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Er könnte diese Woche Gastgeber der Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine werden: Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Ukraine-Verhandlungen in Istanbul: Erdogans geschickte Politik könnte sich am Donnerstag auszahlen

Der türkische Präsident wird am Donnerstag Russland und die Ukraine zu Verhandlungen empfangen. Nebenbei will er seine Macht ausbauen und Kritiker zum Schweigen bringen.

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Seit er seinen Herausforderer Ekrem Imamoglu im März festnehmen ließ, steckt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einer selbst verschuldeten Krise. Diese Woche aber kann er voraussichtlich einen wichtigen Prestige-Erfolg feiern.

Kremlchef Wladimir Putin hat für Donnerstag Verhandlungen in Istanbul über ein Ende des Krieges vorgeschlagen, und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will nach eigenen Worten am Bosporus „auf Putin warten“.

Die Gastgeberrolle wertet die Türkei auf und hat für Erdogan den zusätzlichen Vorteil, dass der Westen – zumindest für diese Zeit – über die Repression gegen die türkische Opposition hinwegsieht.

Erdogan will Vermittler sein

Seit dem Kriegsausbruch im Februar 2022 arbeitet Erdogan an seiner Vermittlerrolle. Die Türkei erkennt die russischen Gebietsgewinne in der Ukraine nicht an und liefert Waffen an Kiew, hat die Beziehungen zu Russland aber nicht abgebrochen und beteiligt sich nicht an westlichen Sanktionen gegen Moskau.

Der türkische Präsident besuchte Selenskyj in Kiew, hielt aber auch zu Putin Kontakt und nahm Russland gegen Europa und die USA in Schutz: Manche im Westen wollten einen neuen Weltkrieg, sagte er im vorigen Jahr.

Die USA und andere Nato-Partner kritisierten, dass Russland den Handel mit der Türkei ausnutzen konnte, um die Sanktionen zu umgehen. Erdogan wies die Kritik zurück und warb für Friedensgespräche in der Türkei. Vor drei Jahren brachte er Russen und Ukrainer zu Gesprächen in Antalya und zu Verhandlungen in Istanbul über Getreideexporte aus dem Schwarzen Meer zusammen.

Erdogan versuchte stets, einen guten Draht zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu halten.

© dpa/Vladimir Smirnov

Das Istanbuler Getreideabkommen war ein wichtiger Erfolg für die Türkei. Danach rückten die türkischen Vermittlungsbemühungen in den Hintergrund. Saudi-Arabien richtete die ersten russisch-amerikanischen Gespräche über den Ukraine-Krieg aus.

Die Türkei wiederholte ihre Vermittlungsangebote jedoch beharrlich, bot Truppen für die Überwachung eines Waffenstillstandes in der Ukraine an und bewahrte sich nach Einschätzung des Türkei-Analysten Timothy Ash ihre Glaubwürdigkeit. „Beide Seiten vertrauen Erdogan“, schrieb Ash am Montag in seinem Blog. Das könne man von US-Präsident Donald Trump nicht sagen.

Wenn die Verhandlungen am Donnerstag zustande kommen, wird sich Erdogans geschickte Politik zwischen Russland und der Ukraine ausgezahlt haben.

Für Putin sei Istanbul als Ort neuer Verhandlungen mit der Ukraine „fast die natürliche Wahl“, sagt der türkische Sicherheitsexperte Yörük Isik. Russland befinde sich nach eigener Sicht der Dinge in einem Krieg gegen den ganzen Westen, sagt er dem Tagesspiegel. „Es gibt keinen anderen Ort, den sie wählen können.“

Mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj traf sich Erdogan im Februar.

© dpa/Ukraine Presidency

Dass Putin nun Istanbul als Verhandlungsort genannt habe, zeige auch die Bedeutung der Türkei als Regionalmacht, meint Isik. Die Türkei ist diese Woche fast gleichzeitig mit den geplanten Ukraine-Verhandlungen auch Gastgeberin einer informellen Konferenz der Nato-Außenminister in Antalya. Westliche Staaten könnten also hochrangige Politiker an den Bosporus schicken, um die russisch-ukrainischen Kontakte zu beobachten.

„Der größte Krieg auf dem Kontinent“

Leicht würden die Ukraine-Gespräche nicht, sagt Isik. Immerhin sei der Konflikt „der größte Krieg auf dem Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg“. Ein russisch-ukrainisches Treffen in Istanbul – wenn es zustande komme – könne nicht auf einen Schlag alle Fragen klären: „Bestenfalls wird dies der Beginn eines langen Prozesses sein“, sagte Isik.

Für Erdogan wäre schon das ein wichtiger Erfolg. Ein Treffen würde dem türkischen Präsidenten die Gelegenheit bieten, sich vor seinen Wählern als Staatsmann von Weltruf in Szene zu setzen. Zusätzlichen Auftrieb bekommt Erdogan derzeit durch die Selbstauflösung der Terrorgruppe PKK.

Als Ukraine-Vermittler muss Erdogan keine scharfe Kritik aus Brüssel am Umgang mit der türkischen Opposition befürchten. Die Proteste gegen die Festnahme von Imamoglu wegen angeblicher Korruption vor zwei Monaten halten an, doch Erdogans Regierung erhöht den Druck weiter und ließ zuletzt Imamoglus Konto bei der Plattform X sperren.

Eigentlich seien die Proteste eine Chance für die EU, ein Vertrauensverhältnis zu den vielen Türken aufzubauen, die für europäische Werte auf die Straße gingen, sagt der Politologe Murat Somer von der Istanbuler Özyegin-Universität dem Tagesspiegel. Doch bisher habe die EU diese Chance nicht genutzt.

Türkische Oppositionspolitiker beklagen, dass Europa sehr zurückhaltend auf Imamoglus Festnahme reagiere, um Erdogan nicht zu verärgern. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte die Türkei vorige Woche als „extrem wertvollen, wichtigen Nato-Partner“ gewürdigt. Russisch-ukrainische Friedensverhandlungen auf türkischem Boden dürften Erdogan für die Europäer noch wichtiger machen.

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