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Ein Freudentag für Syrien: Die Menschen feiern das Ende der US-Sanktionen.

© Reuters/Yamam Al Shaar

Das Ende der US-Sanktionen: Hat Donald Trump seine Liebe zu Syrien entdeckt?

Fünf Monate nach Assads Sturz sollen die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben werden. Beginnt jetzt eine neue Zeitrechnung für das Land? Ein Expertengespräch.

Stand:

Herr Gerlach, die USA wollen in einem historischen Schritt die Sanktionen gegen Syrien aufheben. Ist US-Präsident Donald Trump derjenige, der das Land von der Assad-Zeit befreit?
So weit würde ich nicht gehen. Bis zur Befreiung von den Geistern des Regimes wird es noch sehr lange dauern. Das betrifft die katastrophale Wirtschaftspolitik Assads, den Verlust staatlicher Autorität, aber auch die Spaltungen innerhalb der Gesellschaft. Ganz abgesehen davon, dass die technischen Fragen zur Beendigung der amerikanischen Strafmaßnahmen noch gar nicht geklärt sind.

Das heißt?
In den USA haben viele Sanktionen Gesetzeskraft. Sie können rasch verhängt werden, aber sie dann rückgängig zu machen, ist kompliziert und langwierig. Immerhin wird es für Golfstaaten wie Katar einfacher, Geld nach Syrien zu transferieren, weil sie keinen Ärger mehr mit der US-Finanzaufsicht fürchten müssen. Aber private Banken werden warten, bis sie es schwarz auf weiß haben, dass es für sie keine Risiken mehr gibt.

War die Euphorie der Syrerinnen und Syrer verfrüht?
Nein, die Aufhebung der Sanktionen ist schon ein wichtiger, richtiger und entscheidender Schritt für das Land. Denn die Strafmaßnahmen wurden verhängt, um das Assad-Regime zu treffen. Diese sachliche Grundlage ist weggefallen. Aber es gibt im Land auch kritische Stimmen, die davor warnen, die Sanktionen aufzuheben.

Warum das?
Sie halten die Politik des Übergangspräsidenten Ahmad al-Scharaa für falsch und trauen dem neuen Regime nicht. Die Aufhebung der Sanktionen verleiht ihm Legitimität und Stärke. Die Sanktionen seien das einzige Druckmittel, um die Führung zu einer anderen, besseren Politik zu bewegen.

Ich verstehe diesen Punkt, aber letztendlich treffen die Sanktionen ja auch diejenigen Syrer, die mit al-Scharaa nicht einverstanden sind. Die muss er an Bord holen und zeigen, dass der Staat für alle da ist, die Menschen beschützt und nicht auf Basis religiöser Zugehörigkeit diskriminiert.

Der Imagewandel des syrischen Übergangspräsidenten – vom Dschihadisten-Anführer zum Staatsmann – scheint zumindest bei Trump zu wirken.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Trump will durch den Wegfall der Sanktionen Syrien ermöglichen, „großartig“ zu werden. Entdeckt der US-Präsident plötzlich seine Liebe zu Syrien?
Er hat interessanterweise vor allem seine Liebe zu al-Scharaa entdeckt, ihn während seiner Golf-Reise als „jungen, attraktiven Kerl“ bezeichnet. Das zeigt: Der Imagewandel des Übergangspräsidenten – vom Dschihadisten-Anführer zum Staatsmann – scheint zumindest bei Trump zu wirken. Aber das will nicht viel heißen.

Weshalb nicht?
Syrien ist für die USA eher von nachgeordneter Bedeutung, auch wenn dort noch einige US-Truppen stationiert sind. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit deren Abzug angekündigt – bis ihm jemand verklickert hat, dass es dort, wo sie stehen, Öl gibt.

Für die USA ist Syrien weniger wichtig als für Europa. Es sei denn, es geht um geopolitische Rivalitäten, wie beispielsweise mit Iran und Russland, oder die Interessen Israels.

Historischer Händedruck: Donald Trump trifft Syriens Machthaber Ahmad al-Scharaa.

© AFP/Bandar Al-Jaloud/Saudi Royal Palace

Inwiefern?
Trump erwartet als Gegenleistung für das Ende der Sanktionen, dass Syrien seinen Beitritt zu den Abraham-Abkommen in Aussicht stellt – also den Kriegszustand mit Israel beendet und die Beziehungen normalisiert. Das hat die Führung in Damaskus vage zugesagt, zu einem geeigneten Zeitpunkt und den passenden Bedingungen, wie es heißt.

Wie groß sind die Chancen, dass es dazu tatsächlich kommt?
Sicherlich, man braucht viel Fantasie, um sich das vorstellen zu können. Aber es gibt ja auch immer wieder Überraschungen. Viele Syrer wollen nichts als Ruhe und haben Israel als Tatsache akzeptiert.

Für die radikale Anhängerschaft von al-Scharaa, besonders das islamistische und dschihadistische Spektrum, ist Israel zwar ein Problem, allerdings eines, das am Jüngsten Tag in einer großen endzeitlichen Schlacht angegangen wird. Entscheidender ist etwas anderes.

Israelische Militärfahrzeuge verlassen die Pufferzone zu Syrien.

© AFP/Jalaa Marey

Nämlich?
Derzeit ist völlig klar, dass Israel nicht bezwungen werden kann. Jede Entscheidung trifft al-Scharaa buchstäblich in dem Wissen, dass über ihm eine israelische Drohne schwebt.

Die israelische Regierung hat bisher wenig Zweifel daran gelassen, dass sie bereit wäre, selbst den politischen Führer eines Nachbarlands zu töten, wenn es ihn als Gefährdung ihrer Sicherheit betrachtet. Zwangsläufig ist man in Syrien daher vorerst an einem „neutralen“ Verhältnis zu Israel interessiert.

Israels Vorgehen in Syrien ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Benjamin Netanjahus Regierung traut den islamistischen Machthabern in Damaskus nicht über den Weg und hält Teile Syriens besetzt. Eine nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme oder ungerechtfertigter Argwohn?
Sowohl als auch. Aber das ist nicht der zentrale Punkt.

Sondern?
Israels Vorgehen in Syrien ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Neben den annektierten Golanhöhen wurde im Süden des Landes eine weitere Besatzungszone geschaffen. Mit dem Argument, sich selbst und die drusische Minderheit vor Angriffen schützen zu müssen.

Das Bedrohungsgefühl einer Seite kann aber nicht die Grundlage nachbarschaftlicher Beziehungen sein. Israel hat selbst ja immer wieder betont, dass es Frieden mit Syrien will. Nun gilt das Recht des Stärkeren. Und al-Scharaa steht da als derjenige, der vor der Übermacht kapituliert.

Trauernde Frauen bei einer Beerdigung: Hunderte Alawiten wurden von sunnitischen Milizen Anfang März getötet.

© Reuters/Orhan Qereman

Nicht nur Israel, sondern auch die Minderheiten in Syrien misstrauen den Islamisten um al-Scharaa. Zu Recht?
Ja! Denken Sie an die Massaker in der Küstenregion Anfang März. Damals töteten islamistische Milizen Hunderte Alawiten. Das war eine Racheaktion – sowohl für einen vorausgegangenen Angriff alawitischer Kämpfer auf Regierungssoldaten als auch, weil der Minderheit kollektiv vorgeworfen wird, sie habe das Assad-Regime unterstützt.

Die Massaker wurden auch von sunnitischen Gruppen begangen.
Und die Regierung ist weder entschieden eingeschritten, noch hat sie sich öffentlich auf die Seite der Opfer gestellt. Das nährt den Verdacht, dass das Regime es nicht ernst meint mit dem Versprechen, die Freiheit und Würde aller Staatsbürger zu schützen.

Es gibt im Nahen Osten viele Beispiele für ehemalige Kriegsherren, Kriminelle und Extremisten, die es geschafft haben, sich zu akzeptierten Staatsmännern zu entwickeln.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Wie glaubhaft ist dann der Wandel von al-Scharaa vom Glaubenskrieger zum Versöhner?
Sein Aufstieg erfolgte im Kontext eines brutalen Assad-Regimes und eines unerbittlichen Krieges. Das befördert extreme Haltungen. Es gibt im Nahen Osten viele Beispiele für ehemalige Kriegsherren, Kriminelle und Extremisten, die es geschafft haben, sich zu akzeptierten Staatsmännern und Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft zu entwickeln.

Syrische Rebellen verbrennen ein Bild des gestürzten Machthabers Assad.

© Imago/SOPA Images/IMAGO/Sally Hayden / SOPA Images

So scheint es auch bei al-Scharaa zu sein.
Er will an der Macht bleiben und hat eine gewisse Vorstellung davon, wie das neue Syrien aussehen soll. Die zentrale Frage lautet für mich nicht nur, ob jemand seine Agenda geändert hat, sondern was er bereit ist zu tun, um sich durchzusetzen.

Bei Führern, die mit Gewalt an die Macht gelangt sind, gehört es zum Instrumentarium, Gewalt anzuwenden und auch zu töten, wenn es den Machtinteressen dienlich ist.

Es gibt nicht wenige in Syrien, die fürchten, am Ende könnte ein Kalifat stehen. Ist das übertrieben?
Ja. Denn al-Scharaa weiß zum einen, dass das in Syrien schwer durchzusetzen wäre. Es wäre eine Anmaßung gegenüber den Muslimen.

Und zum anderen?
Kennen wir das Beispiel des selbsternannten Kalifen des „Islamischen Staats“, Abu Bakr al-Baghdadi, mit dem er nicht assoziiert werden will. Das derzeitige Regime strebt nicht nach einem dschihadistischen Staatsgebilde, sondern nach einem Syrien mit starker sunnitischer Identität. Eine islamische Republik mit kleinem „i“ gewissermaßen.

Welche Herausforderungen sind für die neuen Herrscher in Damaskus besonders groß?
Ich sehe vor allem drei gravierende Probleme. Erstens: Syrien hatte einen völlig aufgeblähten öffentlichen Sektor. Den kann sich die Regierung finanziell nicht leisten.

Was zur Folge hat, dass viele Beschäftigte entlassen werden und kein Gehalt mehr bekommen. Das schafft die Grundlage für eine Verelendung, gerade der Mittelschicht. Die schwierige soziale und wirtschaftliche Lage des Landes lässt sich allein durch die Aufhebung der Sanktionen nicht beheben. Dafür braucht es sehr schnell sehr viel Geld.

Der Westen sollte sich davor hüten, zu laute Ratschläge zum Thema ,Übergangsjustiz’ zu geben und ständig nach Aufarbeitung zu rufen.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Und das zweite Problem?
Es gibt viel Kriminalität, weil der Sicherheitsapparat nicht funktioniert und zum Teil von Leuten kontrolliert wird, die meinen, dass sie selbst am besten wissen, was Recht ist. Für Ruhe und Ordnung zu sorgen, eine professionelle Polizei und Streitkräfte aufzubauen, kostet viel Zeit.

Worin besteht die dritte Herausforderung?
Syrien ist sehr schwach und kann rasch in regionale Konflikte hineingezogen werden. Je schwächer der Staat ist, desto heftiger werden die Machtkämpfe, die andere Länder auf syrischem Territorium austragen. Diese wiederum könnten ohnehin bestehende gesellschaftliche Konflikte verschärfen.

Eine Frau untersucht eine Zelle.: Saidnaja war zu Assads Zeiten das berüchtigtste Foltergefängnis.

© dpa/AP/Hussein Malla

Stichwort Konflikte: Wie ist es nach Jahren des Krieges mit Hunderttausenden Toten und Gefolterten um die Versöhnung im Land bestellt?
Der Westen sollte sich davor hüten, zu laute Ratschläge zum Thema „Übergangsjustiz“ zu geben und ständig nach Aufarbeitung zu rufen.

Die Vergangenheit ist ein wichtiger Faktor, aber man versteht auch, dass alle in dieser dramatischen Situation nach vorne blicken wollen. Die syrische Regierung hat ein Komitee gegründet, das sich mit den Verbrechen während der Assad-Zeit beschäftigen und mögliche Entschädigungen prüfen soll.

Klingt sinnvoll, oder?
Ja klar. Angesichts des Ausmaßes der Verbrechen des Assad-Regimes verstehe ich, dass man sich zunächst darauf konzentriert. Übergangsjustiz ist keine Siegerjustiz. Sie wird nur glaubwürdig, wenn sie Verbrechen aller Seiten untersucht, auch der Milizen aus dem Umfeld von al-Sharaa und seiner Regierung.

Eine gute Bewältigung der Vergangenheit kann Rache und Selbstjustiz vorbeugen und die Gesellschaft wieder zusammenbringen. Eine Alibi-Übergangsjustiz, die vor allem ausländische Forderungen erfüllen soll, kann das Gegenteil bewirken.

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