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Nach 24 Jahren endet Assads brutale Diktatur

© AFP/OMAR HAJ KADOUR

Ende des Assad-Regimes: Die Menschen in Syrien schreiben Geschichte

Wer hätte das zu hoffen gewagt: Nach nur wenigen Tagen bricht das Regime zusammen. Das haben die Syrer aus eigener Kraft geschafft. Chancen und Risiken liegen nun gleichauf.

Christian Böhme
Ein Kommentar von Christian Böhme

Stand:

Unfassbar! Spektakulär! Sensationell! Wahnsinn! Das sind die ersten Worte, die einem in den Sinn kommen, wenn es um die sich überschlagenden Ereignisse in Syrien geht. Sie machen einfach nur staunend.

Baschar al Assads Macht ist gebrochen. Und das in atemberaubendem Tempo. Am 27. November begannen die Rebellen unter Führung der Islamisten-Miliz Haiat Tahrir al Scham ihre Großoffensive. Sie glich einem Blitzfeldzug, der auf so gut wie keinen Widerstand traf.

Jeden Tag brachten die Aufständischen mehr Gebiete unter ihre Kontrolle. Andere Oppositionskräfte beteiligten sich am Kampf – so, als hätten sie nur auf diese Gelegenheit gewartet. Und Assads ohnehin desolate Truppen zogen es vor, möglichst schnell das Weite zu suchen.

Was ein verheerender Bürgerkrieg von bald 14 Jahren mit 500.000 Toten und Millionen Geflüchteten nicht schaffte, gelang den Regime-Gegnern jetzt in gerade einmal zwölf Tagen: der Sturz des verhassten Diktators in einem Akt der Befreiung.

Assads Herrschaft war eine Zeit des Grauens und der brutalen Unterdrückung. Eine Epoche, die Verzweiflung, Not und Tod über Syrien gebracht hat.

Der 8. Dezember ist für Syrien ein Tag der Befreiung.

© AFP/LOUAI BESHARA

Schon sein Vater Hafez hatte das Land despotisch geführt. Nun endet mit dem Einmarsch der Aufständischen in Damaskus diese finstere, mehr als ein halbes Jahrhundert währende Herrschaft eines Familienclans und ihrer Schergen in Polizei, Militär und Politik.

Wahrlich ein Grund zur Freude

Es ist ein Tag des Glücks und großer Freude für ein geschundenes Land. Nicht zuletzt für Tausende politische Gefangene, die in Assads Folterkellern misshandelt wurden. Für sie beginnt nach all den Qualen ein neues Leben. Und nicht zu vergessen: Es ist ein Tag der Machtübernahme, die bisher friedlich verläuft. Das macht ein wenig Hoffnung.

All das haben die Syrerinnen und Syrer allein aus eigener Kraft geschafft! Sie dürfen sich völlig zu Recht stolz als Menschen fühlen, die Geschichte geschrieben haben – und das völlig auf sich allein gestellt.

Denn auf den Westen, von dem sich das syrische Volk immer wieder Hilfe für ihre Revolte gegen den Machthaber erhoffte, war trotz wohlmeinender Worte kein Verlass. Im Gegenteil. Man hat die Menschen in dem arabischen Land ihrem Schicksal überlassen und sie so im Stich gelassen.

05.12.2024

Doch was jetzt aus Syrien wird, ist völlig unklar. Kommt ein islamistischer Gottesstaat? Zerfällt das Land in verschiedene Einflusszonen, wie es schon jetzt der Fall ist?

Es ist ein unübersichtlicher Moment

Oder wird es ein Land, in dem das Volk selbst bestimmt, was ihm wichtig ist? Das sich von den Gängelungen ausländischer Mächte befreit?

Mohammad al Dscholani, Anführer der Islamisten-MIliz HTS, ist Syriens neuer starker Mann.

© AFP/OMAR HAJ KADOUR

So hat es Mohammad al Dscholani, Chef der Dschihadisten-Miliz HTS, versprochen. Doch ob er sich an seine Worte hält, kann niemand in diesem unübersichtlichen Moment des Umsturzes voraussagen.

Sicher ist allerdings: Der erfolgreiche Aufstand gegen Assad bedeutet einen epochalen Einschnitt für den Nahen Osten. Die Machtverhältnisse in der Region dürften sich neu sortieren.

Russland und der Iran sind die großen Verlierer

Ein Verlierer steht mit dem Iran schon fest. Teheran büßt ganz sicher seinen fatalen Einfluss auf Syrien ein. Die Mullahs – stets bemüht, Unruhe zu stiften, um ihre eigene Macht auszubauen – verlieren einen wichtigen Außenposten.

Denn ihre „Achse des Widerstands“ gegen Israel, die USA und den Westen hat mit Syrien ein wichtiges Mitglied eingebüßt. Der Iran wirkt geschwächt wie selten zuvor – eine gute Nachricht für den Nahen Osten.

Auch Russlands machtpolitische Ambitionen haben einen Dämpfer erhalten. Syrien war für Wladimir Putin immer ein zentrales Element, um im Nahen Osten mitreden zu können. Zudem sicherte Moskau die Präsenz des russischen Militärs in Assads Reich einen direkten Zugang zum Mittelmeer.

Darum muss Russland jetzt bangen. Das darf den Westen freuen. Weil es nicht zuletzt zeigt, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine offenkundig eine Menge Ressourcen in Putins Russland bindet.

Doch all diese Fragen dürften die Menschen in Syrien im Moment ihres Triumphs über den Schlächter Assad kaum interessieren. Sie feiern sich und ihren Erfolg. Recht so. Es ist ein historischer Moment.

Den darf der Westen nicht verstreichen lassen. Er muss jetzt endlich die Zeit der Untätigkeit beenden. Aus Eigeninteresse. Und weil Syrien eine bessere Zukunft verdient hat.

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