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Rettungskräfte in Süditalien

© dpa/AP/Giuseppe Pipita

Update

Dutzende Tote und Vermisste: Was bei dem Schiffbruch in Süditalien geschah

Vor Kalabrien ist erneut ein Schiff verunglückt. An Bord: Geflüchtete aus Iran, Afghanistan und Pakistan. Unter den geborgenen Leichen sind auch kleine Kinder.

| Update:

Wieder hat eine Flucht übers Mittelmeer Dutzende Menschen das Leben gekostet. Ihr Boot wurde vom Sturm, der in der Nacht zum Sonntag über Italien zog, offenbar gegen die Klippen der kalabrischen Küste geschleudert und zerbrach. Am frühen Sonntagmorgen wurden in Steccato di Cutro, 20 Kilometer entfernt von Crotone, die Leichen von etwa vierzig Menschen an Land gespült, weitere wurden aus dem Meer geborgen.

Sie befanden sich nach Aussagen ihrer überlebenden Leidensgenoss:innen auf einem alten Fischkutter, der sie aus der Türkei nach Europa bringen sollte. Demnach war das Schiff mit insgesamt 180 Passagieren aufgebrochen, die meisten aus dem Iran, Afghanistan und Pakistan. Zeitweise war auch die Rede von bis zu 250 Menschen auf dem Schiff.

Bis zum Abend stand fest, dass 80 Menschen überlebt haben. Sie hatten sich teils aus eigener Kraft ans Ufer retten können. Nach weiteren Überlebenden suchen die italienischen Einsatzkräfte weiter. 

Platz für 280 Menschen

Wie Rekonstruktionen der italienischen Behörden ergaben, ereignete sich das Unglück nur 100 Meter vom Festland entfernt. Durch die hohen Wellen kenterte das Boot und wurde dann gegen die Klippen getrieben.

Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex hatte zuvor Alarm abgesetzt, nachdem sie gegen 22.30 Uhr am Samstag das Boot in internationalen Gewässern entdeckte. Daraufhin war die Küstenwache ausgelaufen, konnte sich aber wegen bis zu vier Meter hoher Wellen nicht ausreichend nähern. Berichten vom Nachmittag zufolge bot das in der Türkei gebaute Boot Platz für 280 Menschen. Wie viele tatsächlich mit ihm Richtung Italien starteten, ist weiter unbekannt.

Das Wrack eines gekenterten Bootes am Strand bei Cutro.
Das Wrack eines gekenterten Bootes am Strand bei Cutro.

© picture alliance/dpa/AP

Die Suche wird durch anhaltend regnerisches und stürmisches Wetter erschwert. Bis zum Abend zählten die Behörden 59 Tote etwa gleich viele Männer und Frauen und 13 Kinder, darunter eines, das erst wenige Monate alt war. Offenbar konnten die Schiffbrüchigen nicht rechtzeitig Hilfe anfordern, bevor ihr Boot an der Küste zerschellte. Ein Fischer, der die Stelle gegen fünf Uhr morgens passierte, sah Medienberichten zufolge vom Schiff nur noch Trümmer und Holzplanken.

Das neuerliche Unglück ereignet sich wenige Tage, nachdem Italiens Rechtsregierung ihr auch in Brüssel umstrittenes neues Gesetz zur Seenotrettung durchs Parlament gebracht hat. Anders als vor Jahren sein Amtsvorgänger und Parteifreund Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega sieht das Gesetz von Innenminister Matteo Piantedosi keine komplette Sperrung der italienischen Häfen mehr für Nichtregierungsorganisationen vor, die Schiffbrüchige aus dem Meer retten.

13 067 
Migrant:innen sind seit Jahresbeginn übers Mittelmeer nach Italien gekommen.

Es weist ihnen aber statt des nächsten Hafens, wie vom Seerecht vorgeschrieben, teils weit entfernte Häfen im Norden Italiens zu und begrenzt damit ihre Möglichkeiten, bald wieder auszulaufen. Außerdem ist ihnen nur eine einzige Rettungsaktion pro Einsatz erlaubt. Andernfalls drohen hohe Strafen.

Zugleich sind die Seenotretter weiter jurisistischer Verfolgung ausgesetzt: Erst in dieser Woche wurde die „Geo Barents“ festgesetzt, das Schiff der Organisation Ärzte ohne Grenzen, weil die Crew den Behörden zufolge die Daten ihrer Blackbox nicht aufbewahrt hatte.

Eine schreckliche Tragödie, die zeigt, dass wir unbedingt und mit aller Härte der illegalen Einwanderung entgegentreten müssen.

Matteo Piantedosi, italienischer Innenminister

Trotz der Behinderung der NGOs – denen die Regierung vorwirft, die Boat People erst zur riskanten Reise zu ermutigen – ist die Flucht übers Mittelmeer weitergegangen. Hunderte erreichten Italiens Küsten selbst in den letzten noch winterlichen und daher besonders gefährlichen Wochen ohne jede Hilfe von Rettungsschiffen.

„Aufforderung zum Ertrinkenlassen“

Nach Angaben des italienischen Innenministeriums kamen bis zum vergangenen Wochenende 13 067 Migranten auf dem Seeweg ins Land. Das sind mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des letzten Jahres, als man 5273 zählte.

Dabei gilt die Route durchs zentrale Mittelmeer als die gefährlichste überhaupt. Die Internationale Organisation für Migration (IOM), die den Vereinten Nationen untersteht, rechnet mit mehr als 25 000 Menschen, die seit 2014 – dem Beginn der Aufzeichnungen – beim Versuch ums Leben kamen, übers Mittelmeer Europa zu erreichen. Erst vor zehn Tagen war ein Boot 75 Kilometer vor der libyschen Küste untergegangen. Zehn Tote wurden gefunden, mehr als 70 werden vermisst. Auch sie waren vermutlich auf dem Weg nach Italien.

Innenminister Piantedosi drückte in einer ersten Stellungnahme genau wie Premierministerin Giorgia Meloni „tiefen Schmerz“ über die „schreckliche Tragödie“. Sie zeige aber, so fügte er hinzu, „dass wir unbedingt und mit aller Härte der illegalen Einwanderung entgegentreten müssen“.  Bei einer Pressekonferenz am Abend legte er nach: In der komplexen Situation der Migration übers Mittelmeer sei nur so viel klar: „Der Start muss verhindert werden.“ Dies sei eine „ethische Botschaft“, so Piantedosi: „Sie dürfen nicht ablegen.“

Die deutsche Organistion Sea Watch, die sich in der Rettung schiffbrüchiger Migrant:innen im Mittelmeer engagiert, hatte Piantedosis neue Vorschriften – die als Dekret bereits im Dezember in Kraft traten – seinerzeit als „Aufforderung zum Ertrinkenlassen“ angegriffen.

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