
© AFP/Julien de Rosa
Depardieu wegen sexueller Gewalt verurteilt: Auch Nationalhelden dürfen nicht alles
Frankreich liebt sein Kino – und seine Stars. Doch künftig haben diese keine Narrenfreiheit mehr. Das ist gut so – auch wenn es die französische Gesellschaft und Politik zutiefst polarisiert.

Stand:
Gérard Depardieu war in Frankreich lange der Inbegriff des „monstre sacré“: Mit diesem Titel („heiliges Monster“) werden insbesondere Ausnahmeschauspieler geehrt, deren Talent und Aura außergewöhnlich sind. So außergewöhnlich, dass kaum jemand sie zu kritisieren wagt.
Ein „monstre sacré“ ist der 79-jährige Schauspieler schon lange nicht mehr. Er hat sich mit politischen Eskapaden und widerlichem Verhalten in den vergangenen Jahren selbst vom Sockel eines Nationalhelden geholt.
Die Verurteilung wegen sexueller Gewalt ist da eher ein Endpunkt in der Saga Depardieu – auch wenn noch andere Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung gegen ihn laufen.
Aber für die französische Gesellschaft, Politik und vor allem die Filmbranche ist es ein Paukenschlag. Auch Nationalhelden stehen nicht über dem Gesetz. Machtmissbrauch wird auch bei Genies nicht mehr toleriert.
Das ist gut und überfällig. Es ist der Verdienst vieler Frauen, die es zuletzt gewagt hatten, sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen durch französische Regisseure und Schauspieler anzuzeigen. Der Fall Depardieu ist nur einer davon.
Selbst Macron hatte sich eingemischt
Das Urteil ist aber auch ein Einschnitt in der gesellschaftlichen Debatte und eine Lektion für Politiker – bis hin zu Staatschef Emmanuel Macron.
Dieser hatte den von ihm bewunderten Schauspieler 2023 noch in Schutz genommen, nachdem immer weitere Vorwürfe sexueller Nötigung publik gemacht worden waren: Macron warnte vor einer „Hetzjagd“, pries das „Genie“ von Depardieus Kunst, auf das Frankreich „stolz“ sein könne.
Eine solche, selbst vorsichtige Einmischung der Exekutive in die Arbeit der Justiz war schon damals falsch.
Die Justiz hat ihre Arbeit getan und damit gleichzeitig ein Machtwort in einer gesellschaftlich-politischen Debatte gesprochen.
Andrea Nüsse zum Fall Depardieu
Sie liefert denjenigen Munition, die die angebliche Politisierung der Justiz beschreien. Derzeit sind das die Rechtsextremen um Marine Le Pen, die kürzlich wegen des Missbrauchs öffentlicher Gelder verurteilt wurde.
Kulturkampf in Frankreich
Auch in der französischen Gesellschaft und Filmbranche war das juristische Vorgehen gegen Depardieu umstritten. Petitionen für und gegen ihn machten die Runde.
Von „Lynchjustiz“ war die Rede und dass seine Kunst zunichtegemacht werden sollte. Catherine Deneuve sah die spezifisch französische Flirtkultur in Gefahr. Doch mit Flirt hat Depardieus Verhalten nichts zu tun. Hier ging es um sexuelle Übergriffe und Gewalt.
Wer die Dokumentation über Depardieus Besuch 2018 in Nordkorea gesehen hat, kann von der sexistischen Besessenheit, den anzüglichen Bemerkungen gegenüber der staatlichen Dolmetscherin oder den Kommentaren zu einem zehnjährigen reitenden Mädchen nur angewidert sein. Auch wenn das strafrechtlich nicht relevant sein sollte.
Ansonsten hatte Depardieu sich mit Urinieren mitten im Flugzeug oder seiner Freundschaft mit Diktatoren wie Wladimir Putin oder Alexander Lukaschenko schon selbst demontiert.
Die Justiz hat ihre Arbeit getan und damit gleichzeitig ein Machtwort in einer gesellschaftlich-politischen Debatte gesprochen. Manches Verhalten ist eben nicht verhandelbar, sondern kriminell. Hoffentlich wird die Arbeit der Justiz jetzt nicht von Depardieus Anhängern angegriffen.
Es gibt genug andere Themen, die sich anbieten: Kann und muss man zwischen Künstler und Mensch unterscheiden? Wie will man am Filmset sicherstellen, dass solche Taten nicht mehr vorkommen? Heute Abend werden die Filmfestspiele in Cannes eröffnet – der richtige Ort dafür.
Das Urteil erschüttert die französische Filmnation. Es ist aber auch der Ausgangspunkt dafür, dass die Verhältnisse sich hoffentlich ändern. Und Frankreich wieder stolz sein kann.
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