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Flugzeugabsturz in Kasachstan: Aserbaidschan spricht erstmals öffentlich von einem Waffeneinsatz
In Kasachstan war am Mittwoch ein aserbaidschanisches Flugzeug abgestürzt. Die USA und Baku vermuten Russland dahinter. Auch für die betroffene Airline sieht es nach einer äußeren Einwirkung aus.
Stand:
Die aserbaidschanische Regierung spricht erstmals öffentlich von einem Waffeneinsatz gegen das in Kasachstan abgestürzte Passagierflugzeug. „Die Ermittlungen werden klären, mit welcher Art Waffe die Einwirkung von außen geschah“, sagte Verkehrsminister Rashad Nabiyev nach Angaben der staatlichen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Azertag in Baku.
Schäden am Wrack und Zeugenaussagen legten nahe, dass das Flugzeug von außen beschädigt worden sei. Dies sei über dem ursprünglichen Zielflughafen Grosny in Russland geschehen. „Demnach gab es ein Explosionsgeräusch außen, und dann wurde das Flugzeug von etwas getroffen.“
Am Mittwochmorgen, als das Flugzeug beschädigt wurde, bekämpfte russische Flugabwehr in der Region ukrainische Drohnen. Nabiyev sagte nicht, wer nach Erkenntnissen seiner Regierung geschossen habe. Nach inoffiziellen Angaben in Baku wird von einem Fehlschuss russischer Flugabwehr ausgegangen. 38 Menschen wurden bei dem Absturz getötet.
Nach ersten Erkenntnissen der Fluggesellschaft ist der Absturz ebenfalls durch „Einwirkung von außen“ verursacht worden. Nach ersten Untersuchungsergebnissen habe „physische und technische Einwirkung von außen“ den Crash verursacht, bei dem am Mittwoch 38 Menschen ums Leben kamen, erklärte Azerbaijan Airlines am Freitag im Onlinedienst Telegram. Medienberichten zufolge gehen die Behörden in Aserbaidschan davon aus, dass die Maschine von einer russischen Boden-Luft-Rakete getroffen wurde.
Ein Passagier der Unglücksmaschine sagte Reuters, es habe beim Anflug auf Grosny, Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, mindestens einen lauten Knall gegeben. „Ich dachte, das Flugzeug würde auseinanderfallen“, sagte der im Krankenhaus behandelte Subhonkul Rachimow Reuters. Nach dem lauten Knall habe sich das Flugzeug seltsam verhalten, als sei es betrunken, sagte er.
Flugbegleiter schildert die Minuten vor dem Aufprall
Ein überlebender Flugbegleiter sagte dem aserbaidschanischen Medium Media.Az. Asadov, dass beim Anflug auf Grosny dichter Nebel geherrscht habe. Als der Pilot beschlossen habe, den nächstgelegenen Flughafen anzufliegen, „kam ein seltsames Geräusch von außerhalb des Flugzeugs“. Er und sein Kollege seien in die Kabine gegangen, wo Panik unter den Passagieren ausgebrochen war. „Wir beruhigten die Passagiere, sagten ihnen, dass es keinen Grund zur Sorge gebe, dass alles in Ordnung sei, dass sie ihre Plätze einnehmen und sich anschnallen sollten.“ Kurz danach habe er sich durch den Aufprall von außen eine Schnittwunde an der Hand zugezogen.
Er äußerte sich auch zu der Version, wonach während des Fluges eine Sauerstoffflasche im Flugzeug explodiert sei: „Das ist nicht wahr. Wäre etwas mit der Sauerstoffflasche passiert, wäre das Flugzeug auseinandergerissen worden“, so der Flugbegleiter. „Die Information, dass eine Gasflasche an Bord gebracht wurde, ist ebenfalls unwahr. Diese tragische Situation ist durch äußere Faktoren entstanden.“
Experte: Kaum Zweifel an Abschuss
Auch nach Ansicht eines Experten sprechen die vorliegenden Bilder und Daten für einen Abschuss durch Flugabwehr. Offensichtlich hätten Geschosse in Form würfelförmiger Schrapnelle das Flugzeug durchlöchert, sagte Oberst Markus Reisner, Ukraine-Experte des österreichischen Bundesheers, im ORF-Radio.
Es habe sich wohl nicht um einen direkten Treffer, sondern um einen Nahtreffer gehandelt, sagte Reisner. Dabei wird nicht das Ziel selbst getroffen, sondern das Geschoss explodiert in nächster Umgebung. Reisner ging von einem unabsichtlichen Treffer aus, keinem gezielten Abschuss.
Während eines ukrainischen Drohnenangriffs könne es aufseiten der russischen Kräfte „sehr chaotisch und auch hektisch“ zugegangen sein. Möglicherweise habe das Zusammenspiel der diversen Luftverteidigungssysteme nicht perfekt funktioniert. „Ein System war nicht zu 100 Prozent eingebunden“, sagte Reisner. Er erinnerte an den kürzlichen Abschuss eines US-Kampfjets nahe des Jemens durch ein eigenes Kriegsschiff. Hier habe das Lagebild auf „höchstem Niveau“ nicht gestimmt.
Andere Erklärungen für den Absturz wie ein technisches Problem oder Vogelschlag hält der Experte für wenig wahrscheinlich. Die vorliegenden Bilder seien „sehr bestechend“.
Auch andere Experten äußerten sich ähnlich und vermuteten einen unabsichtlichen Treffer der Flugabwehr. „Focus Online“ etwa zitierte den deutschen Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse dahingehend. „Ich halte einen versehentlichen Abschuss durch eine russische Flugabwehrrakete für das wahrscheinlichste Szenario. Möglicherweise kam das Flugzeug dem Militär in einer ohnehin angespannten Situation als Gefahr vor“, sagte Domröse dem Nachrichtenportal.
Nach Moskauer Angaben wiederum konnte das Flugzeug aus Sicherheitsgründen nicht an seinem Zielort in Grosny landen. „Die Situation an diesem Tag und während dieser Stunden im Bereich des Flughafens von Grosny war sehr kompliziert“, sagte der Chef der russischen Luftfahrtbehörde Rosawiazija, Dmitri Jadrow. Ukrainische Kampfdrohnen hätten zu diesem Zeitpunkt angeblich terroristische Angriffe auf die zivile Infrastruktur in den Gebieten Grosny und Wladikawkas durchgeführt.
Demnach waren wegen der Gefahr durch die Drohnen keine Starts und Landungen in Grosny, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, erlaubt. Nach Darstellung Jadrows mussten alle Piloten in dem Zeitraum des Alarms den Luftraum verlassen. Es war das erste Mal, dass eine offizielle russische Stelle einen zeitlichen Zusammenhang zwischen einem Drohnenalarm und dem Absturz herstellte. Auf russischer Seite leitet Rosawiazija die Ermittlungen.
Jadrow äußerte sich nicht dazu, ob die Maschine womöglich durch eine ukrainische Drohne oder den Einsatz einer russischen Flugabwehrrakete beschädigt wurde und dann abstürzte. Er sagte auch, dass in Grosny zu der Zeit dichter Nebel herrschte. Der Pilot der Maschine habe zwei Landeversuche unternommen - ohne Erfolg. Er sei dann Richtung Kasachstan abgedreht.
Russland sperrte am Freitag den Luftraum im Süden des Landes. Eine Maschine der Azerbaijan Airlines auf dem Weg in die südrussische Stadt Mineralnie sei daher am Freitag nach Baku zurückgekehrt, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS.
Die russische Regierung habe erklärt, es sei wichtig, die Untersuchung des Flugzeugabsturzes abzuwarten, um zu verstehen, was passiert sei. Zu aserbaidschanischen Berichten, wonach die Maschine durch Beschuss der russischen Luftabwehr abgestürzt sei, nahm die Regierung in Moskau zunächst nicht Stellung.
In Russland stellen immer wieder Flughäfen zeitweilig ihren Betrieb ein, wenn bei ukrainischen Drohnenangriffen die Flugabwehr im Einsatz ist. Laut Azerbaijan Airlines kehrte am Freitag eine Maschine nach Baku zurück, weil am russischen Zielflughafen Mineralnye Wody im Nordkaukasus der Luftraum gesperrt war.
Azerbaijan Airlines fliegt russische Städte nicht mehr an
Die Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines stellte derweil ihre Verbindungen in zehn russische Städte ein. Von diesem Samstag an werde es keine Flüge mehr von Baku nach Sotschi, Wolgograd, Ufa, Samara, Mineralnye Wody, Grosny, Machatschkala, Wladikawkas, Nischni Nowgorod und Saratow geben, teilte das Unternehmen der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Turan zufolge in Baku mit.
Azerbaijan Airlines will der Mitteilung zufolge weiter die Flughäfen in Moskau, St. Petersburg, Kasan, Astrachan, Jekaterinburg und Nowosibirsk anfliegen. In Kasachstan setzte die Fluggesellschaft Qazaq Air für einen Monat aus Sicherheitsgründen Flüge von der Hauptstadt Astana in die russische Metropole Jekaterinburg am Ural aus. Flüge nach Omsk und Nowosibirsk in Sibirien gebe es aber weiter, hieß es.
Am Mittwoch war ein Passagierflugzeug vom Typ Embraer 190 in der Nähe der kasachischen Stadt Aktau abgestürzt. Dabei starben 38 Menschen, zahlreiche andere überlebten.
Zwei Überlebende des Flugzeugabsturzes in Kasachstan kommen nach Angaben des Auswärtigen Amts aus Deutschland. Nach aktuellem Kenntnisstand lebten zwei der überlebenden Passagiere hierzulande, hieß es aus dem Außenamt in Berlin.
Die Gedanken seien bei den getöteten Passagieren und ihren Angehörigen, den Verletzten wünsche man rasche Genesung, hieß es weiter. „Es ist zentral, dass die Absturzursache jetzt rasch und unvoreingenommen ermittelt wird.“
Das Flugzeug hatte ein Gebiet in Russland verlassen, das das russische Militär noch vor kurzem gegen Angriffe ukrainischer Drohnen verteidigt hatte.
Der Absturz geht Insidern zufolge auf Beschuss durch die russische Flugabwehr zurück. Das westliche Verteidigungsbündnis Nato forderte Aufklärung. Die Ukraine wies die Schuld klar Russland zu. Moskau müsse für den „Abschuss“ der Maschine der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines zur Verantwortung gezogen werden, erklärte der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, auf der Plattform Telegram.
An Bord des Flugzeugs waren nach Angaben der Azerbaijan Airlines 62 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. (Reuters, AFP, dpa, Yulia Valova)
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