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Ein Soldat einer UAV-Einheit eines motorisierten Infanterieregiments der Dnepr-Gruppe der russischen Streitkräfte im Einsatz bei der speziellen Militäroperation.

© IMAGO/ITAR-TASS/Alexei Konovalov

Psychoterror, Vergewaltigung, Misshandlung: Hat „Dedowschtschina“ die Moral russischer Soldaten in Kursk schon vorher gebrochen?

Nach der Kursk-Offensive der Ukraine tauchen Berichte über „Massenkapitulationen“ russischer Soldaten auf. Militärblogger vermuten: „Die Herrschaft der Großväter“ hat sie lange vorher gebrochen.

Stand:

Seit die Ukraine bei ihrer jüngsten Offensive die Kontrolle über einen Teil des Gebietes Kursk erlangen konnte, mehren sich die Berichte über russische Soldaten, die sich in den umkämpften Gebieten kampflos ergeben und kapitulieren.

Erst am vergangenen Donnerstag berichtete der Militärexperte Alexander Kovalenko von der Gruppe „Information Resistance“ von „mehr als 2.000 russischen Soldaten, die sich in der Region Kursk ergeben haben.“ Dem Analysten zufolge sollen sich die Männer „freiwillig als Kriegsgefangene“ der Ukraine ergeben haben, verriet er dem belarussischen Medienprojekt „Nexta“ im Interview. „Das ist eine riesige Zahl, mit der der Kreml nun umgehen muss.“

Bereits kurz nach Beginn der ukrainischen Offensive in Kursk tauchten auf X und Telegram erste Videos und Bilder auf, die sogenannte „Massenkapitulationen“ russischer Kämpfer zeigen sollen. Am 15. August wurde bekannt, dass sich in Kursk eine 102 Mann starke russische Kompanie den Spezialkräften des ukrainischen Sicherheitsdienstes ergeben haben soll.

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„Herrschaft der Großväter“ zermürbt Soldaten Russlands

Via X geht der Militärblogger und Autor „ChrisO_wiki“ der Frage nach, warum bei der ukrainischen Kursk-Offensive „so viele russische Wehrpflichtige kapituliert haben“. In seiner Analyse über den russischen Militärdienst kommt er schließlich zu dem Schluss: „Die Moral war schon vor dem Angriff auf Kursk niedrig.“ Grund dafür sei dem Militärblogger zufolge vor allem das Phänomen der „Dedowschtschina“.

„ChrisO_wiki“ beschreibt, wie russische Wehrpflichtige bereits „seit Jahrzehnten extremen und oft tödlichen Formen der Schikane und Misshandlung ausgesetzt“ sind. Dem Analysten zufolge sollen allein 2006 mindestens 292 russische Soldaten durch das Phänomen „Dedowschtschina“ zu Tode gekommen sein, „2007 begingen 341 Soldaten Selbstmord“, so der Autor. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben bisher allerdings nicht.

Formen der „Dedowschtschina“: Zwangsprostitution und Zwangsarbeit

Bei der „Dedowschtschina“ kommen verschiedene Aspekte und Formen des Missbrauchs zum Tragen. So berichten Betroffene unter anderem von Schikane, unbezahlter Zwangsarbeit unter Androhung harter Strafen, Psychoterror und Misshandlungen bis hin zur Folter. „Die russische Armee war und bleibt eine Schule der Sklaven“, berichtete der russische Gegenwartsautor Michail Schischkin in einem Essay über seine militärische Ausbildung.

Der Zusammenbruch der russischen Verteidigung in Kursk ist keine Überraschung.

Militärblogger „ChrisO_wiki“

Auch Zwangsprostitution gehöre zu den Praktiken der „Dedowschtschina“ berichtet der Militärblogger und verweist auf einen Fall aus St. Petersburg, wo jüngere Wehrpflichtige „von den Großvätern gezwungen wurden, sexuelle Dienstleistungen für einflussreiche Kunden mittleren Alters zu erbringen“. Den Männern sei Folter angedroht worden, sollten sie sich den Befehlen verweigern, heißt es in dem Bericht.

Das Verrichten von unbezahlter Zwangsarbeit sei eine weitere Methode, um die jungen Wehrpflichtigen zu schikanieren. Demnach sollen die Männer Berichten zufolge als unbezahlte Arbeitskräfte eingesetzt worden sein, „um die Datschen (Ferienhäuser) der Offiziere instand zu halten“. Auch Vermietungen an andere Geschäftsleute für „Arbeiten auf Baustellen, Feldern oder in Fabriken“ sollen weit verbreitet gewesen sein.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine werde die Schikane der Wehrpflichtigen vor allem durch „schlechte Behandlung“ und Gewalttätigkeiten seitens der Dienstälteren ausgeübt, heißt es weiter. Genannt wird unter anderem ein Beispiel von der Front, in dem „gewalttätige Offiziere“ nach übermäßigem Alkoholkonsum ihren Frust an rangniedrigeren Soldaten ausgelassen haben sollen.

Kampftruppen in Kursk offenbar „kaum brauchbar“

Berichte aus Kursk legen nahe, dass dort stationierte Wehrpflichtige vor ihrem Fronteinsatz „kaum oder gar keine militärische Ausbildung“ erhalten haben sollen, „was sie als Kampftruppe kaum brauchbar macht“, berichtet der Militärblogger unter Berufung auf Angehörige von Soldaten.

Einige der Wehrpflichtigen sollen demnach in Militärberufe eingeteilt worden sein, „die nicht ihrer Ausbildung entsprachen.“ Berichtet wird von einem Rekruten, der als Sanitäter eingeteilt wurde, obwohl er „nicht einmal wusste, wofür Aspirin und No-Spa [krampflösendes Medikament Drotaverin] waren“. Andere sollen Granatwerfer, Mörser und Gewehre in die Hand gedrückt bekommen haben, ohne eine vorherige Ausbildung oder Anleitung erhalten zu haben.

Dem Militärblogger zufolge sei die Moral bereits vor der ukrainischen Offensive in Kursk am Boden gewesen. Da Berichte über desolate Zustände an der russischen Front bereits zuvor in den sozialen Medien publik gemacht worden seien, habe die Ukraine „mit Sicherheit Bescheid gewusst“, berichtet „ChrisO_wiki“. „Es ist keine Überraschung, dass der russische Widerstand beim Angriff auf Kursk schnell zusammenbrach und sich viele Wehrpflichtige ergaben.“

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