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Das vierte Osterfest im Ukrainekrieg: „Eine 30-stündige Waffenruhe ist eine Verhöhnung von uns allen“
Ostern, das wichtigste Fest der orthodoxen Christen, wird in Kyjiw zum vierten Mal vom Krieg überschattet. Von der temporären Feuerpause erfahren viele Ukrainer erst am Sonntagmorgen in der Kirche.
Stand:
Schon am frühen Morgen stehen die Menschen mit Weidenkörben in den Händen auf dem Kirchhof der Swjato-Pokrowskyj-Kathedrale in Kyjiw.
In dichter Reihe warten sie auf den Priester. Er kommt jede halbe Stunde heraus, um den Inhalt der Körbe großzügig mit Wasser zu besprengen: Osterbrot und gefärbte Eier.
Damit segnet er die orthodoxen Christen zum Ende des strengen Fastens, das sieben Wochen vor Ostern begann. Es ist eine jahrhundertealte und sehr beliebte Tradition: Die Menschen vor der Kirche strahlen vor Freude, wenn das Wasser in ihre Richtung spritzt.
Vor der russischen Invasion ging diesem Ritual eine Messe voraus, die genau um Mitternacht begann. Jetzt jedoch herrscht in der Ukraine bis fünf Uhr morgens Ausgangssperre. Daher wird in den meisten Kirchen am frühen Morgen nur eine verkürzte Liturgie veranstaltet.
In seiner Osterpredigt verspricht der Leiter der Swjato-Pokrowskyj-Kathedrale, das Leiden der Ukraine werde bestimmt ein Ende haben. Aber er sagt auch: So wie Jesus Christus sich geopfert habe, sollten die Ukrainer bereit sein, ihr Leben zu geben für den Sieg des Guten über das Böse.
Die biblischen Ereignisse haben für die Ukraine eine besondere Symbolik erlangt. Denn sie geben Hoffnung auf einen Sieg, auch wenn der Preis dafür noch so hoch ist.
Oleksandr Trofymlyuk, Leiter der Swjato-Pokrowskyj-Kathedrale
Im Gespräch mit dem Tagesspiegel räumt Oleksandr Trofymlyuk ein, dass ihm diese Worte schwergefallen sind. Dennoch wollte er sie gerade am Osterfest sagen.

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„Die biblischen Ereignisse haben für die Ukraine eine besondere Symbolik erlangt. Denn sie geben Hoffnung auf einen Sieg, auch wenn der Preis dafür noch so hoch ist“, sagt er. „Dem Triumph der Auferstehung gingen auch Leiden, die Kreuzigung und der Tod voraus.“
Präsenz statt Online-Gottesdienst
Auf den Ostergruß des Priesters „Christus ist auferstanden!“ antworten die Gläubigen traditionell mit „Wahrhaftig auferstanden“. Doch nun, da die Ukrainer im vierten Kriegsjahr stehen, sagen sie oft: „Und die Ukraine wird auferstehen.“
In diesem Jahr war die Stimmung vor Ostern besonders bedrückt: Der Angriff auf Sumy im Nordosten des Landes, bei dem 35 Menschen getötet wurden, fiel auf den Palmsonntag.
Daher rief die Regierung die Menschen dazu auf, wachsam zu sein oder besser an einem Online-Gottesdienst teilzunehmen, den viele Kirchen via Facebook anbieten. Denn Menschenansammlungen sind wegen der russischen Raketenangriffe gefährlich.
Lange Schlangen vor dem Kirchtor
Doch die Menschen drängen in die Kirchen. Auf dem Kirchhof der Kathedrale sind genauso viele Menschen wie vor dem Krieg. Am Eingang bilden sich Schlangen.
Ich spüre die festliche Stimmung noch mehr als vorher. Ich freue mich, dass wir überhaupt noch am Leben sind.
Julija, eine Gottesdienstbesucherin in Kyjiw
Julija hat ihre zweijährige Tochter das erste Mal zum Ostergottesdienst mitgebracht. Denn die Osterfreude überwiege doch die Angst, sagt sie.

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„Ich spüre die festliche Stimmung noch mehr als vorher. Ich freue mich, dass wir überhaupt noch am Leben sind, und dafür bin ich Gott dankbar“, sagt Julija. Und fügt hinzu: „Und allen unseren Verteidigern.“
Viele Familien feiern Ostern getrennt, weil die Männer im Kriegseinsatz sind. Deshalb weihen die ukrainischen Kirchen Tausende von Osterbroten und Eiern, um sie an die Front zu schicken.
Ein Soldat im Fronturlaub
Der Soldat Andrij Lenok hatte das Glück, rechtzeitig zum Osterfest einen Kurzurlaub bekommen zu haben. Er würde sich selbst nicht als gläubig bezeichnen, sagt er, aber er sei in die Kirche gegangen, um die fröhlichen Gesichter der Menschen dort zu sehen.
Genau dafür kämpfe er, dass wenigstens in Kyjiw weiter ein relativ friedliches Leben möglich sei. In den Städten an der Front seien die Menschen viel bedrückter, berichtet er.
Trump hatte Hoffnungen geweckt
Was dieses Kriegsostern von den vorangegangenen unterscheidet, ist die Hoffnung der Ukrainerinnen und Ukrainer auf eine Waffenruhe. Genährt hatte sie US-Präsident Donald Trump, als er im März intensive Gespräche mit Russland und der Ukraine begann.
Doch vor Ostern verkündete die US-Regierung, die Verhandlungen seien ins Stocken geraten. US-Außenminister Marco Rubio warnte sogar davor, dass Washington seine Friedensbemühungen einstellen könnte.
Für die Ukrainerinnen und Ukrainer war die Hoffnung jedoch schon ein paar Wochen vor Ostern verflogen, als Russland seine Raketenangriffe noch verstärkte. Es gab Dutzende Tote und Hunderte Verletzte in mehreren Städten des Landes.
Von der eintägigen Waffenruhe wissen viele nichts
Als umso zynischer empfinden es die Menschen nun, dass der russische Präsident Wladimir Putin am Sonnabend plötzlich eine Waffenruhe zu Ostern verkündete. Sie soll bis Sonntagabend gelten, ganze 30 Stunden – statt der 30 Tage, die zuvor in der Diskussion waren.
Da Putin die einseitige Waffenruhe erst rund eine Stunde vor ihrem Beginn verkündet hatte, erfuhren manche Ukrainerinnen und Ukrainer erst am Sonntagmorgen in der Kirche davon.
So wie Switlana. Sie hatte die Nachricht von der Waffenruhe übersehen, denn sie hatte am Samstagnachmittag eine SMS mit einer schrecklichen Botschaft erhalten: Ihr Freund sei an der Front gestorben.
„Eine 30-stündige Waffenruhe ist eine Verhöhnung von uns allen. Auch wenn Trump das wohl als Erfolg seiner Friedensbemühungen darstellen würde“, sagt Switlana.
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