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Ein Polizist der bayerischen Polizei winkt an der Grenzkontrollstelle Saalbrücke ein von Österreich nach Deutschland kommendes Fahrzeug in die Kontrollstelle.

© picture alliance/dpa/Matthias Balk

Meine Generation kennt kein Europa mit Grenzen: Und das sollte bitte auch so bleiben!

Unsere Autorin ist mit dem Schengen-Abkommen groß geworden. Doch am 40. Jahrestag der Übereinkunft ist Europas Errungenschaft bedroht. Wie kann das sein? Ein Appell.

Karla Koerner
Ein Kommentar von Karla Körner

Stand:

Vor 40 Jahren, am 14. Juni 1985, unterzeichneten fünf Länder im luxemburgischen Dorf Schengen ein Abkommen, das Europa verändern sollte. Ihr Ziel war ebenso einfach wie radikal: ein Europa ohne Grenzen – getragen von gegenseitigem Vertrauen. Aus den anfangs fünf Ländern sind inzwischen 29 geworden.

Damit wurde der Schengenraum zum „weltweit größten Raum des freien Personennahverkehrs“, wie es die Europäische Union selbst ausdrückt. Was bürokratisch klingt, ist einer der wahrscheinlich spürbarsten Erfolge europäischer Zusammenarbeit. Doch genau diese Errungenschaft steht heute unter Druck – das ist fatal.

Durch das Schengener Abkommen wurden sämtliche Personen- und Warenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten abgeschafft und stattdessen die Kontrollen an den Außengrenzen vereinheitlicht und verschärft, um Sicherheitslücken zu vermeiden.

Zudem regelt es die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, den Informationsaustausch bei Fahndungsverfahren und einheitliche Visabestimmungen. Aufgrund dieser weitreichenden Richtlinien dauerte es zehn Jahre, bis das Abkommen in Kraft trat.

Ich bin 2004 geboren. Schengen war da bereits seit 19 Jahren beschlossene Sache und seit neun Jahren in Kraft. Ich bin mit einem offenen Europa aufgewachsen, kenne kein Europa mit Grenzen, keine Passkontrollen auf der Autobahn, keine langen Wartezeiten an Grenzübergängen.

Das Wort „Schlagbaum“ ist mir nur bekannt aus Erzählungen meiner Eltern. Die einzige Hürde bei Autofahrten nach Frankreich waren die Mautstationen. Für mich und viele in meiner Generation ist ein Erasmussemester in Spanien oder ein Wochenendtrip nach Prag kein bürokratischer Kraftakt, sondern Ausdruck grenzenloser Möglichkeiten. Zum Glück.

Wenn Nachbarn das Vertrauen verlieren

Das erste Mal, als ich ein anderes Europa erlebte, war 2020: Corona-Pandemie. Plötzlich schlossen Staaten ihre Grenzen, oft ohne Absprache. Monate später trat der Brexit in Kraft und riss ein dauerhaftes Loch in den Schengenraum. Wer heute nach Großbritannien reist, muss Reisepass und Einreisegenehmigung bereithalten.

Das Thema Grenzkontrollen bestimmte dann den Bundestagswahlkampf 2025. Kurz nach Amtsantritt verschärfte Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) die Kontrollen – sehr zum Ärger unseres Nachbarn Polen.

Wer gegen Schengen ist, tritt vehement für sein Interesse ein. Wer offene Grenzen gut findet, bleibt meistens still.

Karla Körner

Rechtspopulistische Falschaussagen, wie die des drittplatzierten polnischen Präsidentschaftskandidaten Slawomir Mentzen über angebliche massenhafte Zurückweisungen illegaler Einwanderer durch die deutsche Polizei, zeigen, wie schnell Grenzpolitik zur Munition für nationale Ressentiments wird.

Vor Kurzem patrouillierte in den Niederlanden eine selbst ernannte Bürgerwehr an der Grenze zu Deutschland und kontrollierte eigenmächtig deutsche Autos. Der Rechtspopulist Geert Wilders nannte die Aktion „fantastisch“.

Ich halte das für alles andere als fantastisch. Solche Aktionen sind Symptom einer gesellschaftlichen Spaltung und eines wachsenden Misstrauens. Selbst gegenüber den eigenen Nachbarn, denen wir einst vertrauten.

Eine lautstarke Gegenreaktion blieb aus. Dieser Vorfall zeigt erschreckend deutlich: Wer gegen Schengen ist, tritt vehement für seine Interessen ein. Wer offene Grenzen gut findet, bleibt meistens still.

Vielleicht liegt es daran, dass das Privileg, unbeschwert zwischen Ländern zu reisen, für meine Generation zu selbstverständlich geworden ist. Wir müssen lernen, es zu schützen. Bevor es zu spät ist.

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