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„Die Masken sind gefallen, es gibt keine Illusionen mehr“: Internationale Medien kommentieren den Streit in Washington
Nach dem Zerwürfnis auf offener Bühne sind sich internationale Medien großteils einig: Wir erleben eine Abkehr der USA von Europa, die Zukunft der Ukraine ist unklar. Das sind die Pressestimmen im Überblick.
Stand:
Nach dem öffentlich ausgetragenen Zerwürfnis halten sowohl US-Präsident Donald Trump als auch sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj an ihren Standpunkten fest.
Der beispiellose Eklat bei ihrem Treffen im Weißen Haus könnte schwerwiegende Konsequenzen für die von Russland angegriffene Ukraine haben und die Hoffnung auf eine baldige Friedenslösung weiter schwinden lassen. Die Meinungen der internationalen Medien lesen Sie hier im Überblick:
„Kyiv Independent“ (Ukraine)
„Lassen Sie das sacken. Der Präsident einer kriegsgebeutelten Ukraine, ein Verbündeter der USA, ist zum ersten Staatsführer der Geschichte geworden, der aus dem Weißen Haus geworfen wurde. Kein Diktator, kein in Ungnade gefallener Politiker - der Präsident der Ukraine, eines Landes, das unter der schlimmsten Invasion des 21. Jahrhunderts leidet. Das Land, dem die US-Regierung geschworen hat, Frieden zu bringen.
In einem hässlichen Schlagabtausch haben der Präsident und sein Vizepräsident gemeinsam Selenskyj eine Rüge dafür erteilt, „nicht dankbar“ genug zu sein für die Hilfe zugunsten der Ukraine. (...) Aber es scheint, dass Dankbarkeit gegenüber dem amerikanischen Volk gar nicht das ist, worauf Trump und Vance aus waren. Sie wollten, dass er um Gnade winselt und vor Trump auf die Knie fällt. Den Ring küsst.“
„Corriere della Sera“ (Italien)
„Diese Runde hat nur einen Gewinner: Putin. Der verbale Schlagabtausch und die „Entlassung“ von Selenskyj aus dem Weißen Haus. Der gescheiterte Mineralien-Deal. Die Absage der Pressekonferenz. Es hätte nicht schlimmer kommen können. Die Ukraine läuft Gefahr, ihren wichtigsten, unersetzlichen Verbündeten zu verlieren. Europa sieht seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden: Allianzen sind für Trump austauschbar. Nachdem er Kiew seinem Schicksal überlassen hat, ist nun die atlantische Achse an der Reihe?
Selenskyj ist kein Heiliger, er hat Fehler gemacht. Jedes Land hat das Recht zu hinterfragen, ob er die Hilfsgelder gut ausgegeben hat. Aber Trumps Umgang mit ihm ist betäubend, nicht zuletzt, weil er nach einer Prozession europäischer Staats- und Regierungschefs ins Weiße Haus kam. Sie alle flehten Trump an, der Ukraine eine Sicherheitsgarantie zu geben, und versuchten auf verschiedene Weise, ihn an die NATO zu binden. Das Ergebnis ihrer Bitten ist, nach dem großen Finale vom Freitag zu urteilen, ein Fiasko für die Ukraine.“
„El País“ (Spanien)
„Der Schlagabtausch von Wolodymyr Selenskyj mit Donald Trump und J. D. Vance im Oval Office des Weißen Hauses, live und vor Journalisten, ist das beeindruckende Symbol für das Ende einer Ära. Es handelt sich um die brutale Bestätigung des abrupten Kurswechsels der USA, sowohl inhaltlich als auch in der Form, im Vergleich zu den vergangenen 80 Jahren.
Die Bedeutung ist klar. Wir erleben nicht nur eine amerikanische Abkehr von Europa, eine Kluft bei den Interessen und Werten. Die Europäer sind mit der Bereitschaft der USA konfrontiert, uns im Einvernehmen mit anderen imperialistischen Mächten großen Schaden zuzufügen. (...) Es ist eine willkürliche imperialistische Macht, die Unterwerfung, Huldigung und die Akzeptanz ausbeuterischer Praktiken fordert. Eine, die mit Russland, Weißrussland und Nordkorea in der UNO stimmt. Das ist es, was hinter dem Austausch im Oval Office steckt.“
„Gazeta Wyborcza“ (Polen)
„(US-Präsident Donald) Trump hat verloren, weil er den Streit beim Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten überhaupt zugelassen hat. Er hat gezeigt, dass er entgegen seinen Versprechen nicht in der Lage ist, Frieden zu schaffen. Nicht in einem Monat, nicht in sechs Monaten, sondern überhaupt nicht.
Ein Vermittler muss fair und unparteiisch sein. Trump und sein Vize J.D. Vance haben sich im Oval Office nicht wie Staatsmänner, sondern wie Mafiabosse verhalten. Sie waren nur daran interessiert, die ukrainischen Ressourcen zu plündern. Wie unterscheidet sich dies - eher in der allgemeinen Philosophie als in der Praxis - vom russischen Vorgehen gegenüber der Ukraine? Es ist klar, auf wessen Seite der US-Präsident steht. Die Masken sind gefallen, es gibt keine Illusionen mehr.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde zum Helden der zivilisierten Welt, als er vor drei Jahren in Kiew blieb, obwohl die russischen Truppen sich näherten. In der Zwischenzeit ist sein Stern verblasst. Indem er jetzt der US-Mafia die Stirn bot, ist er erneut zum Helden geworden.“
„The Telegraph“ (Großbritannien)
„Das westliche Bündnis scheint auf der Kippe zu stehen. Was eigentlich eine Versöhnung zwischen Präsident Donald Trump, Vizepräsident J.D. Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hätte sein sollen, endete in einem heftigen Wortwechsel im Oval Office, bei dem die Amerikaner Selenskyj vor der Weltöffentlichkeit beschimpften. Es war eine erschreckende Szene, die jeden in Großbritannien und Europa beunruhigt haben dürfte, der um die Sicherheit des Kontinents besorgt ist.
Eine derartige Zurschaustellung von Aggression durch das Weiße Haus gegenüber einem westlich orientierten Staatsoberhaupt, geschweige denn gegenüber einem Verbündeten, der sich in einem existenziellen militärischen Kampf befindet, ist beispiellos. Trump und Vance waren zweifellos im Unrecht - sachlich, geopolitisch und moralisch. Die Art und Weise, wie sie ihre Argumente vortrugen, hat die Brüche in der westlichen Koalition deutlich gemacht und Wladimir Putin einen Propagandasieg beschert.“
„De Telegraaf“ (Niederlande)
„Der ukrainische Präsident war ungewöhnlich konfrontativ und erklärte den Amerikanern, dass sie Moskau zu viel Vertrauen schenken würden und Präsident Wladimir Putin seine Versprechen schon oft gebrochen habe. Die Kritik kam schlecht an. Trump drohte sogar damit, sich ganz aus dem Friedensdialog zurückzuziehen. (...)
Wolodymyr Selenskyj macht mit seiner Haltung und seinen Vorwürfen offenbar mehr kaputt, als der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang der Woche aufzubauen versucht haben. Es ist unklar, welche Folgen dieses Gezeter für die Sicherheitsgarantien haben wird, die die Ukraine zu erhalten hofft.“
„Washington Post“ (USA)
Die „Washington Post“ schrieb in einem Kommentar: „Donald Trump klang am Freitag eher wie Don Corleone (der Mafia-Boss aus „Der Pate“) als wie ein US-amerikanischer Präsident. (...) Verbündete weniger freundlich zu behandeln als Gegner, zeugt von Naivität gegenüber der Bedrohung, die ein revanchistisches Russland für die westliche Welt, einschließlich der Nato, darstellt. (...) Trump verhält sich so, als sei er eher auf der Seite des autoritären Aggressors als auf der Seite des demokratischen Opfers. (...)
Bedauerlicherweise nahm Selenskyj den Köder auf und wurde energisch. (...) Dennoch hat Selenskyj recht, dass Amerika es bereuen könnte, die Waage zu Putins Gunsten geneigt zu haben. Wie gut gemeint sein Diskutieren auch gewesen sein mag, hat es aber seine Verhandlungsposition untergraben.
Trump seinerseits sollte das große Ganze erkennen. Wenn er den Dritten Weltkrieg vermeiden will, sollte er die Lektionen des Zweiten Weltkriegs beherzigen. Diktatoren zu beschwichtigen, funktioniert nicht. (...) Der US-Präsident sollte versuchen, Putin gegenüber so unhöflich zu sein, wie er es am Freitag gegenüber Selenskyj war.“
„Wall Street Journal“ (USA)
Das konservative „Wall Street Journal“ titelte einen Kommentar mit „Putin gewinnt das Trump-Selenskyj Spektakel im Oval Office“. Darin heißt es:
„Warum hat der Vizepräsident versucht, einen öffentlichen Streit zu provozieren? (...) Vance tadelte Selenskyj, als wäre er ein Kind, das zu spät zum Essen kommt. (...) Dies war nicht das Verhalten eines Möchtegern-Staatsmannes.
Selenskyj wäre klüger gewesen, die Spannungen zu entschärfen, indem er sich erneut bei den USA bedankt und sich Trump unterordnet. Es hat wenig Sinn, vor Trump die Überlieferung zu korrigieren, wenn man ihn gleichzeitig um Hilfe bittet. Aber wie schon den Krieg hat Selenskyj diesen Austausch im Oval Office nicht begonnen. Sollte er eine ausgedehnte öffentliche Verunglimpfung des ukrainischen Volkes dulden, das seit drei Jahren einen Krieg ums Überleben führt? (...)
In Sachen Ukraine ist es im Interesse der USA, das imperiale Projekt Putins zu stoppen, ein verlorenes Sowjetimperium wieder aufzubauen, ohne dass US-Soldaten jemals einen Schuss abfeuern müssen. Dieses Kerninteresse hat sich nicht geändert, aber die Ukraine vor der ganzen Welt zu maßregeln, wird es schwieriger machen, es zu erreichen.“
„New York Times“ (USA)
Die „New York Times“ titelte einen Bericht: „Trump maßregelt Selenskyj in feurigem Austausch im Weißen Haus“. Die Zeitung schrieb:
„Die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur Ukraine entluden sich am Freitag in einem Sturm der Bitterkeit, als Präsident Trump und Vizepräsident J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenski in einem explosiven, im Fernsehen übertragenen Schlagabtausch im Oval Office maßregelten und einen Besuch, der der Koordinierung eines Friedensplans dienen sollte, abrupt abbrachen.
In einer feurigen öffentlichen Konfrontation, wie es sie zwischen einem US-amerikanischen Präsidenten und einem ausländischen Staatsoberhaupt in der Neuzeit noch nie gegeben hat, geißelten Trump und Vance Selenskyj dafür, dass er für die Unterstützung der USA im Krieg der Ukraine mit Russland nicht dankbar genug sei, und versuchten, ihn zu einem Friedensabkommen zu den von den Amerikanern diktierten Bedingungen zu zwingen.“
Fox News (USA)
In einem Bericht des Trump-nahen Nachrichtensenders Fox News hieß es: „Die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kamen am Freitag jäh zum Erliegen, nachdem sich bei einem Treffen zwischen Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office der Zorn entlud.
Die Welt fragt sich nun, wie es mit den Verhandlungen weitergeht und ob die beiden Staatsoberhäupter ihre Beziehungen so weit verbessern können, dass die USA den Frieden vermitteln können. Einige sagen, Europa müsse sich einschalten, um die Feindseligkeiten zu beenden, während andere meinen, Selenskyj müsse entweder Schadensbegrenzung betreiben oder zurücktreten.“
„NZZ“ (Schweiz)
„Trumps Tiraden führten den Europäern nun nochmals deutlich vor Augen, wo der amerikanische Präsident und seine Regierung wirklich stehen. Offenkundig hegt Trump mehr Sympathien für den russischen Diktator und seine Geschichtsklitterung als für eine unabhängige Ukraine.
Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit ist er mit dieser Weltsicht nicht mehr alleine im Weißen Haus. Vizepräsident Vance hat bereits früher erwähnt, dass ihm das Schicksal der Ukraine egal sei. Wenn die Europäer wirklich einen stabilen Frieden in der Ukraine wollen, müssen sie vermutlich selbst die Führungsrolle übernehmen, ohne auf eine amerikanische „Rückversicherung“ hoffen zu können.
Bereits vor der Eskalation im Oval Office schien klar, dass Trump in den Verhandlungen eine zweifelhafte Strategie verfolgt. Während er der Ukraine das Messer an den Hals setzte, hat er von Russland bisher keinerlei Konzessionen für einen Frieden gefordert.“ (Mit dpa und AFP)
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