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Anlaufstelle für Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof.

© picture alliance / SZ Photo/Olaf Schülke

Asylkompromiss der EU: Europa wird nur gelingen, wenn Deutschland Sonderwege verlässt

In der Migrationspolitik schließt sich Berlin endlich der Mehrheit in Europa an. Ein gutes Vorbild für Energie, Verteidigung und Klimapolitik.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es gibt sie noch: positive Überraschungen aus Europa. Die EU-Staaten können sich auf eine Reform der Asylpolitik einigen. Und Deutschland betätigt sich nicht als Verhinderungsmacht bei der Suche nach einer mehrheitsfähigen Antwort auf ein drängendes Problem.

Man möchte wünschen, dass dieses gute Beispiel Schule macht. Europa steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die sich nicht mehr auf der Ebene der Nationalstaaten lösen lassen. Sondern nur, wenn ein EU-weiter Kompromiss gefunden wird.

Das setzt voraus, dass alle Beteiligten eine Vorstellung davon haben, in welchem Bereich der mutmaßliche Mehrheitswille der Europäer zu suchen ist. Und bereit sind, Abstriche an ihren nationalen Vorstellungen zu machen.

Missionarischer Eifer

Vor dieser Verantwortung stehen nicht nur Länder wie Polen und Ungarn, die man in Westeuropa gerne als Blockademächte beschimpft – oft zu Recht, mitunter aber auch nicht.

Sondern sie richtet sich ebenso an Deutschland. Und hier besonders an die Kräfte, die von vielen in Europa so wahrgenommen werden, als würden sie lieber predigen als zuhören – mit einem missionarischen Eifer, als solle an ihrem Wesen Europa genesen.

Die Migrationspolitik ist nur eines von mehreren Feldern, auf denen deutsche Regierungen seit Jahren auf einem Sonderweg beharrten, den die Mehrheit der EU-Partner für falsch hält. Das Scheitern dieses Sonderwegs ist offensichtlich. Das zeigen die Klagen aus den Kommunen über die alltägliche Überforderung.

Es gleicht einer Karikatur der realen Lage, wenn manche beklagen, der europäische Kompromiss bedeute das Ende von Grundrechten und Menschenwürde. Schweden hat ihn ausgehandelt, ein Land, das seit Jahrzehnten für seine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen bekannt ist. Grüne Spitzenpolitiker haben zugestimmt. Polen und Ungarn mussten Abstriche machen. Gerichte werden überwachen, dass Menschenrechte geachtet werden.

Einen Sonderweg hat Deutschland lange in seiner Energie- und Russlandpolitik verfolgt, ist damit krachend gescheitert und hat an Vertrauen verloren. Gegen den lauten Protest europäischer Partner hat es sich von russischem Gas abhängig gemacht und nach der Annexion der Krim die Gaspipeline Nord Stream 2 gebaut.

Den Doppelausstieg aus Kohle und Gas macht niemand nach. Er ist überhaupt nur dank des europäischen Strommarkts möglich. Der versorgt Deutschland in der Dunkelflaute.

In der Klimapolitik geht Deutschland doppelte Sonderwege. Einerseits fordert es immer schärfere Emissionsobergrenzen immer früher, die die Partner für irreal halten. Andererseits hält es an Eigenheiten – kein Tempolimit – und einer Industriepolitik fest, die im Widerspruch dazu stehen.

Auch in der Verteidigungspolitik tut Deutschland wenig für die Stärkung Europas. Man warnt gerne davor, dass Donald Trump 2024 erneut Präsident werden und die Bündniszusage in Frage stellen könnte.

Die Regierung hat aber keinen Plan, wie sie Sicherheit ohne die USA garantieren will. Von den „dauerhaft zwei Prozent“ für Verteidigung, die der Kanzler versprochen hat, ist in der Finanzplanung bislang nichts zu sehen.

Der Asylkompromiss weist den Weg. Schluss mit dem deutschen Hochmut, andere Europäer sollten sich am besten an deutschen Vorstellungen orientieren. Europa wird nur gelingen, wenn Deutschland seine Sonderwege verlässt und seine Politik am Mehrheitswillen der EU-Partner ausrichtet.

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