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Israels Premierminister Netanjahu

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Douglas Christian

Israel lässt UN-Hilfe nach Gaza: Netanjahu hat aus taktischen Gründen zugestimmt

Israels Premier verkündet eine begrenzte Kampfpause und lässt wieder mehr Hilfe für Gaza zu. Doch das kleine Entgegenkommen kommt nicht aus Einsicht, sondern ist kühl kalkuliert.

Christian Böhme
Ein Kommentar von Christian Böhme

Stand:

Benjamin Netanjahu würde es nie zugeben. Ein Politiker wie er macht schließlich keine Fehler. Das glaubt er zumindest von sich selbst.

Dass Israel jetzt einer humanitären Feuerpause im Gaza „auf Widerruf“ zugestimmt hat und internationale Hilfslieferungen wieder zulässt, ist aber ein erzwungenes Zugeständnis. Netanjahu hat der zeitweisen Unterbrechung der Gefechte aus taktischen Gründen zugestimmt – weil es für ihn von Tag zu Tag enger wurde.

Denn der Premier hat die Lage falsch eingeschätzt und in einer Art Selbsttäuschung – verstärkt durch die ihm eigene Überheblichkeit – geglaubt, mit seiner erbarmungslosen Kriegsführung im Küstenstreifen durchzukommen.

Ein kleiner Schritt der Hoffnung

Doch die Bilder ausgemergelter Menschen, die Hunger leiden, und die Berichte über Kinder, die unterernährt sterben, lassen sogar Donald Trump nicht kalt, der Netanjahu sonst sehr selten zurechtweist. Es musste etwas geschehen.

Die Kurskorrektur könnte sich als kleiner Schritt erweisen, der den Menschen in Gaza nach vielen Monaten des Leids und der Not ein wenig Hoffnung gibt. Ein Schwenk, der den Hunger womöglich etwas lindern wird. Einer, der die Intensität des Raketenbeschusses verringern möge.

Endlich ein wenig Hilfe für die Menschen in Gaza.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Majdi Fathi

Doch die jetzige Kampfpause ist noch lange keine Waffenruhe. Schon gar nicht eine, die das Wort „stabil“ verdienen würde. Genau das fordert die Weltöffentlichkeit berechtigterweise. Nicht nur sie stellt sich gegen Israel und seine Regierung, sondern auch die Protestbewegung zwischen Haifa und Beerscheva findet wieder mehr Zulauf.

Bomben und Blockaden

Zehntausende gehen auf die Straße, fordern ein Ende des Krieges und die Heimkehr der wenigen noch lebenden Geiseln. Denn sie sehen: Weder ist die Hamas endgültig zerstört, noch sind die Verschleppten auf dem Weg zurück zu ihren Familien. Beides hatte Netanjahu versprochen.

Dabei war von Anfang an klar, dass dies mithilfe von Bombardements und einer Blockade der Hilfslieferungen nicht zu erreichen ist.

Platz nehmen für ein Ende der Kämpfe in Gaza: Proteste gegen Netanjahu in Tel Aviv.

© IMAGO/Middle East Images/IMAGO/Ori Aviram

Den Terroristen der Hamas ist so nicht beizukommen. Ihre Guerillataktik bindet Israels Streitkräfte, ohne dass noch etwas dabei herausspringt. Militärisch ist nichts mehr zu gewinnen.

Noch fataler war die Entscheidung, eine dubiose US-Stiftung namens Gaza Humanitarian Foundation mit der Verteilung viel zu weniger Hilfslieferungen zu betrauen.

Netanjahu hat die Warnungen zur Seite gewischt, dass die Versorgung der Menschen in Gaza über eine ominöse Stiftung nicht funktionieren könne.

Christian Böhme

Experten warnten einhellig, dass die Versorgung der Menschen so nicht verlässlich funktionieren und die Verzweiflung kaum vorstellbare Dimensionen annehmen werde. Menschen müssten um ihre Leben fürchten. So ist es gekommen.

Von der Realität widerlegt

Netanjahu hat die Bedenken zur Seite gewischt. Den Kritikern vorgehalten, sie würden die Hamas stärken und den jüdischen Staat schwächen wollen. So lange, bis seine Haltung von der Realität widerlegt wurde.

Netanjahu wird dennoch versuchen, sein Verschulden wieder einmal in einen Erfolg umzumünzen. Auf jeden Fall verschafft ihm die Mini-Waffenruhe erst einmal Luft.

Das Schicksal der Palästinenser interessiert ihn nach wie vor herzlich wenig. Entscheidend ist für Israels Premier allein sein politisches Überleben.

Christian Böhme

Geschickt hat er die Unterbrechung der Kämpfe genau an dem Tag verkündet, mit dem die Sommerpause des israelischen Parlaments begann.

Seine rechtsextremen Koalitionspartner können ihm also nicht in die Parade fahren, womöglich sogar die Regierung scheitern lassen.

Aus dem Entgegenkommen einen Vorteil ziehen

Auch könnte Netanjahu bei Trump als seinem wichtigsten Verbündeten und in Teilen der Staatengemeinschaft punkten: Seht her, ich tue etwas! Doch mit plötzlich aufkeimendem Mitleid hat das nichts zu tun.

Das Schicksal der Palästinenser interessiert ihn nach wie vor herzlich wenig. Entscheidend ist für Israels Premier allein sein politisches Überleben.

Wer weiß: Vielleicht ist die jetzige Kampfpause am Ende der Beginn einer stabilen Waffenruhe, und die Geiseln kommen frei. Vielleicht steht Netanjahu in ein paar Wochen gar nicht mehr so schlecht da.

Dann wäre das jetzige Entgegenkommen für ihn verschmerzbar, weil daraus ein Vorteil erwächst. Niemand sollte das ausschließen. Denn es hieße, Netanjahu zu unterschätzen.

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