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Ikone der paralympischen Bewegung: Bebe Vio bleibt erstmals ohne Gold
Die italienische Rollstuhlfechterin ist weltbekannt und wird als eine Stimme ihrer Generation gefeiert. Bei den Paralympics in Paris gewinnt sie zweimal Bronze.
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Ihre Ausstrahlung ist fesselnd. Selbstbewusst steht Beatrice „Bebe“ Vio auf dem weißen Podest. Hinter ihr thront der pompöse Obelisk am Place de la Concorde, als sie bei der Eröffnungsfeier der Sommerspiele von Paris die paralympische Flamme hält. Ein Lächeln breitet sich auf dem Gesicht der 27-jährigen Italienerin aus, denn sie weiß: Jetzt geht es für sie wieder los.
Die Rollstuhlfechterin gehört zu den weltbesten ihrer Klasse, doch sie ist mehr: Vio ist eine Botschafterin, eine Inspiration. Eine laute Stimme, die vor allem in den sozialen Netzwerken gehört wird. Auf Instagram zeigt sie sich authentisch und nahbar und nimmt ihre 1,3 Millionen Follower mit durch ihren Alltag – auch in Paris. Man findet auf ihrem Kanal eine Room-Tour aus dem paralympischen Dorf oder Auspack-Videos von Merchandising.
Schon bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris lief die Para-Athletin elegant über den Laufsteg. Dabei trug sie ein extravagantes Kleid, das ihre Rolle als „aufsteigender Phönix“ der Paralympics symbolisieren sollte. Aufgrund ihres Engagements für Inklusion war es den französischen Organisatoren wichtig, sie als Teil beider Zeremonien dabei zu haben.
Schon bei den Paralympics 2012 in London war die damals gerade mal 15 Jahre alte Vio vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) als Fackelträgerin ausgewählt worden, um die „Zukunft paralympischer Athleten“ zu repräsentieren, nachdem mehr als 1000 Menschen mit einer Onlinekampagne ihre Kandidatur unterstützt hatten.
Jedes Jahr vor den Paralympics beginne ich im Grunde eine Reinigungsreise. Ich muss in der Lage sein, mich in eine perfekte mentale und physische Form zu bringen.
Bebe Vio
Auf Instagram schreibt die Italienerin heute dazu: „12 Jahre ist es her, ich bin als Frau und als Sportlerin gewachsen. Wie ich sind so viele andere Kinder und Jugendliche mit Behinderungen stolze paralympische Athleten geworden, und ich hoffe, dass die neuen Generationen der Paralympischen Spiele in Paris dazu inspiriert werden, an ihre Träume zu glauben.“
Die Sportlerin wurde als zweites von drei Kindern in Venedig geboren und wuchs in Mogliano Veneto auf. Mit fünf Jahren wollte sie ins Sportzentrum, um Volleyball auszuprobieren – und ging stattdessen in den falschen Raum, zum Fechten. „Ich habe mich sofort in den Sport verliebt“, erzählt Vio der Organisation Malala Fund im Interview.
Im Alter von elf Jahren plagten Vio Kopfschmerzen beim Fechttraining – eine bakterielle Hirnhautentzündung wurde festgestellt. Als die Mutter die Einblutungen in ihrem Gesicht sah, war der erste Gedanke, ihre Tochter habe ohne Maske gekämpft. Bebe Vios Leben konnte nur gerettet werden, indem ihr beide Unterarme und beide Beine amputiert wurden.
Heute ist sie die einzige Athletin im Rollstuhlfechten, die ohne Hände, Unterarme und Beine antritt. Ihr Florett wird, anders als bei den anderen Teilnehmerinnen, mit einer Prothese an ihrem linken Ellenbogen befestigt. Um dies zu ermöglichen, änderte der Dachverband sein Regelwerk.
Vios Paralympics-Debüt war sagenhaft
Vor einigen Jahren gründete Vio mit ihrer Familie die Organisation art4sport, „um amputierten Kindern zu helfen, ihr Leben durch Sport zu genießen“, berichtet Vio. In Italien fehle es völlig an Unterstützung durch das Gesundheitssystem für Sportprothesen, die sehr teuer seien. Art4sport entwirft, untersucht und finanziert Sportprothesen und macht den paralympischen Sport in ganz Italien bekannt.
Vios Paralympics-Debüt war sagenhaft: Bei den Spielen in Rio 2016 gewann sie jeweils Gold im Einzel und im Team. Als der Mannschaftssieg feststand, „haben wir einfach angefangen zu weinen, uns zu küssen, uns zu umarmen und dann italienische Lieder gesungen. Das war so großartig“, erzählte sie mal. In Tokio kam eine weitere Goldmedaille im Einzel und Silber im Team hinzu.
Vio arbeitet in Italien als Motivationsrednerin, Model und Fernsehmoderatorin und veröffentlichte bereits mehrere Bücher. Nach den Spielen in Japan musste sie sich notwendigen Operationen an Schulter, Ellbogen und Hüfte unterziehen und feierte 2023 ihre Rückkehr in den Para-Fechtsport. Zwischen Tokio und Paris sei nur ein Wimpernschlag vergangen, teilte sie auf Instagram mit: „Jedes Jahr vor den Paralympics beginne ich im Grunde eine Reinigungsreise. Ich muss in der Lage sein, mich in eine perfekte mentale und physische Form zu bringen.“
Vor den Spielen in Paris postete die Fechterin eine im ersten Moment schockierende Nachricht: Sie würde nicht an den Paralympics teilnehmen. Im nächsten Swipe heißt es, sie würde kämpfen. Dahinter steckt eine mediale Kampagne des IPC, die eine Diskussion über Sprache anregen sollte. Im Fokus steht dabei die Formulierung, mit der über paralympische Athleten im Vergleich zu Athleten ohne Behinderungen berichtet wird. „Es wird gesagt, teilzunehmen sei schon ein Sieg, mitmachen sei gewinnen. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war nur gewinnen auch wirklich gewinnen“, sagte sie dazu in einer Werbekampagne.
Zu aller Überraschung gelang ihr am Mittwoch im altehrwürdigen Grand Palais von Paris dann aber nicht die zweite Titelverteidigung ihrer Goldmedaille im Einzel. Immerhin gewann sie aber den Kampf um Bronze. Im Teamwettbewerb ging es am frühen Donnerstagabend gegen China um den dritten Platz, wo die Athletin mit der italienischen Mannschaft erneut Bronze sicherte.
Auch wenn es diese Spiele nicht für den ersten Platz gereicht hat – im Kampf um die Inklusion wird sich Bebe Vio nie geschlagen geben.
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