zum Hauptinhalt
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong.

© Foto: IMAGO/SNA

Europa muss neue Allianzen schmieden : Nicht nur auf den Preis schauen

Europa muss in der Energie- und Handelspolitik seine Sicherheitsinteressen konsequenter berücksichtigen. Und Kooperation mit Demokratien ausbauen.

Veronika Grimm
Ein Gastbeitrag von Veronika Grimm

Stand:

Seit dem Ende des Kalten Kriegs erschien es vielen unvorstellbar, dass Krieg und Gewalt mitten in Europa wieder Realität werden könnten. Dann aber hat der russische Angriff auf die Ukraine Deutschland wachgerüttelt.

Die Bundesregierung verringerte in Rekordzeit die Energieabhängigkeit von Russland und schuf ein kreditfinanziertes Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr. Das kann aber erst der Anfang sein.

Um Europas Handlungsfähigkeit in einer zusehends unsichereren Welt zu stärken, stehen wir vor der Aufgabe, unsere Energie- Klima-, Sicherheits- und Handelspolitik stärker zu verschränken.

Kritische Abhängigkeiten, die im Zuge der Globalisierung durch den Vorrang der Kosteneffizienz von Wertschöpfungsketten entstanden sind, gilt es schnell abzubauen – was aber nicht mit einer weitgehenden Entkopplung von „unfreundlichen“ Staaten einhergehen sollte. Denn die zunehmende Bedeutung globaler öffentlicher Güter wie Klimaschutz und Gesundheit erfordert es, die internationale Kooperation nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Eine herausfordernde Gratwanderung.

Allianzen mit Demokratien statt Abhängigkeiten von Autokratien

Studien zeigen, dass der größte Anteil der nach Europa importierten Waren mit geringen oder keinen Substitutionsmöglichkeiten aus China stammt. Oft sind es Produkte aus dem Technologie- und Gesundheitsbereich. Die EU versucht im Rahmen der „Important Projects of Common European Interest“ bereits, eigene Kapazitäten aufzubauen, um sich aus Abhängigkeiten zu lösen – etwa durch die europäische Cloud-Infrastruktur, die Batteriezellfertigung und bei der Wasserstofftechnologie.

Deutschland braucht in der stärker machtorientierten Weltordnung ein neues Mindset.

Veronika Grimm

Weitere Abhängigkeiten gibt es bei kritischen Rohstoffen, die für zahlreiche Schlüsseltechnologien und für die Energiewende unverzichtbar sind. China, das über große Mengen solcher Rohstoffe verfügt, hat sich eine dominante Weltmarktstellung erarbeitet – vor allem durch die Integration von Wertschöpfungsketten und seine Subventionspolitik, die die Preise am Weltmarkt soweit sinken ließ, dass der Abbau von Vorkommen an anderen Standorten unwirtschaftlich wurde.  

Missbrauchen Drittstaaten Subventionen, um gezielt Abhängigkeiten zu erzeugen, sollten Deutschland und die EU staatliche Instrumente einsetzen. Strategische Allianzen mit demokratischen Ländern können zum Aufbau neuer Lieferketten und zur Verringerung alter Abhängigkeiten beitragen. Um die Lieferketten zu diversifizieren, sollte man darüber hinaus beispielsweise auf Garantien für Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen setzen.

Besonders wichtig ist es, neue Abhängigkeiten bei der Transformation zur Klimaneutralität zu vermeiden. Lässt man allein den Preis entscheiden, werden wir in 20 Jahren wieder abhängig sein – nur von anderen Autokratien, etwa auf der Arabischen Halbinsel. Dort bereiten sich die Anbieter fossiler Energien auf den Export von grünem Wasserstoff vor. Infrastrukturen dafür gibt es bereits.

Die Erfahrung zeigt, wie schwer es ist, sich aus Abhängigkeiten wieder zu lösen. Deshalb müssen wir jetzt so schnell wie möglich die Chance nutzen, mit Ländern wie Australien, Namibia, Kanada oder Chile ins Geschäft zu kommen, die ebenfalls gute Voraussetzungen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff haben.

Europa muss auch eigene Kapazitäten ausbauen

Die Initiative muss von Europa ausgehen. Der Aufbau neuer Energiehandelsbeziehungen eröffnet uns auch die Chance, beim Bezug von weiteren Rohstoffen unabhängiger zu werden. Nicht zuletzt muss Europa in vielen Bereichen aber auch stärker eigene Kapazitäten aufbauen.

Ein mit Lithium durchsetztes Stück Erz hält der sächsische Wirtschaftsminister in den Händen. In der Region Zinnwald will das Unternehmen Deutsche Lithium GmbH ein Bergwerk und eine Aufbereitungsanlage errichten.

© Foto: Robert Michael/dpa

So kann unsere Energieversorgung durch den ambitionierten Aufbau von Netzinfrastrukturen und Erzeugungskapazitäten unabhängiger von Importen werden. Auch bei kritischen Rohstoffen sollte sorgfältig abgewogen werden, in welchem Umfang eigene Förderung und Weiterverarbeitung möglich ist.

Dabei müssten zwar Akzeptanzprobleme überwunden und Umweltbelastungen in Kauf genommen werden. Gleichzeitig aber würden so noch größere Umweltschäden in Exportländern vermieden und die Technologieentwicklung vorangebracht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Beim Aufbau von Handelsbeziehungen und eigenen Infrastrukturen müssen sicherheitspolitische Aspekte stets sofort mitgedacht werden. Beteiligungen etwa von chinesischen Firmen an Infrastrukturen in Europa sollten nur möglich sein, wenn wir im Konfliktfall die Kontrolle nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich sicherstellen können.

Wir brauchen daher eine Sicherheitsstrategie inklusive reaktionsfähiger Instrumente. In den USA etwa ist das Office of Foreign Assets Control in der Lage, der Gefährdung von Sicherheitsinteressen schnell und effektiv mit Sanktionen entgegenzutreten.

Schnelligkeit und Effektivität sind allerdings mit deutschem Perfektionismus und der verbreiteten Risikoaversion kaum kompatibel. In der stärker machtorientierten Weltordnung brauchen wir ein neues Mindset.

Das lässt sich nicht erreichen, indem die Politik nur auf Stimmungen der Bevölkerung reagiert. Gestaltungswille und Führung der politischen Akteure muss zu einer Neuorientierung führen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })