
© AFP/MEGHDAD MADADI
Israel und Iran beschießen sich : Droht im Nahen Osten ein großer Krieg?
Israels Streitkräfte gehen massiv gegen den Erzfeind Iran vor. Teheran reagiert mit Vergeltungsschlägen. Was die Lage so gefährlich macht – Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Stand:
Schwarze Rauchwolken quollen am Freitagmorgen aus der Atomanlage im iranischen Natans, Wohnhäuser in der Hauptstadt Teheran standen in Flammen.
Mit 200 Kampfflugzeugen hatte Israel den Erzfeind Iran angegriffen, Einrichtungen zur Urananreicherung zerstört und iranische Generäle getötet.
Die iranische Armee schlug mit einem Drohnenangriff auf Israel zurück und verübte am Freitagabend weitere Vergeltungsschläge. Hunderte Raketen wurden auf Israel abgefeuert, das zuvor seinerseits weitere Angriffswellen gestartet hatte. Am Abend meldete die Armee, die iranische Atomanlage in Isfahan getroffen zu haben.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte zuvor an, dass die Operation „Rising Lion“ – eine Anspielung auf ein Bibelzitat, wonach sich ein Volk erheben wird wie ein Löwe – mehrere Tage andauern werde.
Diese Entwicklungen dürften die Atomverhandlungen der USA mit dem Iran zumindest vorerst gestoppt haben. Mit der militärischen Konfrontation steht der Nahe Osten am Rande eines neuen, großen Krieges. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
1 Welche Ziele hat Israel angegriffen?
Die Jets bombardierten neben den Zielen in Natans einige Dutzend weitere Anlagen des iranischen Atomprogramms und des Militärs, wie Israels Armee mitteilte.
In den Wohnungen von Atomwissenschaftlern und hochrangigen Militärs schlugen ebenfalls Raketen ein. Auch ein Schwerwasser-Reaktor in Arak und die Anreicherungsanlage in Fordow seien angegriffen worden, sagt Analyst Arman Mahmoudian von der Universität Süd-Florida dem Tagesspiegel.
Zeitgleich habe Israel die iranischen Verteidigungsanlagen um die Nukleareinrichtungen zerstört oder beschädigt. Nach iranischen Angaben wurden auch Zivilisten getötet.
Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad im Iran unterstützten offenkundig den Angriff, indem sie Raketen und Drohnen in der Nähe von iranischen Luftverteidigungsanlagen in Stellung brachten und abfeuerten.
Schon im vergangenen Jahr hatte sich mit dem Mordanschlag auf den damaligen Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran gezeigt, wie stark der israelische Geheimdienst iranische Führungsstrukturen unterwandert hat.
Insgesamt ist der noch laufende israelische Angriff mit den Luftschlägen und der Mossad-Aktion die größte Offensive gegen den Erzfeind seit Jahrzehnten.
Israel habe offenbar auch das iranische Raketenprogramm unter Beschuss genommen, sagt Fabian Hinz, Research Fellow im Berliner Büro des britischen Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS).
Israel hat sich offenbar am erfolgreichen Vorgehen gegen die libanesische Hisbollah-Miliz orientiert: Enthauptungsschläge bei gleichzeitigen Attacken auf die strategischen Fähigkeiten des Gegners.
Fabian Hinz, Sicherheits- und Waffenexperte
Die gezielten Angriffe auf iranische Militärs vermittelten zudem den Eindruck, dass „Israel sich am erfolgreichen Vorgehen gegen die libanesische Hisbollah-Miliz orientiert hat: Enthauptungsschläge bei gleichzeitigen Attacken auf die strategischen Fähigkeiten des Gegners“.
Israel begründete den Angriff damit, dass der Iran genug Material zur Herstellung von 15 Atombomben angehäuft habe. Der Westen hat den Iran im Verdacht, Nuklearwaffen bauen zu wollen, was Teheran zurückweist.
Mit den Bombardements setzte sich Israel über Donald Trump hinweg, der den Atomstreit mit dem Iran auf dem Verhandlungsweg beilegen wollte.
Der US-Präsident rief am Freitag die Führung in Teheran dazu auf, einen Deal rund um sein Atomprogramm abzuschließen. Es habe bereits viel Tod und Zerstörung gegeben. Aber noch sei Zeit, dieses „Gemetzel“ zu beenden, schrieb der Republikaner auf seinem Sprachrohr „Truth Social“.
2 Wer sind die prominentesten Opfer auf iranischer Seite?
Unter den Opfern des israelischen Angriffs waren Hossein Salami, Kommandant der iranischen Revolutionsgarde, und der Generalstabschef der iranischen Armee, Mohammad Bagheri, sowie die Atomwissenschaftler Mohammad-Mehdi Tehranchi und Fereydoun Abbasi, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna. Drei Top-Generäle der Luftstreitkräfte kamen ebenfalls ums Leben.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Iranian Army Office
Getötet wurde auch Ali Shamkani, ein Sicherheitsberater von Regimechef Ali Chamenei, der auch bei den Atomverhandlungen mit den USA eine wichtige Rolle spielte.
Kritiker werfen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, Trumps Verhandlungen torpedieren zu wollen – Shamkanis Tod dürfte diese Kritik verstärken.
3 Wie reagiert die Führung in Teheran?
Revolutionsführer Chamenei kündigte eine „harsche Antwort“ auf den israelischen Angriff an. Der jüdische Staat habe für sich selbst „ein bitteres und schmerzhaftes Schicksal besiegelt“. Außenminister Abbas Araghici sprach von einer Kriegserklärung.
Der Iran attackierte am Freitagmorgen israelische Städte mit Drohnen und Raketen. Diese wurden aber abgewehrt. Am Freitagabend startete der Iran dann einen großen Gegenschlag und feuerte hunderte Raketen auf Israel ab.
Nahost-Experte Mahmoudian rechnete zuvor damit, dass der Iran zusätzliche Raketen einsetzen wird, um nach dem ersten Vergeltungsschlag potenzielle Schwächen in der israelischen Luftabwehr auszunutzen.
Diese Waffen könnten die Strecke vom Iran nach Israel innerhalb von nur zwölf Minuten zurücklegen. Auch Angriffe des Irans der pro-iranischer Milizen im Irak auf US-Einrichtungen im Nahen Osten sind möglich.

© dpa/Vahid Salemi
Militärfachmann Hinz ging auch davon aus, dass die iranischen Drohnen „wohl nur der Anfang“ waren. Die große Frage laute, welche Ziele Teheran angreifen werde. Unklar ist Hinz zufolge allerdings, was Teherans Raketen ausrichten können und wie gut Israels Abwehrmöglichkeiten sind.
4 Warum schlägt Israel gerade jetzt zu?
Für Benjamin Netanjahu gibt es keine Zweifel: Der Iran stand ganz kurz davor, in den Besitz von Atombomben zu gelangen. „Heute weigert sich der jüdische Staat, Opfer eines nuklearen Holocaust zu werden“, sagte der israelische Premier in einer Videoansprache, die am Freitag in den frühen Morgenstunden ausgestrahlt wurde.

© dpa/Xinhua
Deshalb sei es dringend geboten gewesen, die Islamische Republik anzugreifen. Nuklearanlagen, Armeestellungen, Raketenabschussbasen, hochrangige Wissenschaftler und Kommandeure – sie alle waren Ziele des massiven Militärschlags.
Nur: Warum hat Netanjahu gerade jetzt den Befehl zum Angriff gegeben? Nach Ansicht von Simon Wolfgang Fuchs gibt es dafür mehrere Gründe.
„Israel hat immer mit den Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran gehadert, stand dem Wunsch Trumps nach einer friedlichen Lösung skeptisch gegenüber“, sagt der Professor für Nahost-Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Hinzu kommt nach Fuchs’ Einschätzung, dass Israel der Überzeugung gewesen ist, dass nur sehr wenig Zeit bleibe, um noch eine nukleare Bewaffnung des Irans zu verhindern.
Zupass sei dem jüdischen Staat dabei gekommen, dass das Regime nach israelischen Angriffen vom vergangenen Oktober als militärisch geschwächt gilt. Beobachter hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass die iranische Luftabwehr von Israel dabei weitgehend ausgeschaltet worden war.
Ein Bruch der Regierungskoalition ist erst einmal vom Tisch. Die gesamte Nation ist wieder geeint.
Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahost-Studien
Auch Verbündete wie die Hisbollah – ebenfalls nach israelischen Attacken kaum handlungsfähig – kommen als Unterstützer des Regimes in Teheran nicht mehr infrage. Die libanesische Schiitenmiliz erklärte am Freitag, sie werde vorerst darauf verzichten, Israel anzugreifen.
Experte Fuchs macht zudem einen innenpolitischen Grund aus, warum Netanjahu die Zeit für einen Angriff gekommen sah. „Im Land sind die Rufe nach Neuwahlen in jüngster Zeit immer lauter geworden.“

© AFP/JACK GUEZ
Zudem habe ein Auseinanderbrechen der rechtsgerichteten Koalition gedroht. „Das ist jetzt angesichts der Konfrontation mit dem Iran erst einmal vom Tisch. Die gesamte Nation ist wieder geeint“, so Fuchs.
In israelischen Medien macht noch eine andere Erklärung die Runde. Womöglich war demnach der Krach in der Koalition nur ein Ablenkungsmanöver, um Teheran in die Irre zu führen.
Amit Segal, ein als gut informiert geltender Journalist vom Sender Kanal 12, verwies in diesem Zusammenhang auch auf Netanjahus Ankündigung, in die Ferien gehen zu wollen. Auch das könnte Teil eines Täuschungsversuchs gewesen sein.
5 Was bedeutet die Eskalation für Irans Regime?
Israels militärisches Vorgehen bringe Iran in eine prekäre Lage und konfrontiere das Regime mit gleich mehreren Dilemmata, glaubt David Jalilvand vom Beratungsunternehmen Orient Matters.
„Um sein Gesicht zu wahren und weitere israelische Attacken abzuschrecken, müsste Teheran eigentlich hart zurückschlagen.“ Doch ob das Regime dazu in der Lage ist, erscheint Jalilvand sehr fraglich.
Eine harsche Reaktion Irans würde darüber hinaus das Risiko einer regionalen Eskalation erheblich erhöhen – wobei Israel und die USA militärisch klar überlegen seien.
Ob das Regime durch den Krieg mit Israel in ernsthafte Bedrängnis geraten könnte, lässt sich noch nicht abschätzen. Die politische Opposition im Land dürfte zwar Hoffnung schöpfen. Doch die Führung um Revolutionsführer Chamenei hat bereits einige Krisen überstanden. Und: Der israelische Angriff könnte dazu führen, dass die Bevölkerung bis auf Weiteres zusammenhält.
6. Weshalb waren die USA nicht beteiligt?
Auch wenn er es anders darstellt: Für Trump ist Israels Offensive eine außenpolitische Schlappe. Der US-Präsident besteht zwar wie Netanjahu und andere westliche Politiker darauf, dass der Iran nicht in den Besitz einer Atomwaffe kommen dürfe.
Er wollte dieses Ziel jedoch mithilfe von Verhandlungen erreichen. Dennoch stellte sich der Präsident am Freitag hinter Israel und nannte das Vorgehen gegen den Iran „ausgezeichnet“. Er rief den Iran auf, einer Verhandlungslösung zuzustimmen und damit weitere Militärschläge zu vermeiden.
Kurzfristig könnte Israels Offensive die amerikanische Verhandlungsposition in den Gesprächen mit Teheran stärken, wenn Washington eine Eskalation verhindert.
Kristof Kleemann, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem
„Offiziell stellen die USA den Angriff als alleinige israelische Aktion dar, um Distanz zu wahren, diplomatisch flexibel zu bleiben und eine direkte Verwicklung in den Konflikt zu vermeiden“, sagt Kristof Kleemann, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. „Das zeigt den Balanceakt der US-Diplomatie: Israel militärisch zu unterstützen, ohne die Verhandlungen mit dem Iran oder die regionale Stabilität zu gefährden.“
7 Werden die USA und der Iran an den Atom-Gesprächen festhalten?
Kurzfristig könne Israels Offensive die amerikanische Verhandlungsposition in den Gesprächen mit Teheran stärken, weil zusätzlicher Druck auf den Iran aufgebaut werde, meint Kristof Kleemann von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Das gelte allerdings nur, „wenn Washington eine Eskalation verhindert und die Diplomatie am Leben hält“.

© Reuters/Kevin Mohatt
Auch Trump sprach am Freitag mit Blick auf die israelischen Luftschläge davon, dass die Hardliner in Teheran sich einer Verhandlungslösung bislang verweigert hätten. Jetzt würden sie dafür den Preis zahlen. Trump fügte aber hinzu: „Jetzt haben sie vielleicht eine zweite Chance!“ Mit anderen Worten: Der US-Präsident billigt die Angriffe, weil er hofft, dass Teheran noch einlenkt.
Das Regime hat sich dazu bislang nicht geäußert. Beobachter vermuten allerdings, dass die für Sonntag geplante Verhandlungsrunde im Oman nicht zustande kommt. Im Gegenteil.
David Jalilvand warnt: Der Iran habe Washington bereits für die jüngste Konfrontation mitverantwortlich gemacht hat. Deshalb könnten jetzt US-Ziele im Nahen und Mittleren Osten zu Zielen werden. Diese Gefahr ist Washington bewusst. So wurden bereits am Donnerstag Teile des Botschaftspersonals im Irak zum Verlassen des Landes aufgefordert.
8 Wird eine iranische Atombombe wahrscheinlicher?
Teheran dürfte nach Einschätzung von Experten zu dem Schluss kommen, dass Gespräche mit dem Westen nichts bringen. Bisher habe der Iran zwar das technische Know-how für eine Bombe gehabt, die politische Entscheidung für eine atomare Bewaffnung aber vermieden, sagt Arman Mahmoudian: „Heute ist es sehr gut möglich, dass diese Entscheidung entweder schon gefallen ist oder unmittelbar bevorsteht.“

© AFP/BEHROUZ MEHRI
Allerdings werde der Angriff vom Freitag den Weg zur Bombe erschweren, falls sich der Iran dazu entschließe: Erstens seien die Atomanlagen beschädigt, zweitens seien die Iraner nach der Schwächung ihrer Luftabwehr bis auf Weiteres nicht in der Lage, ihr Nuklearprogramm vor künftigen Militärschlägen zu schützen.
Auch China und Russland haben kein Interesse an einem nuklear bewaffneten Iran.
David Jalilvand, Orient Matters
Wird das Regime dennoch offen den Bau einer Atombombe anstreben? Auszuschließen sei das nicht, sagt auch David Jalilvand von Orient Matters. „Aber eine Kursänderung wäre politisch heikel.“ Zwar unterstützten China und Russland den Iran bislang bei den Atomgesprächen. „An einem nuklear bewaffneten Iran jedoch haben beide Staaten kein Interesse.“
9 Wie reagiert der Nahe Osten?
Arabische Staaten verurteilten den israelischen Angriff. Sie sehen den Iran zwar als Rivalen und unterstützen Versuche, Teheran an der Entwicklung an einer Atombombe zu hindern, befürchten aber, dass sich der Konflikt zu einem neuen Krieg in der Region ausweiten kann.
Die Eskalation könnte zudem den Export von Öl und Gas aus der Golfregion zu den Weltmärkten erschweren. Saudi-Arabien, ein enger Verbündeter der USA, warf Israel „blanke Aggression“ und einen Bruch des Völkerrechts vor.
Das Sultanat Oman, das die bisherigen Atomverhandlungen zwischen USA und Iran organisiert, rief die internationale Gemeinschaft auf, Israel zu stoppen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false