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Kritik aus Israel nach dem Anschlag: Hat Australien den Antisemitismus unterschätzt?
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wirft der australischen Regierung vor, durch ihre Nahostpolitik Antisemitismus gefördert zu haben. Doch wie berechtigt ist diese Kritik? Ein Faktencheck.
Stand:
„Ihr Aufruf nach einem Palästinenserstaat gießt Öl ins antisemitische Feuer“, schrieb Benjamin Netanjahu vor einigen Monaten an den australischen Premierminister Anthony Albanese.
Nach dem Anschlag von Bondi Beach, bei dem mindestens 16 Menschen starben, wiederholte Netanjahu seine Kritik: Albaneses Politik „fördere Antisemitismus in Australien“, und mangelndes Handeln habe zu der Terrorattacke geführt.
Doch ist die Kritik aus Israel berechtigt? Ein Blick auf die vergangenen Monate zeigt, dass die australische Regierung durchaus eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hat – einige davon sind beispiellos in der jüngeren Geschichte des Landes.
So verkündete Premierminister Albanese Ende August eine Entscheidung, die es in der Form seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hatte: die Ausweisung des iranischen Botschafters und die Schließung der australischen Botschaft in Teheran. Hintergrund waren Erkenntnisse des Inlandsgeheimdienstes Asio, wonach der Iran mindestens zwei Angriffe auf jüdische Einrichtungen gesteuert hatte – einen Brandanschlag auf die Adass-Israel-Synagoge in Melbourne und einen Angriff auf ein Restaurant in Sydney.
„Dies waren außergewöhnliche und gefährliche Akte der Aggression eines fremden Staates auf australischem Boden“, sagte Albanese damals.
Asio-Chef Mike Burgess machte die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) direkt verantwortlich. Diese hätten „ein komplexes Netz von Stellvertretern eingesetzt, um ihre Beteiligung an antisemitischen Angriffen zu verschleiern“. Die Regierung stufte die IRGC daraufhin als Terrororganisation ein – ein Schritt, den viele EU-Staaten bis heute scheuen.

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Ein anderes Beispiel: Am 8. November marschierten rund 60 schwarz gekleidete Rechtsextreme vor dem Parlament von New South Wales in Sydney auf, skandierten „Blut und Ehre“ und forderten die „Abschaffung der jüdischen Lobby“.
Nur elf Tage später, am 19. November, brachte die Regierung eine Gesetzesänderung ein. Donald Rothwell von der Australian National University, einer der führenden Völkerrechtler des Landes, beschrieb das Tempo damals als „ungewöhnlich“.
Der „Crimes Act 1900“ wurde so erweitert, dass künftig jede öffentliche Zurschaustellung von Nazi-Symbolen ohne „reasonable excuse“ (ohne rechtlich ausreichenden Grund) strafbar ist und mit bis zu einem Jahr Haft oder 11.000 australischen Dollar (rund 6200 Euro) Geldstrafe geahndet wird. In der Nähe jüdischer Einrichtungen drohen sogar bis zu zwei Jahre Haft oder 22.000 Dollar (über 12.400 Euro) Strafe.
Die Polizei erhielt zudem neue Befugnisse: Sie kann Personen anweisen, Nazi-Symbole zu entfernen, und bei Weigerung Bußgelder verhängen. Einer der Aufmarschteilnehmer, der Südafrikaner Matthew G., verlor sein Visum und kam in ein Abschiebezentrum.
2024 schuf die Regierung zudem zwei neue nationale Positionen: einen Sonderbeauftragten zur Bekämpfung von Antisemitismus und einen zur Bekämpfung von Islamophobie. Jillian Segal, die Antisemitismus-Beauftragte, forderte nach dem Bondi-Anschlag „dieselbe Reaktion“ wie nach dem Port-Arthur-Massaker 1996 – bei dem 35 Menschen ums Leben kamen – und das zu strikten Waffengesetzen führte.

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Wie sehr diese Entscheidungen aber im Leben von Jüdinnen und Juden ankommen, ist unklar. Denn unbestritten ist, dass antisemitische Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der Hamas auf Israel, zugenommen haben. Der Executive Council of Australian Jewry (ECAJ) dokumentierte zahlreiche Fälle verbaler und physischer Übergriffe, Schmierereien an Synagogen und Online-Hassmeldungen. Jüdische Schüler berichteten von Mobbing und Bedrohungen, einige Familien mussten ihre Kinder vorübergehend aus dem Unterricht nehmen.
An Universitäten kam es zu pro-palästinensischen Protestcamps, bei denen mitunter antisemitische Slogans oder Sympathiebekundungen für die Hamas gezeigt wurden. Im August marschierten über 100.000 Menschen bei einer pro-palästinensischen Demonstration über die Sydney Harbour Bridge – manche trugen Bilder des iranischen Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei.
Alex Ryvchin, Co-Vorsitzender des ECAJ, kritisierte damals in einem Bericht des Senders ABC: „Unsere nationalen Wahrzeichen sollen Australier vereinen. Dieser Marsch hat das Gegenteil bewirkt.“
Netanjahus Vorwurf greift zu kurz
Das multikulturelle Australien befindet sich in einem politischen Dilemma. Einerseits hat die Regierung Albanese im September einen palästinensischen Staat anerkannt und israelische Siedlungen kritisiert – Positionen, die in Israel auf scharfe Ablehnung stoßen.
Andererseits hat Canberra gleichzeitig härter gegen Antisemitismus durchgegriffen als viele westliche Staaten: Die Einstufung der IRGC als Terrororganisation und die Ausweisung des iranischen Botschafters gehen weiter als entsprechende Maßnahmen in Deutschland oder Frankreich.
Netanjahus Vorwurf, Australien habe Antisemitismus nicht ernst genommen, greift angesichts der ergriffenen Maßnahmen zu kurz. Doch Fakt ist: Die australischen Maßnahmen haben nicht ausgereicht. Der Anschlag von Bondi Beach zeigt, dass trotz aller politischen Bemühungen die Sicherheitslage der jüdischen Gemeinde ernster hätte genommen werden müssen.
Warum die Feierlichkeiten am Bondi Beach nicht besser von der Polizei geschützt wurden, müssen die Untersuchungen in den kommenden Wochen zeigen.
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