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Tomoyuki Minomaki (r.), Präsident von Nihon Hidankyo

© dpa/Moe Sasaki

Friedensnobelpreis an Anti-Atom-Organisation: Die Auswahl ist überraschend – und doch klug

Eine Welt ohne Atomwaffen wünschen sich die Preisträger aus Japan. Das passt, wo doch aktuell viele Staaten nach diesen Waffen streben. Andere Preisträger hätten nicht gepasst.

Stephan-Andreas Casdorff
Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Die japanische Friedensorganisation Nihon Hidankyo wird in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Eine Ehre ist das – und eine Mahnung. Denn diese Organisation gibt dem Grauen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki ein Gesicht. Und das in Zeiten, in denen viele Staaten dieser Welt nach Kernwaffen streben, allen voran der Iran, aber auch andere, Nordkorea zum Beispiel.

Das sagt die Preisvergabe: Soll niemand denken, es wäre heute anders als im Zweiten Weltkrieg, sondern schlimmer, weil die Zerstörungskraft noch einmal gestiegen ist. Insofern ist die Wahl des Nobelpreiskomitees sehr zielgerichtet. Die Organisation wird ja dafür geehrt, dass sie die Welt frei machen will von Atomwaffen und ihr mit Zeitzeugen-Aussagen vor Augen führt, warum diese Bomben nie wieder fallen dürfen.

Wollen wir hoffen. Wie überraschend die Auswahl trotzdem ist, wird auch daran deutlich, dass das norwegische Nobelkomitee anfangs niemanden erreichen konnte, um der Organisation die hohe Auszeichnung mitzuteilen. Sie glaubte wohl selbst nicht daran.

Nun ist es angesichts des Krieges in Nahost, des Ukraine-Kriegs und vieler, vieler weiterer Konflikte auch nicht einfach gewesen, einen Preisträger auszuwählen, der – oder die – nicht gleich Anfeindungen ausgesetzt sein würde.

Es waren 286 Kandidatinnen und Kandidaten, 197 Persönlichkeiten und 89 Organisationen, weniger als in den Vorjahren, immerhin so viel weiß man. Wobei die Namen der Nominierten 50 Jahre lang offiziell geheim gehalten werden. Was übrigens sein Gutes hat, weil früher tatsächlich Hitler und Stalin darunter waren.

Apropos Iran: Im vergangenen Jahr war die inhaftierte Frauenrechtlerin Narges Mohammadi die Preisträgerin. Ihr Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen und für Menschenrechte ist längst nicht zu Ende. Das zeigt, dass der Preis zuweilen eher ein Augenmerk auf die Lage richtet, als dass er sie ändern könnte.

Vor dem Hintergrund wäre es dann auch ein angemessenes Zeichen gewesen, wenn das noble Gremium dieses Jahr keinen Preis vergeben hätte. Das fünfköpfige norwegische Komitee könnte das. Es ist in seiner Entscheidung vollkommen unabhängig. Kein Einfluss von außen kann es bestimmen, es darf sich ganz von seinen Einsichten leiten lassen.

Protokolliert wird nicht

Mehr noch: Die Entscheidungen müssen auch nicht gerechtfertigt werden, und wären sie vorher strittig gewesen. Protokolliert wird außerdem nicht. Das alles erhöht die Entscheidungsfreiheit.

Das Komitee nimmt in den der Vergabe folgenden Diskussionen auch nie Stellung zur Entscheidung. Und warum nicht? Weil ein Preis nicht zurückgenommen werden kann; die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Obwohl es immer wieder Gründe und Gelegenheiten für Empörung gab. Dass Mahatma Gandhi den Nobelpreis nie erhielt, dafür aber Henry Kissinger oder später Barack Obama, auch PLO-Chef Jassir Arafat – die Vergabe kann schnell zum Politikum werden. Im Positiven wie im Negativen. Willy Brandt, Nobelpreis 1971, ist so ein Fall.

Nach Maßgabe des Stifters Alfred Nobel soll der Preis an denjenigen vergeben werden, „der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat. Wer hat das schon?

Die Frage ist berechtigt, ob im Blick auf die Anforderungen aktuell irgendjemand so viel zum Frieden beigetragen hat, dass es nobelpreiswürdig wäre. Die Antwort lautet da schlicht: nein.

Deshalb kann man es mit Dan Smith, dem Friedensforscher, halten. Der hat vor kurzem erklärt: „Ich sehe so viel Konflikt, Feindseligkeit und Konfrontation in der Welt, dass ich mich frage, ob man den Preis in diesem Jahr nicht zurückhalten sollte.“

Am besten wär es womöglich gewesen. Aber die Auswahl des Nobel-Komitees jetzt hat ihre eigene Klugheit – sie geschah um des Friedens willen.

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