
© AFP/BAKR ALKASEM
Das Drogenimperium des Assad-Regimes: Mehr Umsatz als mexikanische Kartelle – und Europa als Drehscheibe
Der Assad-Clan und seine Getreuen betrieben in Syrien die Produktion von Captagon in gigantischem Ausmaß. Auch über Europa wurde der Stoff massenhaft vertrieben. Wie funktionierte das Geschäft?
Stand:
„Wie die Mafia, die einen Staat lenkt“ – so beschrieb kürzlich ein Syrienexperte die Machenschaften des Assad-Clans. Die erweiterte Familie des syrischen Machthabers Bashar al-Assad kontrollierte einen Großteil der Wirtschaft in Syrien, war in den Waffenschmuggel und die Unterschlagung von Hilfsgeldern involviert. Aber die Mafia wäre nicht die Mafia, wenn es nicht auch um Drogen ginge.
Und tatsächlich machten die Assads wahrscheinlich sogar ein Großteil ihres Vermögens, das Experten auf bis zu 100 Milliarden Euro schätzen, mit Drogenhandel. Vor allem mit einem Stoff namens Captagon.
Captagon wurde in den 1960er-Jahren in Deutschland eigentlich als Medikament gegen Aufmerksamkeitsstörungen entwickelt. Es handelt sich dabei um einen Amphetamin-ähnlichen Stoff, der unter anderem aufputschend wirkt und schnell süchtig macht. 2003 wurde das Arzneimittel in Deutschland vom Markt genommen.
Auch Europa spielte eine Rolle
Die Droge wird heute vor allem in arabischen Ländern konsumiert. Sie gilt als „Kokain des armen Mannes“ und wurde auch von den Terrormilizen des IS benutzt, um besser kämpfen zu können.
Zu seinen Hochzeiten soll der syrische Drogenhandel jährlich 10 Milliarden Euro umgesetzt haben, mehr als die syrische Wirtschaft 2021 erwirtschaftete. Die Margen des Geschäfts waren für die Produzenten gewaltig: Zwischen drei und 25 Euro kostet eine Pille für die Endabnehmer. Die Herstellungskosten liegen bei einigen Cent.

© AFP/DAVE CLARK
Auch Europa spielte für den syrischen Drogenhandel eine Rolle. Im September 2023 kam ein Report der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) und des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) zu dem Ergebnis, dass Schmuggler vermehrt Captagon über Europa in den Nahen und Mittleren Osten schaffen.
Offensichtlich war die Route über Europa sicherer als durch das von Rebellen kontrollierte syrische Grenzgebiet und der Landweg über den Irak. Zudem versuchten die jordanische und die libanesische Armee den Schmuggel über die Grenze zu unterbinden. Per Schiff waren auch größere Lieferungen möglich, während die Pillen die Grenzen der Nachbarländer meist in Obstkisten versteckt überquerten.
Federführend war wohl Assads jüngerer Bruder
Außerdem bot sich der Umweg über Europa an, so hieß es in dem EU- und BKA-Report, „um Kontrollen durch die Behörden in den Zielmärkten zu vermeiden, die wahrscheinlich nicht vermuten, dass Captagon-Tabletten aus der EU verschifft werden“. Schiffe mit den Pillen verließen den syrischen Hafen Latakia in Richtung Europa.
Federführend für den Schmuggel soll Assads jüngerer Bruder Maher al-Assad gewesen sein, der die berüchtigte Vierte Division der syrischen Armee befehligte. In einer Halle, die der Division unterstand, entdeckten die Rebellen vor einigen Tagen eine riesige Menge der Tabletten. Auch die libanesische Terrormiliz Hisbollah und andere vom Iran unterstützte Milizen waren in den Handel und Schmuggel der Droge involviert.

© Katharina Eglau
Laut der britischen Regierung könnte der weltweite Captagon-Markt zuletzt bis zu 60 Milliarden Euro groß gewesen sein – das ist dreimal mehr Geld, als die mexikanischen Kartelle schätzungsweise mit ihrem Drogengeschäft umsetzen. Bisher wurde 80 Prozent des weltweit gehandelten Captagons in Syrien hergestellt.
Welche Ausmaße das Geschäft bis vor kurzem hatte, zeigen auch die Erfolge der Fahnder. Die wohl bisher größten Schläge gegen den Captagon-Schmuggel gelangen Ermittlern aus Italien im Juli 2020 und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im September 2023: Sie stellten jeweils in mehreren Schiffscontainern fast 15 Tonnen Pillen sicher, die jeweils rund eine Milliarde Euro wert waren. Es handelte sich jeweils um rund 80 Millionen Tabletten. Insgesamt sollen allein im Jahr 2021 weltweit Pillen im Wert von sechs Milliarden Dollar konfisziert worden sein.
Größter Fund in Deutschland nahe Aachen
In den vergangenen Jahren wurden in Europa insgesamt rund 140 Millionen Captagon-Tabletten von Ermittlern sichergestellt. Meistens sollten die Lieferungen direkt weiter in den arabischen Raum gehen oder in Europa neu verpackt und dann weitergeschickt werden.
Der bisher wohl größte Fund in Deutschland gelang Zollfahndern in der Nähe von Aachen. Der Wert der 300 Kilogramm schweren Ladung wurde auf über 60 Millionen Euro geschätzt. Angeklagt in dem Fall sind vier Syrer.

© dpa/-
Zahlreiche Syrer und auch Mitglieder der Assad-Familie, die in den Handel involviert waren, landeten im Laufe der Jahre auf internationalen Sanktionslisten. Ein Blick auf die Listen zeigt: Zu den Profiteuren gehörten vor allem Assads Vertraute, Milizen und Warlords.
Aber das Drogengeschäft hatte für den Diktator noch einen weiteren Zweck. Einem Bericht der Carnegie-Stiftung von Anfang des Jahres zufolge haben das Assad-Regime und seine Verbündeten „den Handel mit Captagon auch als Druckmittel gegen die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, eingesetzt, um Syrien wieder in die arabische Welt zu integrieren“.
Nach Jahren der Isolation wegen seines brutalen Vorgehens im Bürgerkrieg war Assad zuletzt wieder in den Kreis der arabischen Staaten aufgenommen worden. Neben Geld war die Droge für das Regime also auch außenpolitisches Druckmittel. Aber trotz der Appelle der anderen arabischen Staaten unterband Assad die Produktion in Syrien nie.
Vor allem half der Drogenhandel Assad aber dabei, den Kampf gegen die Rebellen im Land zu finanzieren. Auch die Soldaten der syrischen Armee betätigten sich als Dealer, um ihr mageres Gehalt aufzubessern, wie BBC-Reporter bei einer Recherche in Aleppo herausfanden. Geliefert wurden die Pillen an Assads Soldaten von der Hisbollah.
Mit Syriens Rolle als Drogenfabrik für den gesamten arabischen Raum soll nun aber Schluss sein. Am Sonntag, nach seiner Ankunft in Damaskus, erklärte der Rebellenführer Abu Mohammed al-Dschaulani, dass Syrien „die weltweit führende Quelle für Captagon“ geworden sei. „Aber heute wird Syrien durch die Gnade Gottes, des Allmächtigen, gereinigt.“
- "Islamischer Staat"
- Aleppo
- Bundeskriminalamt
- Die EU
- Drogen
- Hisbollah
- Irak
- Iran
- Italien
- Saudi-Arabien
- Syrien
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false