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So bliebe die Gesundheitsversorgung finanzierbar : Zuzahlungen für Arztbesuche stärken die Eigenverantwortung
Die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung steigen scheinbar unaufhaltsam. Zeit für eine Reform, finden unsere Gastautoren: mehr Eigenverantwortung, Digitalisierung und Kassenwettbewerb.
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Die Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind nicht mehr zu übersehen. Patienten klagen über lange Wartezeiten, Ärzte über zu viel Bürokratie – und alles wird immer teurer. Ohne Reformen droht der Beitragssatz zur GKV in den kommenden Jahrzehnten auf über 25 Prozent zu steigen.
Zwar ist angedacht, einen Teil der sogenannten versicherungsfremden Leistungen durch einen erhöhten Steuerzuschuss zu finanzieren, die grundsätzliche Dynamik der Gesundheitsausgaben ist damit aber keineswegs gebrochen. Daher muss die GKV dringend reformiert werden.
Um das System langfristig tragfähig zu gestalten, bedarf es einer politischen Kraftanstrengung. Wir plädieren für drei sich ergänzende Maßnahmen:
1. Eine moderne Kontaktpauschale
Eine intelligent ausgestaltete Zuzahlung für Arztbesuche und unvorhergesehene Inanspruchnahmen von Krankenhausnotaufnahmen kann die Eigenverantwortung der Patienten stärken. Wir schlagen daher eine Kontaktpauschale von 15 Euro je Arztbesuch vor sowie eine Anpassung der seit 2003 nominal fixierten Zuzahlungsregelungen für Arznei- und Hilfsmittel an die allgemeine Preisentwicklung. Im Gegenzug kann die bestehende Zuzahlung für Patienten bei Krankenhausaufenthalten wegfallen.
Damit ist, zusammen mit den bestehenden Überforderungsgrenzen von zwei Prozent der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (für chronisch Kranke liegt die Grenze bei einem Prozent), gewährleistet, dass eine solche Reform nicht zu Lasten einkommensschwächerer Patienten geht. Für einen chronisch kranken Rentner mit Bruttoeinnahmen von monatlich 3000 Euro läge die maximale Zuzahlung pro Jahr bei 360 Euro.
Eine unbürokratische, digitale Abwicklung einer Kontaktpauschale – etwa über eine Zusatzfunktion der elektronischen Patientenakte – könnte das nervige Sammeln von Belegen bis zur Erreichung der Zuzahlungsbefreiung obsolet machen. Zugleich gäbe es keinen zusätzlichen Aufwand für die Arztpraxen.
Internationale Vergleiche zeigen, dass das Niveau von Zuzahlungen in Deutschland – auch wegen der seit 20 Jahren ausbleibenden Inflationierung – extrem niedrig ist. Darüber hinaus belegen Erfahrungen aus anderen europäischen Gesundheitssystemen wie etwa der Schweiz oder Schweden, dass maßvoll ausgestaltete Selbstbeteiligungen nicht zu Versorgungslücken führen, sondern einen wertschätzenden Umgang mit Ressourcen fördern.
Eine zielgerichtete Kontaktpauschale könnte daher helfen, medizinisch unnötige Inanspruchnahmen unseres Gesundheitssystems zu reduzieren – ohne die Behandlung im Bedarfsfall zu gefährden. Diese Neuregelungen könnten die GKV um jährlich etwa 17 Milliarden Euro entlasten.
2. Mit Digitalisierung Effizienzreserven heben
Trotz jahrelanger Diskussionen und zahlreicher Gesetze zur Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch auf den hintersten Plätzen. Es gilt daher, die eingeschlagenen Wege zu einem digitalisierten Gesundheitswesen, wie sie beispielsweise durch die elektronische Patientenakte vorgezeichnet und durch das E-Rezept bereits technisch umgesetzt sind, konsequent und zielorientiert fortzusetzen.
Das Effizienzpotenzial eines digitalen Gesundheitswesens ist wegen des hohen Rückstands Deutschlands extrem hoch und wird in Studien auf bis zu 40 Milliarden Euro pro Jahr taxiert.
Voraussetzung sind jedoch der politische Wille zur Umsetzung und einheitliche Standards. Entscheidend ist außerdem, dass digitale Prozesse nicht nur eingeführt, sondern auch genutzt werden – mit automatisierten Abrechnungen, klaren Schnittstellen und effektiven Dokumentationspflichten. So könnte das Gesundheitswesen nicht nur effizienter werden, sondern auch stärker im Interesse der Patienten agieren, die beispielsweise dann nicht mehr darauf angewiesen wären, dass Arztbriefe auch rechtzeitig vor der nächsten Untersuchung hin- und hergeschickt werden.
Unnötige Wartezeiten und der Frust über Bürokratie ließen sich eindämmen. Und gerade in einer älter werdenden Gesellschaft ist ein digital vernetztes System essenziell, um eine koordinierte Versorgung zu ermöglichen – etwa durch sektorenübergreifende Informationsflüsse zwischen Haus- und Fachärzten, Pflegeeinrichtungen und Kliniken.
3. Mehr Wettbewerb zwischen den Kassen
Aktuell konkurrieren Krankenkassen primär über den Beitragssatz und Bonusprogramme. Um echte Effizienz- und Innovationsanreize zu schaffen, brauchen wir mehr Spielräume für alternative, passgenaue Versorgungsmodelle und kassenindividuelle Leistungen, die sich an den Bedürfnissen der Patienten ausrichten. Hierzu fehlen aber im heutigen System die Anreize für die Krankenkassen.
Mit einer solchen Reform könnte die GKV auch im Jahr 2080 noch funktionieren.
Um einen Ideen- und Vertragswettbewerb zwischen Krankenkassen zu ermöglichen, bedarf es dreierlei Maßnahmen:
- den Abbau des hohen bürokratischen Aufwands
- stärkere monetäre Anreize für lohnende Investitionen in Versorgungsprogramme, die beispielsweise multimorbiden Patienten einen strukturierten passgenauen Behandlungsablauf bieten
- Steuerungsmöglichkeiten, damit vor allem diejenigen Patienten an innovativen Versorgungsprogrammen teilnehmen, die davon am meisten profitieren
Letzteres kann gelingen, wenn Krankenkassen bei Einschreibung in solche Programme die Zuzahlung erlassen. Für die Überwindung der Überregulierung und die Schaffung monetärer Anreize sind leichte regulatorische Korrekturen in den Gesundheitsgesetzen wie etwa Modifikationen des finanziellen Ausgleichs der Krankenkassen (dem sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich) notwendig. Beides wäre kurzfristig umsetzbar.
Durch einen solchen Wettbewerb würde unser Gesundheitswesen nicht nur qualitativ besser und günstiger, sondern könnte auch helfen, regional angepasste Versorgungsstrukturen in ländlichen Regionen zu etablieren. Denn was gut sein mag für Berlin oder Dortmund, muss noch lange nicht für den bayrischen Wald passen und umgekehrt.
Die verschiedenen Vorschläge verstärken sich gegenseitig
Erst das Zusammenspiel der drei vorgestellten Maßnahmen entfaltet die volle Wirkung: Die Kontaktpauschale stärkt Eigenverantwortung, spart kurzfristig Kosten und sorgt dafür, dass sich Patienten für alternative Versorgungsmodelle interessieren. Die Digitalisierung birgt erhebliches Potenzial, das aber auch nur über einen wirklichen Wettbewerb unter Krankenkassen und Leistungserbringern gehoben werden kann.
Im Wettbewerb können sich Kassen mit schlanken Strukturen und smarten Versorgungsmodellen dann differenzieren. Gerade für jüngere Generationen, die die Hauptlast künftiger Beiträge tragen, ist ein System attraktiv, das ihnen Wahlfreiheit, Transparenz und Fairness bietet.
Mit einer solchen Reform könnte die GKV auch im Jahr 2080 noch funktionieren, ohne junge Generationen zu überlasten. Diese Legislaturperiode ist hierfür entscheidend. Wir brauchen jetzt den Mut zu einer solchen Reform. Sonst gerät das deutsche Gesundheitswesen in eine Abwärtsspirale aus steigenden Kosten und sinkender Akzeptanz – mit massiven Folgen für Beitragszahler, Patienten und Leistungserbringer gleichermaßen. Es liegt an uns, den Generationenvertrag zu erneuern – nicht mit kurzfristigen Versprechungen, sondern mit nachhaltigen Strukturen.
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