: „Personen mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen erkranken häufiger“
Seit der Pandemie nimmt in Deutschland die Zahl der Depressionen zu. Besonders Menschen, die eh schon schlechtere Karten haben, sind betroffen. Woran das liegt und was die Gesellschaft tun muss.
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Lieber reich und gesund als arm und krank, ist sicher keine besonders überraschende Wahl, aber genau deshalb wird sie so oft satirisch verwendet. Denn tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen niedrigem Einkommen und geringerer Bildung auf der einen Seite und Depressionen und früherer Sterblichkeit auf der anderen nun wissenschaftlich belegt.
Mittels Daten der repräsentativen Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des Robert-Koch Instituts (RKI) wurde der Einfluss des sogenannten sozioökonomischen Status, der unter anderen die Einkommenssituation und den Bildungsgrad umfasst, auf die zunehmende Zahl von Depressionen in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse wurden am Freitag im Fachjournal „Deutsches Ärzteblatt International“ veröffentlicht. Insgesamt zeigt sich: je niedriger der Bildungsstand und das Einkommen, desto höher die Belastung durch depressive Symptome.
Gesundheitliche Ungleichheit
Die gesundheitliche Ungleichheit hat sich der Studie zufolge in den letzten Jahren hierzulande verstärkt: Zwar nimmt über alle Gruppen die Zahl der Menschen mit Zeichen einer Depression zu, in der ärmeren Gruppe jedoch schneller. Und das hängt nach Expertenansicht auch mit den Belastungen der Corona-Pandemie zusammen.
Die vorliegende Studie analysierte GEDA-Daten aus den Jahren 2019 bis 2024 und wurde vom RKI gemeinsam mit der Charité in Berlin durchgeführt. Über den gesamten Erfassungszeitraum hinweg wiesen Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status eine höhere Belastung durch depressive Symptome auf. Während diese Belastung in den ersten beiden Pandemiejahren (2020 und 2021) in allen Gruppen gleichermaßen zunahm, war der Anstieg ab 2022 in den niedrigeren Statusgruppen besonders ausgeprägt.
Im schlechtesten Fall werden Menschen weiter abgehängt, die Suizidalität steigt, der gesellschaftliche Zusammenhalt wird noch geringer.
Hajo Zeeb, Präventionsforscher
Dass niedriges Einkommen sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt, wird häufig auf chronischen psychosozialen Stress zurückgeführt, der sich während dieser Zeit verschärft hat. Das Studienteam verweist darauf, dass zu Beginn der Pandemie zwar alle Gruppen in ähnlichem Maße belastet waren. Doch ab 2022 kamen zusätzliche Stressfaktoren hinzu: etwa die Preissteigerungen für Haushaltsenergie und Nahrungsmittel infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Diese belaste vor allem einkommensschwächere Haushalte. Aufgrund des Studiendesigns seien aber keine eindeutigen kausalen Zusammenhänge nachweisbar.
„Im Langzeitbild sind die Belastungen höher als in allen früheren Messungen – außer bei den Personen mit hoher Bildung und Einkommen“, sagt Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen dem Science Media Center (SMC). Das seien beunruhigende Entwicklungen, „die sich auf das Gesundheitssystem, aber auch viele andere Bereiche auswirken“, so der Experte. „Im schlechtesten Fall werden Menschen weiter abgehängt, die Suizidalität steigt, der gesellschaftliche Zusammenhalt wird noch geringer.“
Schulden, Existenzängste, sowie Geldmangel sind Risikofaktoren für Depressionen oder Angststörungen.
Nico Dragano, Medizinsoziologe
Dass Menschen mit geringer Bildung oder niedrigen Einkommen überproportional häufig von solchen psychischen Problemen betroffen sind, sei keine ganz neue Erkenntnis, kommentiert Nico Dragano, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Düsseldorf gegenüber dem SMC die Studie. Dass die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen aktuell aber weiter ansteigen, sei eine neue und wichtige Information. „Schulden, Existenzängste, sowie Geldmangel sind Risikofaktoren für Depressionen oder Angststörungen. Während der Pandemie und später während der Zeit starker Inflation sind diese Belastungen häufiger geworden, was den Trend mit erklären könnte.“
Was das auf Dauer bedeutet, beschreibt Olaf von dem Knesebeck, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) so: „Personen mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen erkranken häufiger und versterben früher.“
Das hat höchst besorgniserregende Auswirkungen auf die einzelnen Personen, denn sie leiden.
Verina Wild, Ethikerin
Verantwortlich dafür ist ein ganzes Paket von belastenden Faktoren, die den Alltag derjenigen bestimmen, die über weniger Einkommen verfügen. „Zum Beispiel liegen günstigere Wohnungen häufig an stärker befahrenen Straßen, was schädliche Lärm- und Feinstaubbelastung bedeutet“, sagt Verina Wild, Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Gesundheit in der Gesellschaft der Universität Augsburg, dem SMC. „Sie liegen oft weiter weg von schönen Parks und besonders gut ausgestatteten öffentlichen Schwimmbädern, sodass diese Angebote weniger genutzt werden können.“
Der Stress bei der Arbeit sei höher, weil zum Beispiel mehr zuarbeitende Tätigkeiten in einem lauten und oft körperlich anstrengenden Umfeld geleistet werden und es weniger Gestaltungsspielraum und Freiheiten gibt, sagt die Medizinethikerin. „Bei Frauen kommen dann häufig noch zusätzliche Care-Tätigkeiten hinzu, die noch immer vermehrt von ihnen übernommen werden, bei gleichzeitig niedrigerem Gehaltsniveau.“
Die Diskriminierungserfahrungen seien oft deutlich höher, wenn man zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe gehöre, was messbare Stressreaktionen im Körper auslöse. „Damit ist die Anfälligkeit für sehr viele Erkrankungen erhöht, und hier sind psychische Erkrankungen natürlich auch mit eingeschlossen“, sagt Wild.
Diese Verhältnisse zu verbessern – also zum Beispiel Wohnungen und Wohnumgebungen, Arbeitsplätze, Freizeitangebote, soziale Anbindung, gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung – das sei eine gesamtgesellschaftliche und politische Aufgabe, sagt Verina Wild. „Wenn wir das nicht schaffen, kann sich die Ungleichheit nicht verringern. Das hat höchst besorgniserregende Auswirkungen auf die einzelnen Personen, denn sie leiden.“
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