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Ein ukrainischer Soldat schießt auf russische Stellungen.

© dpa/David Allignon

„Keine großen Veränderungen an der Front“: Russlands Verluste steigen – während sich das Tempo verlangsamt hat

Die ukrainische Armee scheint die Kremltruppen mit einer verbesserten Taktik besser kontrollieren zu können. Die hohen Verluste seien für Russland aber kein Problem, sagen Experten.

Stand:

Seit November 2024 hat sich das Tempo des russischen Vormarsches in der Ukraine von Monat zu Monat verlangsamt. Das berichten der britische „Telegraph“ und die US-Denkfabrik „Institute for the Study of war“ übereinstimmend.

Demnach erobert Russland heute fünfmal weniger Territorium als noch vor fünf Monaten. Und das, obwohl die Verluste pro Quadratkilometer im Jahr 2025 im Vergleich zum letzten Jahr um das Drei- bis Fünffache gestiegen sein sollen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres hat Russland den Berichten zufolge rund 90.000 Soldaten verloren.

Dies sei insbesondere auf erfolgreiche lokale Gegenangriffe der ukrainischen Streitkräfte und die Verbesserung der ukrainischen Taktik beim Einsatz von Drohnen und Verteidigungssystemen zurückzuführen. Dies berichtet der „Telegraph“ unter Berufung auf Daten des britischen Geheimdienstes.

Russlands Offensive läuft seit Ende März

Gleichzeitig hat der Kreml die Hoffnung nicht aufgegeben, noch vor Beginn der Verhandlungen mit der Ukraine möglichst viel ukrainisches Territorium zurückzuerobern. Vor Kurzem hat er eine neue Offensive gestartet, um die Regionen Donezk, Luhansk und Teile von Cherson vollständig zu besetzen.

Ende März begannen die russischen Angriffe zuzunehmen, was jedoch nicht zu einem größeren Vorstoß führte. Das „Institute for the Study of War“ schätzt, dass die Kosten des russischen Vorstoßes den möglichen Nutzen weit übersteigen. Die Soldaten seien erschöpft und die Ausrüstung beschädigt, bevor sie überhaupt die Front erreicht.

Eine ukrainische Brigade in Donezk.

© REUTERS/ANATOLII STEPANOV

Nach Angaben von „Forbes Ukraine“ hat die russische Armee nicht nur mit hohen personellen Verlusten zu kämpfen. Allein im März verlor die Russische Föderation dreimal mehr Panzer und siebenmal mehr Artillerie als zuvor, um einen Quadratkilometer zu besetzen.

Wolodymyr Fesenko, Politologe und Vorstandsvorsitzender des Penta-Zentrums für angewandte politische Forschung, ist sich allerdings sicher, dass Russland auch ohne die Wiederbeschaffung verlorener militärischer Ausrüstung durch den Einsatz von Drohnen vorankommen wird. Seiner Meinung nach wird sich die russische Armee weiterhin auf menschliche Ressourcen verlassen können und ukrainische Stellungen mit kleinen mobilen Gruppen angreifen, sagt er dem Tagesspiegel.

Das russische Fließbandsystem zur Aufstockung der Truppenstärke funktioniert einwandfrei.

Oleksiy Hetman, ukrainischer Veteran

Der Experte erinnert an den vom russischen Präsidenten unterzeichneten Erlass zur Einberufung der größten Zahl mobilisierter Truppen in den letzten 14 Jahren, 160.000 Soldaten aus dem Kreis der Reservisten und jungen russischen Wehrpflichtigen sollen zur Armee stoßen. So werde Russland seine Kräfte schnell wieder aufstocken, zudem könne sich Kremlchef Wladimir Putin auf die Unterstützung aus Nordkorea und von Söldnern verlassen.

Oleksiy Hetman, Veteran des russisch-ukrainischen Krieges und Major der ukrainischen Streitkräfte, pflichtet ihm bei. „Das russische Fließbandsystem zur Aufstockung der Truppenstärke funktioniert einwandfrei. Sie werden weiter als Kanonenfutter kämpfen“, sagt er dem Tagesspiegel.

Experte warnt vor Alarmismus

Militärexperte Wladyslaw Selezniow geht davon aus, dass die Russen ihre Offensivversuche fortsetzen und nach Schwachstellen in der ukrainischen Verteidigung suchen werden. Und sollte ihnen das nicht gelingen, würden sie zumindest versuchen, eine Sanitätszone in der ukrainischen Region Sumy zu schaffen, sagt er dem Tagesspiegel.

Allerdings sagt Selezniow auch: „Es macht jetzt keinen Sinn, von groß angelegten Veränderungen an der Front zu sprechen.“ Denn: „Wenn es den Russen gelingt, bis zu 500.000 Mann aufzustellen, könnten sie in der Region Saporischschja ernsthaft in den Süden der Ukraine vorstoßen. Doch schon bald werden sie auf die von den Ukrainern vorbereitete Verteidigungslinie stoßen.“

Ähnlich sieht das Militäranalyst Hetman. Er glaubt, dass die Aufregung um die russische Offensive ein weiteres Instrument der Kreml-Propaganda ist, mit dem die EU-Länder eingeschüchtert werden sollen. Die russischen Truppen an sich sollten den Ukrainern keine Angst machen.

„Unsere Armee weiß, wie sie sich verteidigen, die Linie halten und offensive Operationen durchführen kann. Wenn wir also etwas analysieren und Schlussfolgerungen oder Vorhersagen treffen, müssen wir uns auf Fakten stützen, nicht auf Emotionen“, sagt Hetman. „Und Fakt ist: Die kleine ukrainische Armee ist die am besten bewaffnete Armee in Europa.“

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