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Zivilisiert zu streiten, ist wichtig – auch fürs Gehirn.

© Getty Images/iStockphoto

Diskussion statt Harmonie: Streitet euch – auch über Politik! Euer Gehirn wird es euch danken

Wer den Streit scheut, unterfordert sein Gehirn und verliert Denkkapazität. Also: Use it or lose it.

Magnus Heier
Eine Kolumne von Dr. Magnus Heier

Stand:

Das Gehirn ist ein Kommunikationsorgan. Große Teile der knapp eineinhalb Kilogramm im Kopf sind dafür da, mit anderen zu reden, zu flirten, zu streiten.

Nicht bei Whatsapp oder Instagram. Sondern direkt und unmittelbar, von Angesicht zu Angesicht. Denn Kommunikation ist weit mehr als einzelne Worte und Emojis: Kommunikation ist auch Mimik und Gestik, Tonfall und Lautstärke.

Kommunikation – das sind eben auch die Zwischentöne. Und genau die fehlen in einem „Online-Gespräch“, das nur aus einzelnen Worten und Smileys besteht.

Mit der Fähigkeit zu kommunizieren verliert sich immer mehr auch die Fähigkeit, zu streiten. Vor allem jetzt – in Wahlkampfzeiten – scheint die politische Diskussion mehr gefürchtet als gesucht zu werden. „Lieber nicht über Politik“, heißt es ständig.

Aus neurologischer Sicht bedauerlich (aus sozialer sowieso) – denn das Gehirn sucht nicht nach Harmonie, sondern nach anregender Diskussion. Übrigens ist das Gehirn ein überaus veränderungswilliges Organ. Es gilt das Prinzip „use it or lose it“: benutze es oder wirf es weg. Was immer im Gehirn nicht gebraucht wird, wird abgebaut: Milliarden von Nervenverbindungen fallen der Nichtbenutzung zum Opfer.

Es ist zu befürchten, dass die Fähigkeit, sich stilvoll zu streiten, abnimmt. Weil das Gehirn diese Fähigkeit nicht mehr braucht.

Magnus Heier, Kolumnist

Es ist zu befürchten, dass die Angst vor anderen Meinungen Konsequenzen haben wird. Dass die Fähigkeit, sich stilvoll zu streiten, abnimmt. Weil das Gehirn diese Fähigkeit nicht mehr braucht – und verlernt.

Bei isoliert lebenden alten Menschen ist offensichtlich, dass deren Fähigkeiten zu kommunizieren abnimmt. Aber auch bei Jüngeren scheint genau das zu passieren. Denn „moderne“ Kommunikation im Netz ermöglicht es leider auch, nur noch Gleichgesinnte zu suchen und damit anderen Meinungen aus dem Weg zu gehen. Streitgespräche finden gar nicht mehr statt.

Zeit, dass sich was dreht: Stilvoll zu streiten ist eine wichtige Fähigkeit. Man kann sie lernen. Man kann sie genießen. Man kann überzeugen und überzeugt werden. Diskutieren ist wichtig. Streitet Euch endlich!

Alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne „Im weißen Kittel“ finden Sie auf der Übersichtsseite.

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