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Israels Oppositionsführer Jair Lapid.

© dpa/RONEN ZVULUN

Update

„Kabinett des Todes“: Israels Oppositionschef ruft zu Protest gegen Netanjahu auf – Generalstreik angekündigt

Sechs weitere Geiseln sind tot. Das israelische Militär hat ihre Leichen in einem unterirdischen Tunnel im Gebiet Rafah gefunden. Jair Lapid macht Netanjahus Regierung verantwortlich.

Stand:

Nach dem Fund der Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen hat der israelische Oppositionsführer Jair Lapid zu Protesten gegen Benjamin Netanjahus Regierung aufgerufen. „Netanjahu und das Kabinett des Todes haben beschlossen, die Geiseln nicht zu retten“, schrieb Lapid auf der Plattform X. Sie seien für den Tod der Geiseln verantwortlich.

Lapid rief „jeden Bürger, dessen Herz heute Morgen gebrochen ist“, zur Teilnahme an einer Demonstration in Tel Aviv um 19 Uhr Ortszeit (18 Uhr MESZ) auf.

Zudem hat der größte israelische Gewerkschaftsverband einen Generalstreik ausgerufen. Die in den Gazastreifen Verschleppten dürften nicht länger „im Stich gelassen“ werden, erklärte der Chef des Gewerkschaftsverbandes Histadrut, Arnon Bar David, am Sonntag.

„Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass nur unser Eingreifen die wachrütteln kann, die wachgerüttelt werden müssen“, erklärte Bar David mit Blick auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Dieser wird vorgeworfen, ein Abkommen mit der islamistischen Hamas über die Freilassung der Geiseln mit immer neuen Forderungen zu verhindern.

Ab Montagmorgen um sechs Uhr „wird die gesamte israelische Wirtschaft in einen vollständigen Streik treten“, schrieb der Gewerkschaftschef.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu selbst hat sich bei der Familie der getöteten Geisel Alexander Lobanov dafür entschuldigt, dass dieser nicht lebend gerettet wurde. Der Regierungschef wolle im Verlauf des Tages mit weiteren Familien sprechen, teilte sein Büro mit. „Der Ministerpräsident hat tiefes Bedauern ausgedrückt und sich bei seiner Familie dafür entschuldigt, dass es dem Staat Israel nicht gelungen ist, Alexander und die fünf weiteren Geiseln lebend zurückzubringen“, hieß es weiter in der Stellungnahme.

Die israelische Armee hatte in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens die Leichen von sechs Geiseln gefunden. Diese waren nach Militärangaben nur kurz zuvor von Hamas-Terroristen getötet worden. Ein Hamas-Sprecher sagte dagegen, sie seien durch israelisches Bombardement ums Leben gekommen.

Die deutsche Botschaft in Tel Aviv bestätigte der Nachrichtenagentur AFP, bei einer der Geiseln gebe es auch „einen familiären Deutschland-Bezug“. Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte an, mit der radikalislamischen Hamas „abzurechnen“. Alle sechs Opfer waren demnach beim Terrorüberfall der islamistischen Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres in den Gazastreifen entführt worden.

Bei den Geiseln im Alter zwischen 23 und 40 Jahren handelt es sich um Hersh Goldberg-Polin, Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Alexander Lobanov, Almog Sarusi und Ori Danino. Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Sonntag, ihre Leichen seien während der Kämpfe in Rafah gefunden worden. Goldberg-Polin besitzt neben der israelischen auch die US-Staatsbürgerschaft, Lobanov ist russisch-israelischer Doppelstaatler.

Geisel-Familien fordern Waffenruhe im Gazastreifen

Das Forum der Familien der Geiseln und Vermissten bekundete seine Trauer und forderte die israelische Regierung erneut zu einer Waffenruhe auf. „Ohne die Verzögerungen, die Sabotage und Ausreden wären die Menschen, von deren Tod wir heute Morgen erfahren haben, wahrscheinlich noch am Leben“, erklärte die Gruppe.

US-Präsident Joe Biden hatte bereits vor der Identifizierung der Toten durch die israelische Armee bekanntgegeben, dass der US-israelische Doppelstaatler Goldberg-Polin unter den Toten ist. Der 23-Jährige war beim Angriff am 7. Oktober aus dem südlichen Gazastreifen verschleppt worden waren. Rund 100 Geiseln sind noch in Gefangenschaft – Dutzende von ihnen sind nach Angaben des israelischen Militärs tot.

Die Eltern von Hersh Goldberg-Polin, auf dem Bildschirm zu sehen, sprechen während des Parteitags der US-Demokraten am 21. August.

© dpa/J. Scott Applewhite

Goldberg-Polins Eltern hatten kürzlich auf dem Demokraten-Parteitag in Chicago an das Schicksal ihres Sohns erinnert. „Unter den Geiseln sind acht amerikanische Staatsbürger und einer von ihnen ist unser einziger Sohn“, hatte Goldberg-Polins Mutter Rachel Goldberg in ihrer Rede gesagt, die mehrere Delegierte zu Tränen rührte.

Am Donnerstag hatte sich das Paar mit anderen Geisel-Angehörigen an der Grenze zum Gazastreifen versammelt. Die Angehörigen versuchten, die Geiseln im Gazastreifen mit lauten Lautsprecher-Durchsagen direkt zu erreichen. „Hersh, hier ist Mama“, wandte sich Goldberg-Polins Mutter an ihren Sohn. „Ich bete zu Gott, dass er dich zurückbringt. Jetzt sofort. Ich liebe dich, bleib stark.“

Vereinzelt konnten Geiseln von der israelischen Armee befreit werden – teils unter hohem Blutzoll für die palästinensische Zivilbevölkerung bei diesen Militäreinsätzen, für die Israel international in der Kritik steht. Wie viele der im Gazastreifen verbliebenen Geiseln noch am Leben sind, ist nicht bekannt.

Ob es zu einer weiteren Vereinbarung über eine Waffenruhe und Freilassung von Entführten kommen kann, ist offen. Seit geraumer Zeit führen die USA, Ägypten und Katar in Kairo Vermittlungsgespräche über ein Abkommen, das eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln vorsieht. Die Gespräche sind allerdings festgefahren. Israel und die Hamas verweigern direkte Verhandlungen mit der Gegenseite.

Hauptstreitpunkt ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett beschloss kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten. (dpa, AFP)

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